Tschechien: Sterbehilfe
Von Jitka Mladkova.
Auch in Tschechien folgte vor einiger Zeit auf die erste Parlamentsentscheidung über aktive Sterbehilfe in den Niederlanden ein reges Echo. Wie der durch die Medien vermittelte Meinungsaustausch offenbarte, wird das Thema auch in diesem postkommunistischen Land kontrovers wahrgenommen. Von einem knallharten Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern kann hierzulande allerdings immer noch keine Rede sein.
Die offizielle Einstellung relevanter Institutionen wie der Ärztekammer, der Tschechischen Ärztegesellschaft, der Ethikkommissionen in den einzelnen medizinischen Bereichen, natürlich auch der Kirche und anderer, ließe sich auf die einfache Formel bringen: Alle sind dagegen. Auch die Diskussion in den Medien zeigte, dass die Zustimmungsrate geringer ausfiel als die Ablehnungsquote. Doch damit wäre nicht das wesentliche gesagt, denn die Frage der Sterbehilfe ist auch eine philosophische und ethische Frage, und eben in diesem Sinne wird sie von einem breiten Teil der tschechischen Gesellschaft noch nicht wahrgenommen. Hat sie uns Tschechen doch "nur" elf Jahre nach der politischen Wende ereilt! Bis dahin sprach man so gut wie gar nicht über die Ethik in der Medizin. 1990 wurde die erste Ethik-Kommission beim Gesundheitsministerium eingesetzt, um u.a. auch ethische Aspekte bei der Ausarbeitung neuer Gesetze zu berücksichtigen. Zum Resultat sagte mir ein Mitglied der Kommission, Frau Dr. Vera Bohunkova:
"Es ist meistens nicht gelungen, weil die Öffentlichkeit und die Politiker nicht viel Verständnis für ethische Fragen hatten. Die öffentliche Meinung war nicht gut vorbereitet."
Mit den ethischen Kategorien haben sich offensichtlich auch angehende Ärzte schwer getan, nachdem Ethik als Fach beim Medizinstudium eingeführt wurde:
"Die ersten Jahrgänge der Studenten, die waren daran nicht interessiert. Die sagten: Wozu Ethik, wozu Philosophie. Wir brauchen unsere Fachkenntnisse. Wenn wir mal fertig sind, wollen wir Geld verdienen. Es ist eine Zeitverschwendung."
Vor etwa zwei Wochen haben beide Kammern des tschechischen Parlaments die 1997 von den Mitgliedsländern des Europa-Rates verabschiedete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde in der Medizin angenommen. Der tschechische Patient bekommt somit zum ersten Mal das Recht, wahrheitsgetreu und in vollem Umfang über seinen Gesundheitszustand informiert zu werden. Die Sache hat aber einen Haken: in der nationalen Legislative ist dieses Recht noch nicht verankert und seine Umsetzung hängt nach wie vor vom behandelnden Arzt ab. Um so mehr, wenn es sich um einen todkranken Patienten handelt. Bei ihm entscheidet - wenn die Chancen auf Null stehen - mehr oder weniger nur der Arzt bzw. ein Ärztekonsilium, ob eine Therapie begonnen oder abgebrochen wird. Eine Patientenverfügung z.B. kennt man in Tschechien noch nicht und bis die Autonomie des Patienten, zu der es bisher keine richtige Debatte gab, definiert ist, werden auch hierzulande die Ärzte in einer ethischen und juristischen Grauzone operieren.
Der Nachholbedarf ist groß, doch nicht nur im legislativen Bereich. Dazu Frau Dr. Bohunkova:
"Bei uns sieht man, dass viele Werte irgendwie verfallen sind. Man hat in den ersten Jahren nach der Wende über die inmateriellen Werte nicht gesprochen. Man hat zu viel ökonomischen Fortschritt betont."
Ist nicht gerade dasvielleicht eine gute Voraussetzung, um eines Tages "Ja" zur aktiven Sterbehilfe zu sagen?
"Also das ist keine gute Lösung, das muss man anders lösen. Ich kann kein Rezept geben, das ist nicht mein Fach."