Tschechisch-deutsche Blicke auf die EU

Illustrationsfoto: GUE/NGL, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Europa vor den Wahlen. Deutschland gilt als einer der Motoren der Europäischen Union. Tschechien hingegen steht Brüssel häufig kritisch gegenüber. Wie erleben nun jene die EU, die mit beiden Ländern verbunden sind? Eine Begegnung mit drei Menschen, die einen ganz unterschiedlichen Bezug zur EU haben.

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Marie C. lebt als gebürtige Tschechin in München. Ihre Familie musste 1977 vor dem kommunistischen Regime aus der Tschechoslowakei fliehen. Heute ist sie enttäuscht von ihrem Heimatland. Nur eine stärkere EU kann für sie Tschechien auf den richtigen Weg bringen:

„Ich bin der Meinung: Es gibt keine Alternative zu Europa, zumindest keine gute.“

Ihr Sohn Victor studiert in Prag. Er spricht sowohl fließend Tschechisch als auch Deutsch. Und er ist mit beiden Kulturen aufgewachsen. So besorgt wie seine Mutter ist Victor allerdings nicht:

„Man muss den Tschechen mehr Zeit geben, 15 Jahre sind nicht mal eine Generation.“

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Die Tschechin Ida Wiedermannová ist eine Kommilitonin von Victor. Sie studiert Deutsch-Österreichische Studien an der Prager Karlsuniversität. Mehrere Semester verbrachte sie in Österreich und Deutschland. Sie findet, den Tschechen fehle jegliche Wertschätzung für die EU.

„Viele werden von Fake news beeinflusst und denken, dass die EU das große Übel ist“, so Wiedermannová.

Rückkehr nach Prag

Wer heute unter 40 Jahre alt ist, hat das geteilte Europa des Kalten Kriegs nicht miterlebt. Bei Marie C. ist das anders. Ihre Familie musste aus dem eigenen Land fliehen. Für sie ist die EU deshalb unumgänglich.

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„Es wäre wichtig, dass diese Einheit mehr betont wird und man nicht nationalistisch denkt, sondern europäisch. Das ist im Sinne von uns allen. Wir wollen freie Grenzen, frei reisen, junge Leute wollen Arbeit suchen, wo es ihnen gefällt. Das ist nicht möglich, wenn Europa es mit der Einheit nicht ernst nimmt. Ich bin der Meinung: Es gibt keine Alternative zu Europa. zumindest keine gute.“

Marie C. hat mit ihrem deutschen Ehemann hat vier Kinder in München großgezogen. Allen hat sie sowohl Deutsch als auch Tschechisch beigebracht. Nur einen ihrer Söhne hat es aber in ihre alte Heimat verschlagen: Victor studiert in Prag „Internationale Beziehungen“. Wie ist es für sie, dass ihr Sohn nun in dem Land lebt, aus dem sie einst fliehen musste?

Illustrationsfoto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
„Für mich ist es weiterhin mein Heimatland. Ich schätze die Kultur dort sehr. Ich fühle mich diesem Land verbunden. Auch dass ich kritisch bin, bedeutet keinen Widerspruch. Ich bin kritisch, weil mir das Land am Herzen liegt. Ich sorge mich um die Zukunft. Ich möchte, dass die jungen Menschen unter besseren Bedingungen leben, als ich das damals konnte.“

Victor – der deutscher Staatsbürger ist – lebt gerne in Prag. Für ihn hat das viele Vorteile: günstige Restaurants zum Beispiel und das bunte Stadtleben. Für ihn ist die EU hier deutlich spürbar:

„Durch mein Studium in Tschechien hab ich die Vorzüge gemerkt, ich musste mich nicht um ein Visum kümmern. Solche Dinge sollte man schätzen lernen.“

Trotz der häufigen Kritik aus Prag an Brüssel hat Victor keine Zweifel an einer europäischen Zukunft für das Land. Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit.

Ida Wiedermannová  (Foto: Archiv des Deutsch-tschechischen Jugendforums)
„Ich glaube, dass man den Tschechen noch Zeit geben muss, sie sehen nur wirtschaftliche Vorteile. Viele verbinden mit Europa ein Durcheinandermixen der Völker. Das greifen Populisten auf, gerade in Ländern mit homogener Bevölkerung. Man muss ihnen Zeit geben, Erfahrungen zu sammeln, 15 Jahre sind nicht mal eine Generation“, findet der Student.

Fehlende Wertschätzung

Ida Wiedermannová ist Tschechin – und hat eine Vorliebe für die deutsche Sprache. Sie studiert Deutsch-Österreichische Studien an der Karlsuniversität, verbrachte in beiden Nachbarländern jeweils ein Semester. Für sie ist nicht die fehlende Erfahrung das Problem. Ida wünscht sich von ihren Landsleuten mehr Wertschätzung für die EU:

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„Viele werden von Fake News beeinflusst und denken, dass die EU das große Übel ist. Dass wir keine Rechte haben in Europa. Da muss man etwas machen. Die Menschen in Tschechien sollten mehr darüber wissen, welche Rechte sie als europäische Bürger haben. Sie sollten das schätzen lernen wie auch die Finanzhilfen aus den europäischen Fonds, durch die alles neu gebaut wurde. Die Leute, denke ich, sind sich dessen nicht so bewusst.“

Drei Menschen, drei Geschichten. Was sie eint, ist ihre Liebe zu Tschechien und Deutschland – und die EU als große Hoffnungsträgerin. Sie verbindet beide Länder. Was wünschen sie sich also für die Zukunft? Für Ida ist es mehr Umweltbewusstsein:

Foto: Nostrifikator,  CC BY-SA 3.0
„Die Beziehungen sind die besten, die wir je hatten. Ich denke, es wäre gut, wenn die Tschechen sich mehr an Deutschland orientieren würden. An dem grünen Denken, dem Kohleausstieg. Das ist wichtig für die Zukunft. Das Problem ist, dass in Tschechien die Atomenergie noch immer gefördert wird.“

Marie C. hofft auf ein geeintes Europa. Mit Chancen auch für kleine Länder wie Tschechien.

„Ich denke, gerade die kleinen Länder in Europa wie Tschechien und Ungarn haben keine Chance, wenn sie sich nicht in Europa integrieren. Europa als Verbund ist wichtig als Gegenspieler zu China und Russland.“

Victor wünscht sich ein tolerantes Tschechien, eine multikulturelle Gesellschaft wie in Deutschland:

„Die Unterschiede sind doch deutlich zwischen Tschechien und Deutschland, vor allem was den Europabezug anbelangt. Man spürt in Tschechien eine gewisse europakritische Haltung. Und ich glaube, es ist wirklich bei uns durcheinander gemischt. Das ist es, was ich unter Multi-Kulti verstehe.“