Tschechien und die Debatte über das künftige Steuersystem des Landes
In der heutigen Ausgabe unserer Sendereihe "Schauplatz" befasst sich Robert Schuster mit den jüngsten Vorschlägen zur Steuerpolitik.
Würde man eine Übersicht jener Themen erstellen wollen, die seit Jahresbeginn die öffentliche Debatte in Tschechien dominiert haben, so wäre die Frage nach dem künftigen Steuersystem sicherlich an vorderster Stelle anzuführen. In den vergangenen Wochen wurde diesbezüglich von vielen Seiten eine Reihe von neuen Vorschlägen unterbreitet. Man konnte fast das Gefühl bekommen, als ob unter Tschechiens Politikern und Parteien eine Art informeller Wettlauf ausgebrochen ist, wer den niedrigsten Satz für die Einkommenssteuer aus dem Hut zaubert. Das Überraschende daran war, dass selbst Politiker jener Parteien munter mitmischten, die - wie etwa die regierenden Sozialdemokraten - bisher jegliche Steuersenkungen kategorisch ausgeschlossen haben.
Die starke Thematisierung der Steuern lässt die Vermutung zu, dass sich die Politiker bereits ein Jahr vor dem nächsten regulären Wahltermin in Stellung bringen und Punkte bei der Öffentlichkeit sammeln wollen. Daneben scheint aber noch eine andere Erklärung plausibel zu sein, nämlich dass ein Nachdenken über das gegenwärtige tschechische Steuersystem zwingend notwendig ist angesichts des immensen Konkurrenzdrucks, welchem das Land nicht erst seit dem Beitritt zur Europäischen Union ausgesetzt ist. Schließlich haben auch einige andere neue EU-Länder aus Mitteleuropa in den vergangenen Monaten ihr Steuersystem radikal verändert und konnten somit bereits erste Erfolge bei ausländischen Investoren feiern.
Über die Hintergründe der aktuellen tschechischen Steuerdebatte unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Wirtschaftsforscher Daniel Munich von der Akademie der Wissenschaften:
"Ich meine vor allem, dass es gut ist, dass nach so vielen Jahren auf einmal die Steuern und deren Höhe zu einem wichtigen Thema wurden. Bislang waren nämlich solche Überlegungen und Debatten eher die Ausnahme. Auf der anderen Seite scheint mir aber die gegenwärtige Debatte eher dazu zu dienen andere wichtige Themen, wo es an Willen zu deren Lösung fehlt, in den Hintergrund zu drängen. Viele dieser Vorschläge erwecken zudem den Eindruck von spontanen Einfällen, die von den Medien dankbar aufgegriffen werden. Zu den somit verdrängten Problemen gehören jene im Zusammenhang mit dem Haushaltsdefizit und der steigenden Verschuldung."
Nun sind gegenwärtig verschiedene Modelle im Spiel. Beginnend mit dem Konzept der sog. "Gleichen Steuer", oder auch "Flat-Tax" genannt, die von den oppositionellen Bürgerdemokraten favorisiert wird und die einen einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen vorsieht. Die Sozialdemokraten gehen den Weg weniger radikaler Veränderungen und wollen die Zahl der gegenwärtigen drei Steuerklassen erweitern. Auf diese Weise sollen vor allem die Bezieher von mittleren und kleinen Einkommen - also die klassische Wählerklientel der Partei - wesentlich entlastet werden. Zu guter Letzt hat kürzlich auch noch die tschechische Industriellenvereinigung ihr Modell zweier unterschiedlich hoher Einkommenssteuersätze präsentiert. Der erste - bei neunzehn Prozent liegend - sollte für Unternehmen gelten, während Privatpersonen gemäß der Interessensvertretung künftig mit neun Prozent besteuert werden sollten. Welches dieser Konzepte würde der Tschechischen Republik in deren gegenwärtiger wirtschaftlicher Verfassung am besten entgegenkommen? Das war unsere nächste Frage an den Prager Wirtschaftsforscher Daniel Munich.
"Ich würde sehr vorsichtig sein, diese Vorstellungen als fertige und ausgereifte Konzepte zu bezeichnen. Dazu gibt es in allen diesen Modellen noch viel zu viele Fragezeichen. Prinzipiell muss ich feststellen, dass das, worüber jetzt diskutiert wird, eigentlich im Prinzip nur kosmetische Änderungen gegenüber dem bisherigen Modell sind, und sie würden nichts Grundlegendes bewegen. Es ist eher so, dass in Tschechien die Staatsausgaben sehr hoch sind, und ohne irgendwelche Änderungen in diesem Bereich ist es unvernünftig, auch noch die Einnahmen zu verringern. Die Frage müsste also lauten, welcher dieser Vorschläge hilft das jetzige Steuersystem zu vereinfachen? Dabei scheint das Flat-Tax-Modell der Bürgerdemokraten am vorteilhaftesten zu sein, aber auch hier wird es darauf ankommen, in wie weit es gelingt verschiedene Schlupflöcher zu stopfen. Das ist weitaus wichtiger als die Frage, ob die Steuersätze um zwei oder drei Prozentpunkte höher oder niedriger sein sollen."
Die Risiken einer radikalen Senkung der Steuersätze, vor allem dann, wenn diese nicht durch Streichungen auf der Ausgabenseite begleitet würden, liegen also auf der Hand, und wie die vorherige Äußerung von Daniel Munich zeigte, hält sich deshalb bei vielen Wirtschaftsforschern die Begeisterung für Steuersenkungen in Grenzen. Dennoch zeigt aber die Entwicklung in jenen Ländern, die das Wagnis niedrigerer Steuern eingegangen sind, dass das Volumen der dadurch erreichten Mehreinnahmen vor allem in den ersten Monaten alle Erwartungen übertreffen konnte. Ein klassisches Beispiel ist die benachbarte Slowakei, wo es seit genau einem Jahr mit neunzehn Prozent nur einen Steuersatz, sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen gibt. Das führte insbesondere bei letzteren tatsächlich zu einer verbesserten Steuermoral, denn gleichzeitig mit der Reduzierung der Steuersätze wurden auch die Formalitäten bei den Renten- und Sozialabgaben stark vereinfacht.
Das ist eine Begleiterscheinung, welche auch Daniel Munich im Gespräch mit Radio Prag begrüßt und die er bei den Vorschlägen, die zu diesem Thema bislang präsentiert wurden, bislang vermisst hat. Gleichzeitig warnt Munich aber auch vor den Risiken, welche die spezifische Situation Tschechiens mit seiner im Vergleich zu den anderen mitteleuropäischen Ländern bedeutend höheren Verschuldung mit sich bringt:
"Wenn diese Vereinfachung des Steuersystems wirklich grundlegend wäre und die einzelnen Steuersätze angeglichen würden, könnten diese Mehreinnahmen wirklich sehr überzeugend ausfallen. Auf der anderen Seite ist aber die Staatsverschuldung Besorgnis erregend und auch das relativ gute Wirtschaftswachstum samt den Steuereinnahmen kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das ein Problem ist. In diesem Zusammenhang wäre es nicht sehr gut darauf zu vertrauen, dass Steuersenkungen automatisch zu Mehreinnahmen führen würden, das wäre einfach zu riskant."
Es scheint jedoch auf jeden Fall sicher zu sein, dass die Tschechen in den kommenden zwei Jahren wichtige Veränderungen im Steuerbereich zu erwarten haben. Das verrät schon allein der Blick auf die aktuellen Umfragewerte der politischen Parteien, in denen schon seit geraumer Zeit die oppositionelle rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) klar in Führung liegt. Der Vorschlag die Flat-Tax einzuführen gehört dabei schon seit Jahren zu den zentralen politischen Forderungen der Partei und wird höchstwahrscheinlich, unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung der nächsten Regierung, auch zu den ersten Vorhaben eines von ihr geführten Kabinetts gehören.Die Tschechische Republik wäre somit nach Estland, der Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien und Russland das siebte Land auf dem alten Kontinent mit diesem relativ radikalen Steuersystem.
Der Erfolg oder Nicht-Erfolg dieses Besteuerungsmodells hängt aber auch von einem anderen wichtigen Faktor ab, wie der Prager Wirtschaftswissenschaftler Daniel Munich von der Akademie der Wissenschaften abschließend erklärt:
"Das hängt davon ab, um welches Land es geht und wie entwickelt dessen Verwaltungssystem ist. In Russland zum Beispiel, wo es ebenfalls schon seit einigen Jahren die Flat-Tax gibt, ist die Effizienz bei den Steuereinnahmen gering, weil der dortige Verwaltungsapparat sehr anfällig für Korruption ist. In Tschechien könnten die Folgen bedeutend positiver sein, weil die tschechischen Finanzämter gut ausgerüstet sind und auch fähig sind, die Einnahme von Steuern zu sichern. Aber es reicht ein Blick in die Slowakei, in ein Land also, dessen Verwaltungsstrukturen mit jenen in Tschechien immer noch fast identisch sind, und somit würden auch die Ergebnisse im Zusammenhang mit der Flat-Tax ähnlich positiv sein wie in der Slowakei."