Tschechischer Grabenkrieg um ein Endlager für den Atommüll
Proteste gegen den Castor-Transport im Wendland – jeder kennt die Bilder aus den vergangenen Wochen. In Tschechien ist es noch nicht so weit. Vor allem fehlt bisher überhaupt eine Atommülllagerstätte außerhalb der beiden Atomkraftwerke des Landes. Immerhin wurde die Suche nach einem geeigneten Ort für ein Endlager bereits aufgenommen. Doch der Staat hat bereits jetzt Bürger und Gemeinden mit seinem Vorgehen gegen sich aufgebracht.
Zwei Atomkraftwerke produzieren in Tschechien hochradioaktiven Abfall: Dukovany in Südmähren und Temelín in Südböhmen. Derzeit werden die abgebrannten Brennstäbe unmittelbar auf dem Gelände der beiden AKW gelagert, sie sind dort in Castorbehältern in jeweils einer großen Spezialhalle untergebracht. Die Halle bei Temelín wurde erst im September dieses Jahres in Betrieb genommen. Die Gebrauchszeit der Castorbehälter liegt indes bei 50 bis 60 Jahren. Geplant ist daher, ab dem Jahr 2065 die ersten Brennstäbe in ein Atommüllendlager zu verbringen. Das klingt nach viel Zeit. Doch die Uhr tickt bereits jetzt unerbittlich.
Bereits 2002 hat der tschechische Staat mit geologischen Untersuchungen begonnen. Allerdings ohne Absprache mit den Gemeinden. Prompt gab es einen Aufstand der Gemeinden, der 2004 in einen Stopp der Untersuchungen mündete. Fünf Jahre sollte das Moratorium dauern, jetzt ist das sechste Jahr vorüber. Nun wurde Ende November erstmals wieder eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Staates mit Gemeindevertretern einberufen – also mit Vertretern von Anrainergemeinden in den Gebieten, wo geologische Forschungen Sinn machen könnten. Der stellvertretende Minister für Industrie und Handel, Tomáš Hüner, verspricht den Gemeinden eine offene Kommunikation und finanziellen Ausgleich. Und das von Anfang an:
„Zuerst geht es um die geologischen Untersuchungen, ohne die die beiden möglichen Orte für das Endlager nicht bestimmt werden können. Das sind bis zum Jahr 2015 ein Hauptort und eine Alternativvariante. Dafür soll es eine Teilkompensation geben. Und entschädigt wird dann natürlich auch der Ort, an dem die Endlagerstätte eingerichtet wird und wohin ab dem Jahr 2065 dann die abgebrannten Brennstäbe gebracht werden. Das ist die zweite Etappe, die mit dem deutlich Mehrfachen der erste Summe kompensiert werden soll.“
So weit, so gut, könnte man meinen. Doch Hüner spricht von „psychologischen Barrieren“, die auf Seiten der Gemeinden und der Bürger abgebaut werden müssten. Das ist wohl noch schön ausgedrückt, die Gemeinden sprechen vielmehr von einem Grabenkrieg mit dem tschechischen Staat.
Sechs Orte auf Gemeindegebieten und zwei auf Militärgeländen wurden als mögliche Endlagerstätten vorbestimmt. Das zuständige Amt für die Lagerung radioaktiven Abfalls (SÚRAO), das dem Ministerium für Industrie und Handel untersteht, hat dies aufgrund allgemeiner Kenntnisse der dortigen Geologie so festgelegt. Die Orte liegen alle westlich oder südlich der Linie Prag – Jihlava / Iglau – Brno / Brünn. Sie befinden sich also in West- und Südböhmen sowie in Südmähren. In den Anrainergemeinden wurden mittlerweile 27 Referenden über den möglichen Bau eines Endlagers abgehalten. In keinem der Orte wollen die Bürger den Atommüll. Sie und ihre Gemeindevertreter haben Angst, dass der Staat die ganze Hand nimmt, strecken sie auch nur den kleinen Finger aus. Deswegen blockieren sie selbst die geologischen Forschungen. Edvard Sequens von der Umweltorganisation Calla aus České Budějovice / Budweis berät die Gemeinden:
„Die Möglichkeiten der Einflussnahme entsprechen denen bei anderen Bauvorhaben. Die Gemeinde nimmt am Baugenehmigungsverfahren teil, hat aber keine weiteren Rechte. Falls sie nicht zustimmt, entscheidet das Bauamt nach Abwägung aller Argumente. In dem Fall ist das etwas komplizierter, denn die Rolle des Bauamtes hat das Ministerium für Handel und Industrie inne. Gerade weil die Gemeinden ihr Recht nicht einfordern können, können sie dort, wo sie vielleicht zustimmen würden, auch keine entsprechenden Kompensationszahlungen aushandeln.“Sequens spielt hier auf die Gemeinden bei Lubenec nad Blatnou an, die an der Grenze zwischen den Kreisen Plzeň / Pilsen und Ústí / Aussig liegen. Dort haben die Bürgermeister die Ergebnisse der Bürgerreferenden nicht akzeptiert. Sie wollen stattdessen geologische Forschungsarbeiten erlauben und haben mit dem Staat sogar schon über Kompensationssummen gesprochen. Doch die Zusicherungen von staatlicher Seite kamen ihnen zu schwammig vor. Und auch die finanziellen Vorstellungen scheinen weit auseinander zu liegen. Während der Staat umgerechnet insgesamt rund vier Millionen Euro bereitstellt, fordern die Gemeinden ein Vielfaches der Summe. Und sie wollen Sicherheiten, dass sie letztlich nicht doch noch über den Tisch gezogen werden. Deswegen müsse eine Gesetzesänderung her, wie Edvard Sequens sagt:
„Es gibt mehrere Änderungsvorschläge, die alle das Atomgesetz betreffen, das die rechtliche Grundlage für die Nutzung der Atomkraft bildet. Die Änderungsvorschläge würden die Gemeinden zu aktiven Teilhabern an den Genehmigungsverfahren machen, sie wären also nicht ganz ausgeschlossen oder nur im Rahmen des Baugesetzes beteiligt.“Die Gemeinden haben sogar einen Aufruf an den Staat verfasst. Doch der Staat hält die bestehenden Rechte der Gemeinden bereits für großzügig und will das Atomgesetz – um Gottes willen – nicht antasten. Vizeminister Hüner:
„Die Gemeinden können den eigentlichen Bau des Endlagers auf ihrem Gebiet sehr stark beeinflussen. Zum einen handelt es sich um die Bewilligung des Ortes für die geologischen Untersuchungen. Und das zweite ist die Genehmigung für den Bau des Endlagers als solches. Das sind sehr starke Instrumente, über die die Gemeinden heute schon verfügen. Aber sie wollen noch stärkere Instrumente, die wir für nicht mehr tragbar halten, weil es sich da um Eingriffe in das Atomgesetz handelt. In dem Gesetz geht es aber nur um Dinge der Sicherheit und des technischen Vorgehens. Das halten wir für eine Angelegenheit der Experten und nicht der Gemeindevertretungen.“ Diametral unterschiedlich sind also die Ansichten, wie stark die Rechte der Gemeinden sind. Tomáš Hüner mag nicht einmal das Wort in den Mund nehmen, das in den Forderungen der Gemeinden steht. Es ist schlicht und einfach ein Vetorecht. Dazu Edvard Sequens:„Das klingt hart, aber das Gegenteil ist der Fall. In den skandinavischen Staaten und in Frankreich zeigt sich, dass auch ein Vetorecht nicht den Weg versperrt für die Suche eines Endlagers, das wir ohnehin bauen müssen.“
So zum Beispiel in Finnland: Dort soll bereits im Jahr 2020 mit dem Bau eines Atommüllendlagers begonnen werden – trotz Vetorechts der Gemeinden. Der Grabenkrieg in Tschechien könnte sich hingegen rächen:„Schon jetzt haben wir fünf, sechs Jahre Verspätung gegenüber dem Zeitplan und wie die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, ist der Weg zu einem Endlager wirklich sehr lang. Dabei haben wir bei uns noch nicht einmal mit den geologischen Forschungsarbeiten begonnen, es gibt nur Recherchen an der Oberfläche und einige Messungen.“
Die Atombefürworter im Land hoffen indes auf den technischen Fortschritt: Sie glauben, dass in den nächsten 50 Jahren ein Verfahren gefunden wird, um die eigentlich abgebrannten Brennstäben noch einmal aufzubereiten und weiter nutzen zu können. Dann wäre auch der Bedarf nach einem Atommüllendlager nicht mehr so dringlich, so die Vorstellungen.