Tschechischer Clubfußball ist ganz tief unten im Keller angelangt
Im heutigen Sportreport befasst sich Lothar Martin mit dem tragenden Thema, das den tschechischen Clubfußball in den zurückliegenden Tagen und Wochen erschüttert hat: der Bestechungsskandal in der Gambrinus Liga, der obersten Spielklasse des Landes.
Wie wir Sie bereits zu Beginn des Monats informiert haben, ist die zuständige Kriminalpolizei gerade dabei, den größten Bestechungsskandal in der Geschichte des tschechischen Clubfußballs aufzudecken bzw. zu dokumentieren. Zur Erinnerung: In der Nacht zum 1. Mai war der damalige Sportdirektor des Erstligavereins 1. FC Synot, Jaroslav Hastík, von der Polizei an einer Tankstelle in flagranti erwischt worden, wie er dem Schiedsrichter Stanislav Hruska 175.000 Kronen für die "großzügige" Leitung der mit 2:0 gewonnenen Partie gegen Sparta Prag auszahlen wollte. Nur zwei Tage später wurde der Schiedsrichter Václav Zejda beschuldigt, für die Leitung des Spieles Blsany - Synot, das die Gäste am 22. November 2003 mit 3:1 gewonnen hatten, von demselben Hastík 120.000 Kronen dafür kassiert zu haben. Polizeikommissarin Jana Moravcová von der Abteilung zur Aufdeckung von Korruption und Finanzkriminalität bestätigte die Anschuldigung:
"Auf der Grundlage von vorliegenden Beweisen haben wir zwei Strafverfahren eingeleitet und zweimal Anklage erhoben. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit dem Spiel gegen Sparta. Es handelt sich um überzeugende Beweise, doch alle Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen obliegen der Staatsanwaltschaft. In allen Fällen wird jedoch ausreichend begründet, dass es sich um eine Straftat handelt."Hastík, der nach der Polizeiaktion an der Tankstelle noch beteuert hatte, den bei ihm gefundenen hohen Geldbetrag rein zufällig und zu privaten Zwecken bei sich zu haben, ist nach der zweiten Anschuldigung entnervt von seinem Amt zurückgetreten. Vermutlich sehr gut wissend warum. Denn wieder nur einige Tage später gab die Polizei bekannt, dass drei weitere Referees in die Bestechungsaffäre um das Spiel Blsany - Synot verstrickt seien. Nach dem Stand ihrer Ermittlungen sollen auch Schiedsrichterassistent Bohuslav Krátký und der vierte Unparteiische der Partie, Josef Dvorácek, vom gezahlten Schmiergeld partizipiert haben, während Schiedsrichter Jaromír Hlavác die Rolle des Geldboten übernommen haben soll. Der Skandal hat also weitere Kreise gezogen und nach Auskunft des stellvertretenden Leiters der Antikorruptionsabteilung der Polizei, Milan Siska, ist mit den bisher sechs beschuldigten Personen das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Laut Aussage von Innenminister Stanislav Gross führten die Spuren, die die Beamten seines Ressorts verfolgen, bis in höhere Funktionärskreise. Aber deshalb, so Gross weiter, sei es auch nicht einfach, entsprechende Beweise zu erbringen. Die Polizei, so die offizielle Mitteilung, werde daher alle bisher durchgeführten Überprüfungen weitgehend unter Verschluss halten, die Ermittlungen weiter vorantreiben und mit einem fundierten Zwischenergebnis erst um Mitte Juli aufwarten.
Seit den ersten Enthüllungen über korrupte Manager, bestechliche Schiedsrichter und ebenso käufliche Spieler steckt der Böhmisch-Mährische Fußballverband (CMFS) in einem Dilemma. Einerseits wollen die Verantwortlichen an der Spitze des Verbandes ihre Handlungsbereitschaft unter Beweis stellen, indem diejenigen Sünder, die gegen die Statuten verstoßen haben, disziplinarisch abgestraft werden. Andererseits wird ihnen die von der Polizei erbrachte Beweislast wie gesagt erst Mitte Juli vorgelegt. Daher blieb dem Chef der verbandsinternen Disziplinarkommission, Alexander Károlyi, zunächst nichts anderes übrig, als die offensichtlichen Missetaten zu verurteilen:
"Es geht hier nicht darum, wie viel kassiert wurde, also in welcher Höhe sich die Bestechungssumme bewegte, sondern es handelt sich um ein sehr ernsthaftes Disziplinarvergehen. Daher werden sich die Strafen ganz nahe an der oberen Grenze bewegen."
Inzwischen haben Károlyi sowie der Vorsitzende des Böhmisch-Mährischen Fußballverbandes, Jan Obst, Einsicht in die polizeilichen Akten erhalten. Hierbei haben sie sich davon überzeugen können, dass gegen die Beschuldigten tatsächlich Ermittlungen laufen und dass noch weitere Personen überprüft werden. Details wurden ihnen jedoch nicht an die Hand gegeben, so dass CMFS-Präsident Obst davon sprach, dass eventuell noch sechs sieben weitere Personen aus der Fußballbranche einer Straftat bezichtigt werden könnten. Der Polizeibeamte Siska ließ jedoch durchblicken, dass es auch noch einige Dutzend Personen sein könnten, die in die unlauteren Geschäfte verwickelt sind.
Eine Version, die die Fußballfunktionäre erschaudern lässt. Ebenso wie die Fiktion, dass insgesamt 14 der 16 Erstligavereine in irgendeiner Weise mit den Vorwürfen der Ergebnismanipulierung zu tun haben sollen. In der einschlägigen Presse wird bereits von einer Apokalypse gesprochen, auf die der tschechische Fußball da zurollt, doch ganz so arg wird es wohl nicht kommen. Im Zweifelsfall wird es wieder einige Bauernopfer geben, aber 14 Vereine in die Unterklassigkeit zu verbannen, dies käme einer Bankrotterklärung gleich. Doch auch so ist der tschechische Clubfußball ganz tief unten im Keller angelangt. Angesichts der sich mit dem Skandal überhäufenden Schlagzeilen ging nämlich fast unter, dass Baník Ostrava nach mehr als zwei Jahrzehnten erstmals wieder Landesmeister geworden ist. Und im Pokalfinale konnte sich Titelverteidiger Sparta Prag mit einem 2:1-Sieg über den neuen Champion noch etwas schadlos halten für eine alles in allem wenig rund gelaufene Saison. Was die Gemüter der hiesigen Fußballfans jedoch mehr bewegt, ist die Frage, wer ist eigentlich abgestiegen nach dieser Saison? Die beiden am Tabellenende platzierten Mannschaften von Viktoria Plzen und Viktoria Zizkov, oder aber anstelle des Teams aus dem dritten Prager Stadtbezirk der in die Bestechungsaffäre anscheinend ziemlich deutlich verwickelte 1. FC Synot, der eigentlich den zur UEFA-Cup-Teilnahme berechtigenden fünften Platz belegte. Alexander Károlyi hatte sich nach Abschluss der Ligakonkurrenz Mitte Mai dazu wie folgt geäußert:"Momentan gelten alle Ergebnisse, die auf dem grünen Rasen erzielt worden sind. Erst dann, wenn wir zu einem anderen Schluss kommen sollten, wird sozusagen nach demokratischem Prinzip entschieden. Zurzeit aber haben wir das Prinzip der Unschuldsvermutung zu respektieren."
Was die tschechischen Fußballfunktionäre unter dem demokratischen Prinzip verstehen, wurde sogleich auf der außerordentlichen Ligaversammlung deutlich, die unmittelbar nach Abschluss der Liga-Punktspielsaison 2003/04 in Prag stattgefunden hat. Das höchste Fußballgremium des Landes bestätigte zwar die auf dem Platz erzielten Ergebnisse als Maßstab für die in der abgelaufenen Saison erreichte Endplatzierung, es ließ jedoch die Frage offen, was passieren werde, falls dem 1. FC Synot all die durch seine Vertreter begangenen Verfehlungen nachgewiesen würden. Daher ist derzeit noch ungewiss, ob es letztlich neben Pilsen und Zizkov mit dem 1. FC Synot drei Absteiger aus der obersten Spielklasse und analog dazu drei Aufsteiger aus der zweiten Liga geben wird, oder aber ob Zizkov doch noch seine Haut auf Kosten des auf Platz fünf klassierten Clubs aus Mähren retten kann. Fragen über Fragen, die wir ihnen heute noch nicht beantworten können. Aber, und das können wir versichern, wir bleiben am Ball in dieser leider sehr unrühmlichen Affäre des tschechischen Clubfußballs.