Tschechische Bibliothek: "Ein Fundament für die Rezeption der tschechischen Literatur"
Deutschland und Tschechien sind nicht nur Nachbarländer. Sie teilen sich eine gemeinsame Geschichte und gemeinsame kulturelle Errungenschaften. Sicherlich kennt der eine oder andere Deutsche auch einen tschechischen Autor. Doch reicht dieses Wissen aus, um Tschechien als reiche Kulturnation wahrzunehmen? Die im Frühjahr fertig gestellte "Tschechische Bibliothek" gibt interessierten deutschsprachigen Lesern die Möglichkeit, sich in 33 Bänden mit der tschechischen Literaturlandschaft zu befassen und bietet Einblicke in das Leben und Denken der Tschechen.
Am Anfang stand ein Programmentwurf für etwa 30 Bände: Doch Eckhard Thiele, Chefredakteur der Tschechischen Bibliothek, wusste gleich, dass die Sammlung nicht nur aus Gedichten, Romanen und Erzählungen bestehen sollte. Er wollte ein breitgefächertes Angebot, um ein Gesamtbild der tschechischen Literatur und demzufolge der tschechischen Kultur zu geben:
"Deshalb diese Dreiteilung: eine Abteilung Dichtung, eine Abteilung Prosa und eine Abteilung Kultur,- Geistesgeschichte und Philosophie."
Seit dem Jahr 1999 erschienen in der Deutschen Verlags-Anstalt jährlich vier neue Bände, jeweils zwei zum Frühjahr und zum Herbst. Mit der Buchreihe, die eine Initiative der Robert-Bosch-Stiftung ist, will man vor allem die Neugierde auf ein Mitgliedsland der Europäischen Union wecken.
"Es wurde natürlich in Deutschland schon immer tschechische Literatur übersetzt und verlegt. Aber das Interesse für die Literatur der Nachbarn war doch abhängig von politischen Konjunkturen. Zum Beispiel: um 1968 herum und dann wieder 1989/90. Das politische Geschehen spielte eine große Rolle, weckte Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeit lenkte sich automatisch auf die tschechische Literatur. In den Zeiten, wo politische Dinge keine große Rolle spielten, da lief alles eher so vor sich hin. Irgendwie hatte man immer das Gefühl, es ist eigentlich schade, denn es fehlt ein Gesamtbild von dieser Literatur, die so reich ist. Gerade von diesem Reichtum sollte man ein Bild vermitteln. Man sollte ein Fundament für die Rezeption der tschechischen Literatur schaffen", so Thiele.
Nun, nach knapp zehn Jahren, kann man auf eine beachtliche Leistung zurückblicken: 66 Übersetzer und Bohemisten arbeiteten an der Herausgabe der Texte von 213 tschechischen Autoren. Der seit seiner Kindheit an den Rollstuhl gebundene Thiele hat zudem seine ganze Energie in das Projekt gesteckt:
"Die Belastung war ungeheuer. Ich fürchtete sogar, dass ich es gesundheitlich nicht durchstehen würde. Aber von mir aus aufgeben, wollte ich auf keinen Fall. Mir war klar: Solange ich lebe, werde ich dafür kämpfen, dass das Projekt zu Ende geführt wird. Und das ist mir auch gelungen und ich bin unglaublich froh darüber. Dass das Ganze dann auch noch diesen hohen festlichen Abschluss beim Bundespräsidenten gefunden hat, freut mich ungemein."
Die Schirmherrschaft für das Projekt hatten nämlich Bundespräsident Horst Köhler und der Staatspräsident Vaclav Klaus übernommen. Ende August würdigten Vertreter aus beiden Ländern, darunter Horst Köhler, bei einem feierlichen Akt im Berliner Schloss Bellevue und in der Tschechischen Botschaft den Abschluss der Tschechischen Bibliothek. Auch die Robert-Bosch-Stiftung, die das Projekt mit rund einer Million Euro gefördert hat, ist überzeugt, dass die Tschechische Bibliothek ihren Zweck erfüllt:
"Die Abschlussveranstaltung in Berlin hat noch einmal deutlich gezeigt, dass wir so die Möglichkeit, deutschsprachigen Lesern Zugang zur tschechischen Literatur zu ermöglichen, realisieren konnten. Das war die Grundidee. Denn in Deutschland ist die Kenntnis der tschechischen Literatur leider nicht ausreichend. Das hat aber in allererster Linie sprachliche Gründe", so Joachim Rogall.
Als Leiter des Programmbereichs "Völkerverständigung Mittel und Osteuropa" bei der Robert Bosch Stiftung, sieht er in dem Projekt zudem eine doppelseitige Beziehung zwischen beiden Ländern:
"Unser zweites Anliegen war, dass die Tschechen von den Deutschen als Kulturnation wahrgenommen werden. Und zudem den Tschechen zu zeigen, das wir erhebliche Mittel bereit stellen, damit eben Tschechien als Kulturnation in Deutschland präsent ist."
Eckhard Thiele ist neben Hans Dieter Zimmermann, Peter Demetz, Jiri Grusa und Peter Kosta Mitherausgeber der Tschechischen Bibliothek. Als Redakteur hat er jeden einzelnen Band editorisch betreut, die Übersetzungen mit dem Original verglichen und die Arbeit der anderen Übersetzer koordiniert. Dafür wurde er 2005 mit dem Gratias-Agit-Preis des tschechischen Außenministeriums ausgezeichnet. Übersetzt hat er für die Sammlung vor allem Werke von Karel Capek und Karel Hynek Macha. Für ihn, so betont er, war es nicht das Schwerste, eine Auswahl für die Tschechische Bibliothek zu finden, sondern bestimmte Autoren auszulassen. Ebenso legte das Team großen Wert darauf, nicht schon Bekanntes zu verlegen, sondern dem Leser neue Einblicke in die Literaturlandschaft Tschechiens zu geben. So entschied man sich zum Beispiel gegen die "Großmutter", dem wohl bekanntesten Werk von Bozena Nemcova und veröffentlichte ihre Briefe, die erstmals ins Deutsche übersetzt wurden. Der Band wurde von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt zum Buch des Monats November 2006 gewählt.
"Ähnlich ist es uns mit Jan Nerudas ´Kleinseitner Geschichten´ ergangen. Die liegen auch in mehreren Übersetzungen vor und man findet sie bereits auf dem deutschen Buchmarkt. Stattdessen haben wir ´Die Hunde von Konstantinopel - Reisebilder´ gebracht. Dafür haben wir viel Lob geerntet, und auch dieses Buch wurde zum Buch des Monats gewählt - im August 2007", so der 63 -Jährige.
Der Erfolg der Tschechischen Bibliothek, liegt also vor allem in der Veröffentlichung bisher unbekannter Werke bereits bekannter Autoren. So fanden zum Beispiel auch die Musikerbriefe der berühmten Komponisten Smetana, Dvorak und Janacek ihren Platz in der rund 13500 Seiten umfassenden Sammlung.
Das zehnjährige Projekt gab vor allem auch jungen Übersetzern die Möglichkeit, sich beruflich weiterzuentwickeln und neue Erfahrungen zu sammeln. Thiele, der schon seit 1966 als freier Übersetzer tätig ist, weiß, dass die Arbeit des Übersetzers mitunter zwei Seiten hat:
"Übersetzen ist einerseits eine wunderbare, andererseits eine furchtbare Arbeit: wunderbar, weil ein Übersetzer den Text so genau liest wie niemand sonst. Er muss jede Nuance wahrnehmen und sich Gedanken machen, ob er alle Nuancen erfasst hat. Und wenn er das alles erfasst hat, muss er entscheiden, wie er das in die andere Sprache transponiert. Das ist ein so aufregendes und schönes Geschäft, dass man nur sagen kann, es ist eine wunderbare Profession. Aber es ist zugleich eine anspruchsvolle Knochenarbeit: Man muss sehr viel kennen und können. Man muss wirklich hart daran arbeiten. Wer zum Beispiel einen Roman mit 200, 300, gar 500 Seiten übersetzt hat, der hat eine Riesenarbeit bewältigt. Und das ist das Zweischneidige daran: Es ist wunderschön und fürchterlich schwer."
Die harte Arbeit hat sich aber gelohnt: Die Resonanzen waren von Anfang an sehr positiv. Auch Eckhard Thiele ist begeistert von den Reaktionen auf die Buchreihe und wünscht sich, dass die erschienenen 33 Bände für längere Zeit auf dem Markt bleiben. Für ihn hat sich jedenfalls schon jetzt ein kleiner Lebenstraum erfüllt:
"Ich hab gewusst, dass die tschechische Bibliothek gut wird. Aber ich werde ihnen sagen: Sie ist noch viel besser geworden, als ich es mir erträumt habe."
Die Tschechische Bibliothek ist die größte Edition tschechischer Literatur außerhalb Tschechiens. Als bisher erfolgreichster Band gilt Jaroslav Haseks "Urschwejk": eine autobiographische Satire über sein Leben als Stadtkommandant im bolschewistischen Russland.