Tschechische Premiere: Hindemiths Märchenstück „Tuttifäntchen“ als „LouTkáček“ im Ständetheater
Am Donnerstag erlebt die Oper „Tuttifäntchen“ von Paul Hindemith ihre tschechische Premiere. Das Weihnachtsspiel mit Gesang und Tanz wird im Prager Ständetheater aufgeführt. Martina Schneibergová hat vor der Premiere mit dem Inszenierungsteam gesprochen.
Paul Hindemith schrieb „Tuttifäntchen“ im Herbst 1922. Das Weihnachtsspiel mit Gesang erlebte am 13. Dezember 1922 im Hessischen Landestheater in Darmstadt seine erfolgreiche Premiere. In Tschechien wird das Weihnachtsmärchen 101 Jahre nach seiner Entstehung nun zum ersten Mal aufgeführt. Hindemith komponierte das Werk über die Holzpuppe Namens Tuttifäntchen für Kinder. Das Libretto stammt von Hedwig Michel und Franziska Becker. In Prag wird die Kinderoper im Rahmen des Zyklus Musica non grata dargeboten. Denn ab 1936 war die Aufführung von Hindemiths Werken in Deutschland verboten, sie galten als „entartete Kunst“. Der Komponist ging mit seiner jüdischen Frau Gertrud 1938 zuerst ins Exil in die Schweiz, zwei Jahre später dann in die USA.
Um Hindemiths Weihnachtsspiel als eine Vorstellung für Kinder aufführen zu können, hat es Ondřej Hučín ins Tschechische übertragen. Er ist Dramaturg der Oper des Prager Nationaltheaters. Im Tschechischen heißt die Holzpuppe und damit auch das Stück „LouTkáček“. Auf das hierzulande völlig unbekannte Weihnachtsmärchen von Hindemith habe ihn vor mehr als einem Jahr der Musikdirektor der Oper, Dirigent Robert Jindra, aufmerksam gemacht, erzählt Ondřej Hučín.
„Ich denke, er hat selbst nicht gewusst, was wir damit anfangen sollen. Mit der Regie wurde Radim Vizváry beauftragt. Er forderte mich als Dramaturg zur Zusammenarbeit auf. Als ich versuchte, mehr Informationen über das Stück zusammenzutragen, stellte sich heraus, dass es auch in Deutschland relativ wenig bekannt ist. Während der letzten 100 Jahre wurde es dort nur einige Male aufgeführt. Vom Verlag Schott erhielten wir ein Textbuch, denn es ist eigentlich keine Oper, sondern eher ein Singspiel oder ein Spiel mit Gesang. Das Textbuch war nur ein Reprint des Originaltextes von 1922, das in Frankfurt in der Schwabacher Schrift herausgegeben wurde. Etwas Moderneres steht schlichtweg nicht zur Verfügung.“
Den Text übertrug der Dramaturg ins Tschechische. Dies war, wie er erzählt, nicht ganz einfach. Die erste grobe Fassung der Übersetzung habe er dem Regisseur und der Bühnenbildnerin zur Verfügung gestellt, sagt Hučín.
„Das war die Grundlage. Und anschließend war es notwendig, das Stück dramaturgisch zu gestalten. Denn so, wie es geschrieben war, wollten wir es nicht spielen. Es gab dort viele Sprechrollen und viele Nebengeschichten. Wir wollten uns auf die Welt der Puppen und die Welt der Menschen konzentrieren. Drittens war es notwendig, die Texte, die in Versen geschrieben sind, ins Tschechische zu übertragen. Ich würde sagen, dass nicht alles im Originaltext sehr kreativ war. Wir haben uns bemüht, immer einen Gedanken in den Text einzubeziehen.“
Die wichtigste Person aus der Menschenwelt ist in dem Märchen ein Mädchen, das im Originaltext Trudel heißt. Der Übersetzer benannte sie Týna, was seinen Worten zufolge im Tschechischen schön klingt.
„Sie ist ein Mädchen ohne Mutter. Sie glaubt, dass ihre Mutter im Himmel ist und ihr einen Stern schickt. Týna soll zu Weihnachten hinausgehen und den Stern finden. Das ist eines der Hauptmotive des Stücks. Týna beschließt mit ihrem Freund Peter, dass sie in der Nacht das Haus verlassen, um nach dem Stern zu suchen. Inzwischen kommt in der Werkstatt des Holzschnitzers die Holzpuppe Tuttifäntchen – LouTkáček zur Welt. Die Holzpuppe überredet Týna – oder bezaubert sie vielmehr –, indem sie ihr das Herz wegnimmt, und Týna begibt sich mit LouTkáček anstelle mit Peter auf den Weg in die Welt.“
Wie kam Ondřej Hučín auf den tschechischen Namen LouTkáček, in dem der Wortstamm „loutka“ also Puppe oder Marionette zu hören ist?
„Der Holzschnitzer, der der Vater des Mädchens Týna ist, heißt im Originaltext Tuttifant. Sein Werk, die Holzpuppe, heißt Tuttifäntchen. Im Tschechischen funktioniert das nicht. Ich habe mit Regisseur Vizváry deshalb den Neologismus ,LouTkáček‘ erdacht.“
Angespielt wird damit auch an die hierzulande bekannte Übersetzung des „Nussknackers“, der hier „Louskáček“ heißt.
Anlässlich der Aufführung eines Werks von Paul Hindemith erinnerten die Mitglieder des Inszenierungsteams daran, dass der Komponist 21-Mal die ehemalige Tschechoslowakei besuchte. Er trat dort bei 23 Konzerten auf, entweder als Dirigent oder als Bratschist. Zuletzt nahm er 1961 am Festival Prager Frühling teil. Besonders gern reiste Hindemith nach Ostrava / Ostrau. In der dortigen Gaststätte „U Rady“ ist er sogar mit der Gedenkurkunde „Ostrauer Stammgast“ vertreten.
Das Stück „Tuttifäntchen“ studierte mit dem Orchester und den Solisten des Nationaltheaters musikalisch der Dirigent David Švec ein. Hier ein Gespräch mit dem Musiker:
Herr Švec, „Tuttifäntchen“ ist hierzulande praktisch unbekannt. Haben Sie es gekannt, als Sie angesprochen wurden, um das Stück einzustudieren?
„Es gibt eine CD-Aufnahme des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, die wir natürlich zur Verfügung hatten. Nun handelt es sich aber um die tschechische Premiere, in unserem Land haben wir sonst keine Gelegenheit, diese Musik zu hören. Bekannter als die Oper ist die Suite, die Hindemith geschrieben hat. Sie ist schön und berühmt, das BBC Symphony Orchestra hat sie aufgenommen. Es gibt einige Aufnahmen, aber live haben wir sie nie gehört.“
Eigentlich ist „Tuttifäntchen“ gar keine richtige Oper, sondern eher ein Spiel mit Gesang. Wie ist die Besetzung des Orchesters?
„Es ist ein Spiel mit Gesang und Tänzen. Es spielt ein Kammerorchester – mit 21 Musikern. Man fühlt jedoch, dass es Hindemith ist. Es gibt da einige Teile, die etwas mit Weihnachten zu tun haben. Interessant für uns Tschechen ist die Tatsache, dass die Ouvertüre mit dem böhmischen Weihnachtslied ,Nesem vám noviny‘ beginnt, auf Deutsch ist es ,Kommet, ihr Hirten‘. Das Lied ist in den deutschsprachigen Ländern ziemlich bekannt. Es stammt aber aus Böhmen, 1870 wurde es in Leipzig als ein böhmisches Weihnachtslied publiziert. Das kann für das tschechische Publikum interessant sein.“
Und „Adeste fideles“ kommt zum Abschluss…
„Genau, das lateinische Lied erklingt zum Abschluss, jedoch mit einem anderen Text, der mehr mit der Handlung zusammenhängt.“
Erkennt man, dass es Musik von Hindemith ist?
„Ja, wir erkennen schon im ersten Moment, dass ein guter Komponist dahinter steht. Hindemith arbeitet auch ein bisschen mit der Harmonie, mit dem Orchesterklang. Wir müssen jedoch sagen, dass er in dieser Oper ganz traditionell mit Musik gearbeitet hat.“
Das Stück ist für Kinder bestimmt. Können sich die Kinder vielleicht eine der Melodien merken – neben „Nesem vám noviny“?
„Ja, schon. Das Spiel wurde für Kinder geschrieben. Ich denke, alle Melodien können auch Kinder singen.“
Werden die Zuschauer auch das Orchester sehen? Für Kinder wäre das bestimmt interessant.
„Wir haben uns entschlossen, das Orchester ein bisschen höher als normalerweise zu platzieren. Wir sind nicht so hoch wie die Bühne, aber die Zuschauer können uns sehen.“
Wie ist das Stück für die Solisten, die sprechen, spielen und natürlich auch singen müssen?
„Hinzu kommt ja noch, dass zwei der Solisten Kinderrollen spielen. Alle müssen spielen, sprechen, singen und tanzen. Aber sie lieben das, denn es ist etwas Spezielles in der Opernwelt. Das Orchester schätzt das Stück auch sehr. Es ist zwar nicht kompliziert, aber man spürt, dass es ein Meister geschrieben hat.“
Die erste Premiere von Paul Hindemiths „Tuttifäntchen“ findet im Prager Ständetheater am Donnerstag um 17 Uhr statt, die zweite dann um 19.30 Uhr. Für beide Vorstellungen gibt es noch Restkarten.