Tschechien wird zum Autoland: Mit Hyundai zweithöchste Pro-Kopf-Produktion in Europa

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Der größte südkoreanische Automobilhersteller Hyundai Motor wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem neuen Autowerk in Tschechien niederlassen. "Die Tschechische Republik wächst zu einem wirtschaftlichen Zentrum in Mitteleuropa und wir erachten sie daher als einen idealen Kandidaten für die Errichtung einer Produktionsstätte", erklärte laut Agentur Reuters Hyundai-Konzernchef Chung Mong-Koo unlängst bei seinem Besuch in Prag. Neben Tschechien seien auch noch Polen und die Slowakei im Rennen um den Werksstandort, hieß es. Aber auch wenn die Würfel noch nicht gefallen sind, so hat man sich in Tschechien schon gehörige Gedanken darüber gemacht, was das Engagement eines dritten PKW-Herstellers für das Land zur Folge hätte. Lothar Martin und Bernd Janning setzen sich damit im nun folgenden "Wirtschaftsmagazin" auseinander.

Die Automobilindustrie ist in den zurückliegenden Jahren seit der Gründung der Tschechischen Republik immer mehr zum Zugpferd der tschechischen Wirtschaft geworden. Sie stellt ein Fünftel der Industrieproduktion. Außer den traditionellen Personenkraftwagen der Marke Skoda werden gegenwärtig in Tschechien auch Kleinwagen von Citroen, Peugeot und Toyota, Autobusse von Karosa und SOR, der Lkw Tatra und der Traktor Zetor produziert. In gut zwei Jahren könnte wie gesagt auch noch die Fahrzeugschmiede von Hyundai hinzukommen, wenn sich deren Chefetage bei der derzeitigen Grundstücksuche für einen Standort in Tschechien entscheiden sollte. Nach Aussage von Wirtschaftsminister Milan Urban habe man einiges dafür getan, die Südkoreaner bei ihrem Besuch in Tschechien von diesem Schritt zu überzeugen:

"Wir haben den Südkoreanern selbstverständlich sämtliche Informationen für ihre strategische Entscheidung gewährt. Die Tschechische Republik wurde von den hochrangigen Vertretern dieser Firma besucht. Ich hoffe, dass ihre dabei gegenüber renommierten Wirtschaftsagenturen gemachten Bekundungen schon ein erster Schritt zu einer definitiven Entscheidung für uns sind."

Das hoffen auch und vor allem die Regionalpolitiker, Unternehmer und Arbeitskräfte des Mährisch-Schlesischen Kreises, der von den Hyundai-Oberen als Werksstandort favorisiert wird. Daher wird der Landkreisvorsitzende der Region um Ostrava/Ostrau, Evzen Tosenovsky, auch nicht müde, die Vorteile seines Einzugsgebietes hervorzuheben:

"Ganz sicher sprechen die geografische Lage und die Nähe zur slowakischen Stadt Zilina, in der Hyundai mit dem neuen KIA-Autowerk bereits eine große Investition tätigt, für uns. Einen weiteren Vorteil sehe ich in der relativ hohen Bevölkerungszahl unseres Landkreises, in dem sehr viele Menschen leben, die eine technische Ausbildung haben. Das sind unsere Pluspunkte, die auch wahrgenommen werden. Doch letztlich entscheidet der Investor selbst."

Einige Zeit sah es jedoch so aus, als wenn man in Nordmähren bei der Suche nach einem geeigneten Baugrundstück immer nur auf Probleme treffen würde. Eine strategische Zone wurde von Umweltschützern blockiert, auf einer anderen betreiben Landwirte eine erträgliche Agrarproduktion. Deshalb hatte Premierminister Jiri Paroubek sogar verlauten lassen, die Bereitstellung eines Grundstücks notfalls auch mit dem so genannten Gesetz über Enteignungen durchzusetzen, das im August in erster Lesung vom Prager Abgeordnetenhaus gebilligt wurde. Inzwischen stehe aber der Errichtung einer Industriezone in Dolni Lutyne bei Karvina wohl nichts mehr im Wege, berichtete die Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" in ihrer Dienstag-Ausgabe. Die Umweltschützer würden den Schutz einer hier ansässigen seltenen Vogelart in ein anderes Landesgebiet verlegen, hieß es. Der nun mögliche Standortvorschlag muss jedoch noch von der Europäischen Union gebilligt werden.

Eine Standortentscheidung für die Nordmährische Region wird auf jeden Fall von den hier ansässigen Firmen begrüßt. Mehrere von ihnen würden nämlich als Autozulieferer die Chance erhalten, ihre Auftragslage auf Jahre hinaus abzusichern. Wie zum Beispiel die Gesellschaft Jäkl Karvina, die erst im vergangenen Jahr einen Sechs-Jahres-Vertrag zur Lieferung von Hupen für das neue TPCA-Werk in Kolin abgeschlossen hat. Und TPCA, das aus den Marken Toyota, Peugeot und Citroen gebildete japanisch-französische Automobil-Konsortium, hat es gerade vorgemacht, was der Aufbau einer neuen Produktionsstätte vor allem mit sich bringt: Arbeitsplätze. 3000 haben die Koliner in einem zweijährigen Prozess geschaffen, den Firmensprecher Matej Matolin so beschrieb:

"Wir haben die Arbeitskräfte schrittweise eingestellt, so dass parallel dazu auch die Produktion angestiegen ist. Im Jahr 2003 haben wir mit der Einstellung der Arbeitskräfte begonnen und sie letztlich im September 2005 abgeschlossen. Wir haben nicht nur Menschen aus der Umgebung von Kolin, sondern aus der gesamten Tschechischen Republik angeworben und ausgewählt, und ich muss sagen, dass es immer schwer ist, ein solch ambitioniertes Ziel in die Tat umzusetzen. Es war sicher kompliziert, aber nicht unmöglich. Das zeigt die Gegenwart, in der wir darauf verweisen können, dass wir die geplante Anzahl an Arbeitskräften unter Vertrag und somit begonnen haben, die dritte Schicht einzuführen."

Das ist seit Anfang Oktober der Fall. Seitdem läuft die Produktion in Kolin auf vollen Touren, sechs Tage die Woche im Drei-Schicht-System. Daher sind sich die Autobauer von Toyota, Peugeot und Citroen nun sicher, dass sie die seit dem Frühjahr produzierte Anzahl von 49.120 Kleinwagen bis zum Jahresende auf 100.000 Fahrzeuge aufstocken werden. Im kommenden Jahr will TPCA dann mit seinen 3000 Beschäftigen die geplante Jahresproduktion von 300.000 Wagen erreichen. Da TPCA seine Autos zu mehr als 90 Prozent ins Ausland exportiert, hat sich der diesjährige Einstieg des Werkes schon jetzt auf die Außenhandelsbilanz der Tschechischen Republik niedergeschlagen. Im August zum Beispiel konnte man hierzulande einen Exportzuwachs von nahezu 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. Und mit 14,6 Prozent hatte die Autoindustrie den Löwenanteil daran.

Sollte Tschechien nun auch von den Südkoreanern den Zuschlag als Standort des neuen Hyundai-Werkes erhalten, dann steht man vor ziemlich rosigen Aussichten als Autoland: Skoda will seine Jahresproduktion bis zum Jahr 2008 auf 600.000 Wagen erhöhen, TPCA sollte zumindest seine geplanten 300.000 Fahrzeuge weiter aufrechterhalten und Hyundai will im Jahr 2008 mit der gleichen Größenordnung das europäische Geschäft forcieren. Mit den dann im Jahr hergestellten 1,2 Millionen Fahrzeugen würde Tschechien auf Platz 2 in der Pro-Kopf-Produktion vorrücken - mit 104 auf je 1000 Einwohner entfallenden Autos. Auf dem ersten Rang würde dann übrigens die Slowakei stehen, da sie dann - nach dem Ausbau ihres Peugeot-Citroen-Werkes und der Fertigstellung des KIA-Werkes in Zilina - bei einer Jahresproduktion von 820.000 Wagen stehen würde. Und gegenüber Tschechien hat die Slowakei mit rund fünf Millionen Bürgern nur halb so viel Einwohner.

In Tschechien aber ist nun vor allem die Nordmährische Region gespannt, ob die Entscheidung von Hyundai zu ihren Gunsten ausfallen wird. Derzeit hat sie nämlich mit einer Arbeitslosenquote von 14, 5 Prozent zu kämpfen. Neben den ebenfalls 3000 Arbeitsplätzen, die die südkoreanische Marke mit ihrer neuen Produktionsstätte schaffen würde, kämen noch weitere bei den mit der Autoproduktion verknüpften Subunternehmen und Zulieferern hinzu. Premier Jiri Paroubek rechnet mit mindestens 7000 Arbeitsplätzen, Experten der umliegenden Hoch- und Fachschulen prognostizieren sogar 9000 neue Arbeitsstellen. Das sei jedoch kein Wunder, wie die Sprecherin des Ostrauer Arbeitsamtes Svatava Badurova zu erklären weiß:

"Ganz zweifelsfrei reagieren verschiedene Schuleinrichtungen und Bildungsinstitute auf eine solche Investition."

Hyundai will schon im kommenden Jahr mit dem Bau des neuen Werkes beginnen, um im Jahr 2008 die Produktion aufnehmen zu können. Bis zum Jahresende sollte daher die Gewissheit bestehen, ob die damit verbundene Investition von rund einer Milliarde Euro nach Tschechien oder doch in eines ihrer beiden Nachbarländer, Polen bzw. die Slowakei, fließen wird.