Tschechiens Präsident: Nato muss neue Russland-Strategie entwickeln
Ab Dienstag findet in Washington ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Nato statt. Tschechien wird dabei von Präsident Petr Pavel vertreten. Der Staatschef hat vorab in einem Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erörtert, vor welchen Herausforderungen die Nato derzeit steht und wie sich die aktuelle Lage in der Ukraine darstellt.
Eine der Aufgaben für den anstehenden Nato-Gipfel ist laut dem tschechischen Präsidenten Petr Pavel, eine umfassende Strategie in Bezug auf Russland zu entwickeln. Russland sei bisher als Partner in die Planungen des Bündnisses einbezogen gewesen, das derzeitige Verhalten des Landes erfordere aber eine grundlegende Änderung des Ansatzes, meint das Staatsoberhaupt:
„Wir müssen zugeben, dass Russland uns wie einen Feind behandelt. Und gleichzeitig, dass wir Russland als unsere größte Sicherheitsbedrohung sehen. Das gilt nicht nur für die Tschechische Republik, sondern für ganz Europa. Und das muss sich in allen strategischen Dokumenten des Bündnisses widerspiegeln, denn es wird dann natürlich die Grundlage für unser Vorgehen sein.“
Durch die Nato-Russland-Grundakte von 1997 und den später gegründeten Nato-Russland-Rat habe der Kreml viele Jahrzehnte lang mit der Nato an demselben Tisch gesessen, erinnert Pavel. An diesem Tisch seien wichtige Fragen zur Rüstungskontrolle, zu militärischen Übungen, möglichen Zwischenfällen und deren Verhinderung erörtert worden:
„Heute ist das natürlich nicht mehr der Fall. Aber wir müssen berücksichtigen, dass Russland eine Atommacht ist, ein Staat, der sich seinen Nachbarn gegenüber aggressiv verhält. Er unternimmt oft provokative Aktionen auch gegen Nato-Länder, und darauf müssen wir vorbereitet sein, darauf müssen wir reagieren können.“
Der militärische Teil der Allianz habe sehr schnell und flexibel auf die neue Lage reagiert, betont Pavel und konkretisiert:
„Die Verteidigungspläne, insbesondere des Ostflügels, wurden geändert und angepasst. Und ihnen zufolge werden heute militärische Formationen – zu denen auch die Tschechische Republik gehört – zum Beispiel in der Slowakei, in Litauen oder in Lettland aufgebaut, um Russland von jeder Aggression gegen ein Nato-Mitglied an der Ostflanke abzuhalten.“
Und wie beurteilt der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses die jüngsten Entwicklungen bei den Kämpfen in der Ukraine?
„Aus der Situation folgt, dass Russland noch nicht zu dem Schluss gekommen ist, seine Ziele nicht mehr mit militärischer Gewalt erreichen zu können. Bislang ist der Kreml stattdessen davon überzeugt, dass dies möglich ist. Solange dort diese Überzeugung herrscht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Russland motiviert ist, an den Verhandlungstisch zu kommen.“
Alle bisherigen Vorstöße von russischer Seite hält Pavel eher für ultimative Forderungen nach einer bedingungslosen Kapitulation der Ukraine und nicht für solide Vorschläge für Friedensverhandlungen. Und weiter sagt er:
„Da es hier nicht nur um die Sicherheit der Ukraine, sondern auch um unsere eigene Sicherheit geht, sollte unser Anliegen sein, dass Russland in der Ukraine keinen Erfolg hat. Mit anderen Worten, dass wir die Ukraine in dem Maße unterstützen, bis Russland begreift, dass der einzige Weg zur Beendigung dieses Konflikts nicht in seiner weiteren Fortsetzung, sondern in Verhandlungen besteht.“
Die Situation habe sich noch nicht zu Gunsten einer der Konfliktparteien entwickelt, ergänzt Petr Pavel:
„Es liegt in unserem Interesse, dass die Ukraine so viel wie möglich von ihrem Territorium verteidigt. Selbst mit all unserer Hilfe ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie in der Lage sein wird, alle ihre besetzten Gebiete in kurzer Zeit zu befreien. Wahrscheinlicher ist, dass Verhandlungen beginnen und ein Kompromiss erreicht wird. Es ist auch möglich, dass ein Teil des ukrainischen Territoriums vorübergehend von Russland besetzt sein wird.“
Laut Pavel setzt Russland nun seine Hoffnungen auch auf die US-Wahlen im November. Aufgrund einiger Äußerungen von Donald Trump werde erwartet, dass er geneigt sein werde, einen Deal mit Russland zu schließen, erwähnt der tschechische Präsident. Der tschechische Präsident fordert dazu auf, die Zeit nutzen, um die Position der Ukraine bis dahin so weit wie möglich zu stärken:
„Sollte es zu Verhandlungen kommen, sei es im Herbst dieses Jahres oder zu Beginn kommenden Jahres, sollte die Ukraine aus einer möglichst starken Position heraus dort hineingehen, denn das ist auch in unserem Interesse.“
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