Tschechische Solistin mit lettischem Orchester für deutsche Musikliebhaber
Sprachkenntnisse braucht man nicht, sobald man ein Musikinstrument spielen kann. Dies haben Anfang August junge Tschechen, Deutsche und Letten bewiesen, die sich beim Dritten internationalen Jugendmusikfestival im süddeutschen Rodachtal getroffen haben. Musik machen, Kontakte knüpfen, aber auch journalistische Texte schreiben - so ist die Woche im Coburger Land verlaufen. Bara Prochazkova war dabei.
"Die Musiker kommen ohne Sprachkenntnisse einfach so zusammen und spielen miteinander", bestätigte der Organisator des Musikfestivals Oleg Dynov. Vor drei Jahren hat der Opernsänger russischer Herkunft im Coburger Land ein Musikinstitut gegründet und seit 2004 lädt er im Sommer auch Gäste aus dem Ausland ein. Einheimische Solisten spielten mittlerweile mit einem Orchester aus Estland oder mit Musikern aus Mexiko, Italien, Weißrussland und Lettland. Auch Tschechen gehören zu den Stammgästen, dieses Jahr vertreten durch das Schlagzeugensemble Aries aus dem nordböhmischen Liberec / Reichenberg.
Die Gegend, in der die jungen Musiker aus Ost und West zusammentreffen, trägt auf eine besondere Weise die Vergangenheit des Eisernen Vorhangs mit sich. Denn der Eiserne Vorhang verlief nur wenige Kilometer von den Orten entfernt, wo die Jugendlichen heute gemeinsam musizieren, betont der Bürgermeister der Stadt Seßlach, Hendrik Dressel:
"Die Menschen in dieser Region sind deshalb von der Teilung Europas über fast ein halbes Jahrhundert in besonderer Weise berührt. Und wenn gerade junge Menschen aus dem Osten und aus dem Westen Europas sich zusammenfinden und regelmäßig musizieren, dann ist es eine wunderbare Geschichte."Dass die Musiker dabei aus unterschiedlichen Ländern kommen, war kaum zu merken, sagte die tschechische Schlagzeugspielerin Pavla Routova: "Es geht nicht darum, dass die Menschen aus unterschiedlichen Ländern kommen. Hauptsache das Orchester kann zusammen spielen. Es ist so, als würden dort Leute nur aus einem Staat spielen. Es gibt da keine Unterschiede."
Es wird immer schwieriger, junge Menschen für klassische Musik zu begeistern. Dies ist auch eines der Ziele für die Organisatoren des Festivals, denn sie haben sich vorgenommen, gerade dies zu ändern:
"Die Kinder begeistern sich für die klassische Musik, wenn sie bei uns sind. Aber sie müssen erst einmal kommen. Deshalb machen wir solche Veranstaltungen, um die Jugendlichen zu begeistern", sagt der Gesangslehrer Oleg Dynov. Um den Jugendlichen klassische Musik näher zu bringen, haben Kinder bis 13 Jahre freien Eintritt, für Schüler gibt es dann ermäßigte Eintrittskarten. So sollen ganze Familien Konzerte genießen können. Aber nicht nur ihnen soll das Festival etwas bringen, meint Oleg Dynov:"Es ist sehr interessant, wenn Künstler zusammen kommen und miteinander musizieren müssen. Zum Beispiel spielen Solisten aus Deutschland, Italien oder Tschechien mit einem Orchester aus Estland. Sie proben ein oder zweimal und dann müssen sie auf die Bühne. Das ist eine sehr gute Erfahrung für die Menschen."
Die 16-jährige Xylophon-Spielerin Iveta Cendrova aus Tschechien konnte dies am eigenen Leib erfahren. In Seßlach kam sie das erste Mal mit dem lettischen Jugendorchester aus Ventspils zusammen und gleich ging es zur Probe:
"Der Dirigent hat nicht viel zu mir gesagt. Wenn er ohne mich spielen wollte, sagte er auf Englisch - only orchester - und das habe ich verstanden. Normalerweise spricht man bei Proben mehr, aber wegen dieser Sprachbarriere war das nicht der Fall. Hauptsache ist, dass wir uns musikalisch getroffen haben, bei nur einer Probe ist das sehr wichtig. Dabei war zum Unterhalten keine Zeit."
Und gerade in Deutschland treten die Tschechen immer gerne auf, denn "In Deutschland gibt es ein besseres Publikum. Immer, wenn ich in Deutschland bin, gibt es volle Säle. Es hängt nicht davon ab, ob es ein Dorf oder eine Stadt ist, die Menschen haben einfach das Bedürfnis, Musik zu hören. Menschen kommen immer zum Konzert. Das würde ich mir auch in der Tschechischen Republik wünschen", sagt der Leiter des tschechischen Percussion-Ensembles, Sergiy Grygorenko. Und der Erfolg der Tschechen bei Auftritten war nicht zu überhören.Aber nicht nur Musik verbindet. Im Rahmen des Musikfestivals wurde auch eine Autorenwerkstatt für angehende Journalisten veranstaltet. Die Jugendlichen sollten nicht nur über die Regeln und Methoden des Kulturjournalismus etwas lernen, sagt einer der Workshopleiter, Tim Birkner:
"Die Idee ist, dass die Autoren in einem ähnlichen Alter sind wie die Musiker. Die können sie also aus der jugendlichen Perspektive befragen und so auch über sie schreiben. Das alles in den jeweiligen Landessprachen. Die Deutschen sollen mitbekommen, wie die lettische und die tschechische Sicht ist und umgekehrt. Die Workshopteilnehmer sollen es mit ihren Worten übertragen."
Die jungen Journalisten haben recherchiert, Interviews geführt, Texte für die örtlichen Lokalzeitungen sowie für die Webseite geschrieben und schließlich viel fotografiert. Die Verbindung von Journalismus und klassischer Musik ist eine Besonderheit, bestätigt eine Teilnehmerin aus dem nordmährischen Ostrava, Renata Stolfova:"Einer der Gründe, warum ich an diesem Workshop teilnehme, ist gerade die klassische Musik. Normalerweise gehe ich nicht so oft zu Konzerten, weil ich dazu zu faul bin. Diese Musik gefällt mir aber sehr gut, weil man sich dabei entspannen und über die Musik nachdenken kann. Dieses Projekt war eine Gelegenheit, etwas Neues zu lernen und gleichzeitig bei klassischer Musik zu entspannen."
Diese Verbindung hat auch Veronika Vankova aus dem mährischen Olomouc gefallen: "Viele junge Leute denken gar nicht über klassische Musik nach. Dies kann ihnen zum Beispiel helfen, die klassische Musik zu entdecken. Es ist eine gute Kombination."
Trotzdem war es nicht so leicht, in die Haut der rasenden Reporterin zu schlüpfen, fügt Veronika hinzu: "Am schwierigsten war es, in einer fremden Sprache zu schreiben. Wenn man nicht die journalistischen Formulierungen und Methoden kennt, ist es etwas komplizierter."
Ob beide Tschechinnen später beruflich im Journalismus tätig sein werden, konnten sie noch nicht sagen. Zu Konzerten kommen sie jedoch immer wieder gerne.
Und sowohl für die Jugendlichen als auch für die Einheimischen im Coburger Land ist es nach dem dritten Mal bereits ein Stück Normalität geworden, dass man Orchester aus Lettland mit einer Solistin zum Beispiel aus Tschechien sehen kann, sagt der Bürgermeister von Seßlach, Hendrik Dressel:
"Für mich ist aber faszinierender, dass sich hier junge Leute aus ganz Europa treffen und gemeinsam musizieren. Die Sprache der Musik ist offensichtlich für jedermann verständlich."
Fotos: Veronika Vankova und Renata Stolfova