Tschechische Pressestimmen zur Verabschiedung der EU-Verfassung im Europaparlament und dem neuen Reformwillen von Premier Gross

Stanislav Gross (Foto: Zdenek Valis)
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Auch in der abgelaufenen Woche waren die Folgen der Flutkatastrophe in Südostasien das beherrschende Thema in Tschechiens Blätterwald. Dennoch fanden aber auch andere - man könnte fast schon sagen alltägliche - Themen diesmal stärkere Beachtung. Davon zeugen nicht zuletzt die Aufmacher der Zeitungen in den vergangenen sieben Tagen. Mehr dazu im folgenden Medienspiegel mit Robert Schuster.

So eröffnete etwa die auflagenstärkste unter den seriösen tschechischen Tageszeitungen, die Mlada fronta Dnes, ihre Freitagsausgabe mit der Titelzeile "Prager Taxifahrer bestahlen Prags Oberbürgermeister" und widmete sich somit einem bereits seit mehr als zehn Jahren bestehenden Problem, welches der tschechischen Metropole schon mehrmals negative Schlagzeilen brachten.

In besagtem Artikel wurde geschildert, wie Prags Stadtoberhaupt auf Anregung der Mlada fronta Dnes sich als Englisch sprechender Ausländer verkleidet mehrmals durch die tschechische Metropole fahren ließ und dabei etwa für eine drei Kilometer lange Strecke sage und schreibe 785 Kronen (umgerechnet 26 Euro) bezahlen musste, was in etwa dem Sechsfachen des normalen Preises entsprach.

Mahmud Abbas  (Foto: CTK)
Ansonsten schenkten viele Tageszeitungen in Ihren Aufmachern und den Redaktionskommentaren zwei Bereichen ganz besondere Beachtung - zum einen dem Ergebnis der Präsidentenwahlen in Palästina und zum anderen dem Abstimmungsverhalten der 24 tschechischen Mandatare bei der Verabschiedung des Europäischen Verfassungsvertrags durch das Europäische Parlament.

Beim letztgenannten Thema kommentierten die Medien vor allem den Umstand, dass es neben der britischen und polnischen auch noch in der tschechischen Abgeordnetenriege im EU-Parlament keine Mehrheit für Vertrag gegeben hat.

In der Mlada fronta Dnes geht Martin Komarek der Frage nach, welche Konsequenzen wohl ein Nein bei der Ratifizierung des Verfassungsvertrags in Tschechien für das Land hätte:

Foto: CTK
Schon jetzt wird intensiv darüber diskutiert, was wohl geschehen würde, wenn ein Mitgliedsland, oder sogar mehrere, den Verfassungstext ablehnen würden. Die Vorstellung, dass die Union dann einfach zur Tagesordnung übergehen, oder vielleicht in die Zeit vor dieser Verfassung zurückgehen könnte, ist wahrscheinlich recht naiv. Es gilt vielmehr als wahrscheinlich, dass für diesen Fall die besagten Länder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen würden. Schon das zeigt den Unterschied zwischen Brüssel und Moskau und dass dieser Vergleich, den gerade viele Europakritiker oft bemühen, nicht zutrifft. Die Europäische Union verfährt nämlich stets nach klaren Regeln und respektiert die Partner. Diese Regeln können aber auch sehr hart sein.

Viele Meinungsartikel zu diesem Thema gingen insbesondere auf das Abstimmungsverhalten der größten tschechischen Fraktion im Europaparlament ein, der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS). Die Bürgerdemokraten, die gemäß den aktuellen Umfragen gute Aussichten haben, die nächsten Wahlen zu gewinnen, haben in Strassburg geschlossen gegen den Vertragstext gestimmt.

Dazu schrieb der Publizist Ondrej Neff in seiner Internetzeitung Neviditelny pes:

Die Bürgerdemokraten haben sich im Europaparlament auf Grund ihres klaren Nein in einem seltsamen Bündnis mit den Kommunisten wieder gefunden. Für die Bürgerdemokraten muss das überhaupt ein komisches Gefühl sein, denn schließlich befürwortet eine klare Mehrheit ihrer Anhänger die Mitgliedschaft Tschechiens in der EU. Weiters überrascht auch, wie schwammig die Argumente sind, welche die Bürgerlichen gegen den Verfassungstext bislang bemüht haben. Da wird zum Beispiel immer von einer nicht weiter erläuterten deutsch-französischen Gefahr gesprochen, die angeblich drohen würde. Dagegen ist schon die Haltung der Kommunisten einleuchtender: Je stärker das Land in die europäischen Strukturen eingebunden sein wird, desto mehr schwinden die Chancen der Kommunisten auf ein politisches Comeback. Das deutsch-französische Gespenst, welches von den Bürgerlichen bemüht wird, scheint dagegen für Wähler der rechten Mitte wenig gespenstisch zu sein.

Jan Zahradil  (Foto: Zdenek Valis)
Abschließend fanden wir zur Abstimmung über den Verfassungstext noch einen Kommentar in der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny. Dessen Autor Adam Cerny macht sich dabei einige grundlegende Gedanken über den europäischen Verfassungsvertrag:

Auch wenn man das Gewicht von drei Vierteln aller Europaabgeordneten, die für die neue Verfassung gestimmt haben, nicht relativieren kann, war doch die Debatte unter den Abgeordneten, die am Vortag geführt wurde, interessanter als das eigentliche Abstimmungsergebnis. Die Argumente, welche dort aufgetischt wurden, werden nun in den kommenden Monaten in den Mitgliedsländern immer aufs Neue und in verschiedenen Variationen wiederholt werden. Die Linke befürchtet, dass in der Union einem ausufernden Liberalismus Tür und Tor geöffnet werden könnte; die Rechte schürt wiederum die Ängste vor drohenden sozialistischen Tendenzen. Auch wenn natürlich der Vertragstext, über den jetzt in Strassburg abgestimmt wurde, bei weitem nicht ideal ist, ist das klare Votum dennoch ein Beweis, dass die europäische Verfassung Zustimmung verdient.

Stanislav Gross  (Foto: Zdenek Valis)
Tschechiens sozialdemokratischer Regierungschef Stanislav Gross - und damit kommen wir zu unserem nächsten Thema - kämpft gegenwärtig an vielen Fronten gleichzeitig. Schon seit seiner Ernennung zum Regierungschef muss er vor wichtigen Abstimmungen immer wieder um seine knappe Mehrheit im Parlament bangen. Zu Jahresbeginn haben sich für Gross zudem noch weitere Fronten eröffnet, wie etwa die begonnene Debatte über den Europäischen Verfassungsvertrag oder die für Frühjahr geplanten Vorstandswahlen bei den tschechischen Sozialdemokraten, wo sich Gross auch offiziell zum Parteichef wählen lassen will.

Zur aktuellen Strategie des Ministerpräsidenten, mit der er aus diesen Auseinandersetzungen stets als Sieger aus dem Rennen gehen könnte, schrieb Pavel Masa in der Tageszeitung Lidove noviny:

Der Versuch auf mögliche Erfolge der gegenwärtigen Regierung zu setzen, ist eigentlich die einzige Chance welche den Sozialdemokraten noch bleibt. Gross klammert sich an dieser Vorstellung fest. Deshalb verkündet er in letzter Zeit so häufig, dass das Sparprogramm seiner Regierung erste Erfolge zeigen würde. All jene seiner Parteigenossen, die sich nun zu Wort melden und meinen, die Lage würde bei weitem nicht so rosig sein, oder der Chef hätte gar Fehler begangen, werden nun zum Schweigen gebracht.

Dass der tschechische Ministerpräsident nach einer Serie von empfindlichen Wahlniederlagen vom Herbst vergangenen Jahres nun versucht in die politische Offensive zu übergehen - davon zeugen nicht zuletzt einige jüngst bekannt gewordenen Vorstöße des Premiers. Dazu gehört insbesondere die Idee die Einkommenssteuer zu senken. Diese Initiative, die bei einem sozialdemokratischen Politiker vielleicht sonst überraschen mag, leuchtet jedoch ein, wenn man bedenkt, dass gerade die politische Konkurrenz, die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) eine radikale Herabsetzung der Einkommenssteuer fordert. Bereits jetzt verkünden die Bürgerdemokraten, dass die Einführung der so genannten Flat-Tax das Herzstück ihrer künftigen Regierungspolitik werden würde. Dazu möchten wir Ihnen, lieber Hörerinnen und Hörer abschließend noch einige Stellen aus einem Kommentar von Martin Jasminsky zitieren, der in der Mlada fronta Dnes erschienen ist:

Man sollte angesichts der jüngsten überraschenden Vorschläge des Regierungschefs genau hinhören, ob die anvisierte Herabsetzung der Einkommenssteuer auch von einer Vereinfachung des Steuersystems begleitet werden soll, oder ob es lediglich eine elegantere Form ist, wie man das Geld, welches der Staat in der Vergangenheit mühsam eingespart hat, wieder anderswo ausgeben kann. Dann sollte aber Gross auch offen sagen, wo er die Mittel für die Sanierung des schwer defizitären Gesundheitsbereichs, oder die Finanzierung der großzügigen Sozialleistungen nehmen will. Den Applaus für diese Vorschläge sollten wir uns also lieber für später aufheben."