Mit dem Ärzteethos vereinbar? In Tschechien gibt es eine weitere Initiative zur Legalisierung von Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe gilt in Tschechien nach wie vor als Mord. Mehrmals gab es aber schon Initiativen, ein vom Arzt assistiertes Sterben zu legalisieren. Überwogen haben bisher immer die Argumente, dass dies mit der medizinischen Moral nicht vereinbar sei, sowie auch die Warnungen vor einem möglichen Missbrauch. Ein neuer Gesetzesentwurf hat die Debatte nun erneut belebt, und unlängst äußerte sich auch Präsident Petr Pavel dazu – mit dem für die hiesige Politikszene ungewohnt klaren Standpunkt nämlich, dass ein Mensch sehr wohl die Entscheidung treffen dürfe, sein Leben zu beenden.

Für einen Deutschen kann die Debatte um die Sterbehilfe in Tschechien durchaus irritierend sein. Denn für diesen Vorgang wird hierzulande das tschechische Wort für Euthanasie, also eutanazie, genutzt. Im deutschen Sprachgebrauch hat der Begriff hingegen fast nur noch eine historische Bedeutung, mit Verweis auf die unmenschlichen Praktiken der Nationalsozialisten. Anders in Tschechien: Ein Gesetzesentwurf von 2008 etwa definierte die Hilfe für einen würdevollen Tod als „assistierte Euthanasie“ und die Herbeiführung eines würdevollen Todes als „aktive Euthanasie“.

David Černý | Foto: Tschechische Akademie der Wissenschaften

Es liegt aber nicht an den Begrifflichkeiten, warum hierzulande schon seit Jahren emotional zu dem Thema gestritten wird. Eine Legalisierung per Gesetz ist bisher nicht durchgesetzt worden. Dabei sei es höchste Zeit, meint David Černý, Philosoph und Ethikexperte vom Institut für Staat und Recht der tschechischen Akademie der Wissenschaften:

„Dieser Schritt hätte meiner Meinung nach schon längst kommen müssen, und das aus mehreren Gründen. Einer ist, dass er von der Mehrheit der Menschen in Tschechien dauerhaft gewünscht wird. Sie hätten gern die Möglichkeit, auch auf diese Weise über ein Ende ihres Lebens entscheiden zu können. Ein weiterer Grund ist, dass es keine guten ethischen Argumente gibt, Sterbehilfe nicht zu legalisieren.“

Jaromír Matějek ist da anderer Meinung. Er ist der Vorsteher des Instituts für medizinische Humanstudien an der Prager Karlsuniversität. In einer Debatte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks räumte er zunächst Verständnis ein, dass jemand über die Beendigung seines Lebens selbst entscheiden wolle:

„Aber ich sehe trotzdem einen Unterschied darin, sich einerseits der Sterbehilfe aktiv zu unterziehen und sie andererseits rechtlich sowie praktisch in das Gesundheitssystem Tschechiens einzuführen.“

Die Palliativpflege ist in Tschechien mittlerweile ein großes Thema, was absolut in Ordnung ist.

Er finde es traurig, dass Ärzte dabei zum Töten herangezogen würden, merkt Matějek an. Und fügt das Argument hinzu, dass es schon jetzt mehrere Möglichkeiten gebe, einem unheilbar kranken Patienten das Sterben zu erleichtern:

„Dafür existieren Instrumente wie die Patientenverfügung oder die Funktion des Patientenvertreters. Dazu gehört ebenso die genaue Diskussion der lebenserhaltenden Maßnahmen in jedem konkreten Fall. Die Palliativpflege ist in Tschechien mittlerweile ein großes Thema, was absolut in Ordnung ist. Sie entwickelt sich ganz phantastisch, dank der Gesellschaft für Palliativmedizin.“

Sterbehilfe als Teil der Palliativpflege

In der öffentlichen Debatte zum Thema Sterbehilfe, sei es in Tschechien oder auch in anderen Ländern, ist es ein oft gehörtes Gegenargument, dass Mediziner Leben schließlich retten und nicht beenden sollten. Auf den Hinweis zur Patientenverfügung entgegnet David Černý:

Dennoch hat ein Patient bisher in Tschechien keine Möglichkeit, eine Lage, die er als aussichtslos beurteilt, durch Sterbehilfe zu beenden – das heißt durch die Tötung nach Vereinbarung mit einem Arzt.

„Natürlich hat ein Mensch das Recht, eine Behandlung abzulehnen. Es ist mit den Prinzipien der medizinischen Ethik durchaus vereinbar, eine Behandlung abzubrechen, die kein Ergebnis für den Kranken bringt. Dennoch hat ein Patient bisher in Tschechien keine Möglichkeit, eine Lage, die er als aussichtslos beurteilt, durch Sterbehilfe zu beenden – das heißt durch die Tötung nach Vereinbarung mit einem Arzt. In mehreren europäischen Ländern und auch weltweit gibt es diese Möglichkeit jedoch. Aus ethischer Sicht sehe ich keinen Grund, warum sich Tschechien ihnen nicht anschließen sollte.“

In der EU sind es bisher drei Länder, die Sterbehilfe legalisiert haben. Das erste waren 2002 die Niederlande, es folgten Belgien und Luxemburg. Die Maßnahmen liefen etwa in den Niederlanden völlig korrekt und gesetzeskonform ab, betont Černý. Zudem würde die Zahl derer, die dort Sterbehilfe in Anspruch nehmen, jährlich weiter steigen.

Auch der neueste Gesetzesentwurf für Tschechien bezieht sich auf die positiven Erfahrungen im Ausland. Sie habe sich von Luxemburg inspirieren lassen, teilte die Senatorin Věra Procházková (Partei Ano) mit, als sie ihren Text Mitte März beim Runden Tisch des Gesundheitsausschusses im Senat vorstellte. Diesmal soll die Sterbehilfe im Rahmen eines Gesetzes zur Palliativpflege geregelt werden – ein solches gibt es in Tschechien nämlich bisher nicht. Jaromír Matějek sieht in der neuen Initiative allerdings keinen Fortschritt:

„Der Gesetzesentwurf ist der gleiche, den das Abgeordnetenhaus schon 2020 abgelehnt hat. In der Senatsdebatte wurde er nun erneut vom Gesundheitsministerium und vom Justizministerium zurückgewiesen. Ich denke, zu diesen Dingen sollte man sich seriöser durcharbeiten.“

Den Berichten des Portals Česká justice zufolge kritisierte der Staatssekretär Václav Pláteník (Christdemokraten) aus dem Gesundheitsministerium beim Runden Tisch vor allem die geplante Verbindung der Palliativmedizin mit der Möglichkeit des assistierten Selbstmords und der Sterbehilfe. Zudem bemängelte er, dass der aktuelle Text die Einwände der Regierung von 2020 nicht ausreichend berücksichtige.

Václav Pláteník | Foto: Gesundheitsministerium der Tschechischen Republik

In jenem Jahr war zuletzt im tschechischen Abgeordnetenhaus über die Sterbehilfe diskutiert worden. Die gemeinsame Vorlage stammte von einer Abgeordneten der damaligen Regierungspartei Ano und von einem Mitglied der Piratenfraktion, damals in der Opposition. Der Text sah eine strikt freiwillige Beteiligung des Arztes vor, und auch der Patient sollte seine Entscheidung bis zum letzten Moment widerrufen können. David Černý bestreitet, dass nun der gleiche Entwurf im Senat vorgelegt worden sei. Vielmehr seien ein langer Abschnitt an Begründungen und eben die Kombination mit der Palliativpflege ergänzt worden. Trotzdem sehe auch er die politische Debatte zur Sterbehilfe in Tschechien problematisch, räumt Černý ein:

„Ich habe das Gefühl, dass die meisten Politiker das Thema gar nicht interessiert. Es hat für sie keine ausreichende politische Bedeutung, um sich ihm seriös zu widmen. Dennoch arbeitet Senatorin Procházková sorgfältig und mit einem Team von Experten. Das Gesetz ist gut, und jetzt liegt es nur an dem politischen Willen, ob es wieder vom Tische gefegt oder angenommen wird.“

Grabenkampf oder schon entscheidene Debatte?

Illustrationsfoto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Jaromír Matějek sieht mit dem neuen Gesetzesentwurf hingegen bestätigt, dass die Debatte in Tschechien in den letzten Jahren nicht weitergekommen ist. Vielmehr stecke man in einem Grabenkampf fest, in dem nur noch die Argumente dafür oder dagegen gefestigt würden:

„Die Sterbehilfedebatte überschattet die gesamte Diskussion zur Entscheidung über das Ende des eigenen Lebens. Ich habe das Gefühl, dass der ganze Entscheidungskomplex in einem Zustand betoniert wurde, der weder für die Patienten noch für die Mediziner komfortabel ist. Wenn ich mich mit der Ethik an sich nur in einer Ja-oder-Nein-Form beschäftigen würde, würde mir das schon lange keinen Spaß mehr machen.“

Es müsse deshalb eine gesamtgesellschaftliche Diskussion geführt werden, fügt Matějek hinzu. Philosoph Černý hingegen findet nicht, dass die Debatte festgefahren ist. Zumindest im internationalen Austausch sei sie vielmehr schon entschieden:

„Die allermeisten Autoren, die sich professionell mit medizinischer Ethik beschäftigen, sind von den Argumenten für die Sterbehilfe überzeugt. Nur eine kleine Minderheit, die meist zur Kirche gehört, ist konsistent dagegen. Es ist also nicht so, dass man nur Argumente dafür oder dagegen sammeln würde. Auf der Expertenebene hat die Mehrheit eine recht klare Meinung.“

Dem hält Medizinethiker Matějek entgegen, dass eine ablehnende Haltung in Tschechien nicht nur von Seiten der Kirche komme:

Die Kammer drückt damit eher ein Ethos aus und beschreibt, was Ärzte als ihre Rolle verstehen.

„Ich würde nicht sagen, dass eine katholische Sicht auf die Welt dahintersteht, wenn die tschechische Ärztekammer in ihrem Ethikkodex Selbstmord und aktive Sterbehilfe als unzulässig bezeichnet. Die Kammer drückt damit eher ein Ethos aus und beschreibt, was Ärzte als ihre Rolle verstehen. Und sie sagt damit den Menschen in Tschechien, was sie von einem Arzt erwarten können.“

Genau diese Erwartungshaltung könnte aber demnächst auch in Tschechien durch die ärztliche Sterbehilfe ergänzt werden, sagt David Černý mit Blick auf die weitere Zukunft. Nach seiner Auffassung ist dies eine Frage des Generationswechsels:

„Es ist richtig, dass die Medizin ihr Ethos hat. Aber dieses ist nicht festgelegt oder ahistorisch, sondern es entwickelt sich weiter. Die Ziele der Medizin wurden vor nicht allzu langem dahingehend ergänzt, dass Ärzte die Patienten in den letzten Lebensmomenten begleiten sollen. Nach Meinung vieler gehört dazu nicht nur, dass Schmerzen gelindert und psychologische Betreuung garantiert werden, sondern dass dies auch durch Sterbehilfe geschehen kann. Aus Gesprächen mit Ärzten kann ich nur bestätigen, dass diese Veränderung langsam stattfindet. Die junge Generation von Medizinern ist mehr oder weniger für die Sterbehilfe, die ältere Generation aber mehr oder weniger noch dagegen.“

Unbestreitbar solle eine gesetzlich legalisierte Sterbehilfe in Tschechien aber immer nur in Begleitung eines Arztes stattfinden, fügt David Černý hinzu.

Autoren: Daniela Honigmann , Jan Bumba | Quelle: Český rozhlas Plus
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