Tschechischer Kinderfilm „Der blaue Tiger“ feiert Erfolg in Deutschland
Der tschechische Kinderspielfilm hat internationalen Ruf. Doch das Renommee kommt aus vergangenen Zeiten. Nur wenige Regisseure konnten zuletzt an die lange Tradition dieses Filmgenres anknüpfen - einer von ihnen ist Petr Oukropec. In tschechisch-deutsch-slowakischer Koproduktion drehte er 2011 den Kinderspielfilm „Der blaue Tiger“. In Deutschland kam der Streifen Ende Oktober 2013 und damit anderthalb Jahre nach der tschechischen Premiere in die Kinos. Kritiker aus beiden Ländern beurteilen dabei den Film sehr unterschiedlich. Im Folgenden mehr über den Regisseur und seinen Film.
„Ich war sehr verbissen in meinen Vorstellungen, wie der Film auszusehen habe, wer darin spielen solle und wie ich die Filmgeschichte den Kindern vermitteln wolle. Zudem habe ich als Regisseur in den zurückliegenden zehn Jahren mehrere Theatervorstellungen mit Kindern inszeniert, und das war sehr intensiv gewesen. Meine Freunde und Bekannte fanden eine bestimmte Verwandtschaft zwischen meiner Theaterarbeit und der Geschichte des Buches, sie überzeugten mich nach und nach davon, dass ich es als Filmregisseur wagen sollte.“
Die Geschichte des Films spielt in einer anonymen Stadt – in einer lebendigen Welt an der Trennlinie zwischen Fantasie und Realität. Im Mittelpunkt stehen zwei Kinder: Johanka beziehungsweise Johanna und ihr bester Freund Matyáš oder Matthias. Sie lebt bei ihrer Mutter, er bei seinem Vater auf dem Gelände eines alten Botanischen Gartens. Der idyllischen Stadtoase droht aber der Garaus: Der ehrgeizige Bürgermeister Nörgel, gespielt vom deutschen Schauspieler Daniel Drewes, will die Innenstadt modernisieren und dabei den Botanischen Garten abreißen lassen. Dort soll ein Businesskomplex aus Stahl und Glas entstehen. Die beiden Kinder wollen ihren geliebten Spielplatz jedoch retten. Die Frage, wie sich das einfädeln ließe, bringt die kleine Johanna zum Träumen. Zu Hilfe kommt ihr ein blauer Tiger, den sie zuvor mit einem Farbstift skizziert hatte. Plötzlich gähnt er ihr vom Papier entgegen. Einen Tag später berichtet das Fernsehen über einen blauen Tiger, der in der Stadt aufgetaucht sei und alle in Atem halte. Aus der Sicht des Regisseurs ist es vor allem die kleine Johanna, die eine substantielle Botschaft zu vermitteln hat:„Das ist ein neunjähriges Mädchen, das ein bisschen komisch ist, zugleich aber die Gabe der inneren Freiheit hat, und dies ist in der heutigen Zeit eher rar. Ich bin froh, dass Kinder durch sie zu lernen vermögen, dass man anders sein kann und in dem Anderssein in der heutigen Welt ein Vorteil und eine Kraft liegen können.“
Der Titelheld – der blaue Tiger - wird nach und nach Teil der Geschichte. Zunächst ist er ein schleichender Schatten oder eine animierte Zeichnung und gegen Ende ein echter Tiger. Oukropec und sein Filmemacherteam nutzten dabei eine breite Skala an visuellen Mitteln:„Der Set-Dekorateur Henry Borarosz und ich haben uns von Anfang an zum Ziel gesetzt, mit dem Mitteln des Films unsere eigene Welt zu kreieren. Es ist eine Welt von heute, die den Kindern bekannt ist und in der sie sich gut orientieren können. Parallel dazu haben wir auch nach einem bestimmten Maß von Stilisierung gesucht. Zu sehen gibt es also Autos, die uns gefallen, Oldtimer, Kostüme, Dekorationen und verschiedene Requisiten, die zwar nicht direkt ins Auge stechen, aber als Ganzes die Atmosphäre des Films unterstreichen.“
Es ist kurzum eine stilisierte Welt, die modern und zugleich auch märchenhaft wirken soll – und das bezieht sich auch auf den Hauptschauplatz, den Botanischen Garten. Deswegen gestaltete sich die Suche nach dem richtigen Drehort für die Produzenten auch schwierig:„Wir haben uns Botanische Gärten in mehreren Ländern angeschaut: in Tschechien, Österreich, Ungarn und der Slowakei. Wir kamen aber zum Schluss, dass man unseren Film in keinem davon drehen kann. Als Tereza Horváthová ihr Buch schrieb, hatte sie das Prager Treibhaus ‚Na Slupi‘ vor Augen, wir haben es aber als zu fragiles Ambiente befunden. Außerdem sollte auch der Innenraum des Treibhauses entsprechend dem Drehbuch gestaltet werden. Dank eines glücklichen Zufalls fanden wir eine Parzelle in Prag, auf der wir unseren ´vergessenen Garten´ einschließlich des Treibhauses wie gewünscht mitten in der Stadt aufbauen konnten.“
Dass ein erfahrener Filmproduzent nicht zwangsläufig zum Regisseur werden muss, deutet Petr Oukropec mit folgenden Worten an:„Von dem Augenblick an, als ich mich für die Regie des Films entschlossen hatte, musste ich damit kämpfen. Als einer, der bis dahin Filmproduzent gewesen war, trat ich vor meine Partner und sagte ´It´s me´, also ´Ich bins´, der den Film machen wird. In dem Moment war mir klar, dass sich mein Status ändert und ich aus der Filmbranche Kritik bis an mein Lebensende riskiere.“
Dass der frischgebackene Regisseur bis ans Ende seiner Tage geschmäht werden könnte, das kann man mittlerweile ausschließen. Bevor „Der blaue Tiger“ in deutsche Kinos kommen sollte, ließ die Verleihgesellschaft „Farbfilm“ den Streifen bei mehreren Kinderfilmfestivals testen. So war er zum Beispiel in Dresden, Freiburg und München zu sehen. Die Resonanz war teils sehr positiv. Ähnlich war das auch bei den internationalen Kinderfilm-Festivals in Wien, Bukarest, im norwegischen Kristiansand oder im kanadischen Toronto. In die tschechischen Kinos war der Film bereits im Februar 2012 gekommen und wurde von einer massiven Werbekampagne begleitet. Dementsprechend zahlreich waren auch die Rezensionen in den Medien hierzulande. Sie gaben allerdings dem Film mehrheitlich nur eine Durchschnittsnote. Nicht selten war auch beißende Kritik zu lesen, wie diese:„Wäre der Streifen in Hollywood entstanden, würde er wenigstens mehr Filmtricks und Animationssequenzen beinhalten, die dem Zuschauer helfen könnten, die langweilige ´Watte` dazwischen aushalten. Doch in der jetzigen Gestalt ist er ein wenig bizarr für Erwachsene und fürchterlich langweilig für Kinder.“
So urteilte ein Rezensent des Internetservers FFFilm.cz. Ähnlich schrieb sein Kollege von der Tageszeitung Mladá fronta Dnes:„Der debütierende Petr Oukropec hat einen Agitfilm gedreht, der weder für Erwachsene noch für Kinder geeignet ist.“
Deutsche Rezensenten scheinen den Filmerstling des tschechischen Regisseurs anders gesehen zu haben. Hier ein Zitat aus der Kritik bei Filmstarts.de vom 31. Oktober vergangenen Jahres. Es war der Tag, an dem „Der blaue Tiger“ seine Kinopremiere in Deutschland hatte.
„Die Tschechoslowakei gibt es nicht mehr. Aber der Kinderfilm, der dem Land internationalen cineastischen Ruhm und begeisterte kleine und große Zuschauer beschert hat, lebt zumindest in Tschechien fort. Mit seiner Mischung aus liebevoller Animation und behutsam inszenierter Live-Action, seiner zauberhaft-poetischen Ästhetik, seinen märchenhaften Elementen und seinen natürlichen jungen Darstellern steht dabei ´Der blaue Tiger´ in einer langen Traditionslinie. Dabei beschwört Debütregisseur Petr Oukropec den Glauben an die Phantasie seines Zielpublikums, der Kinder, die klar und deutlich aufgefordert werden, die moderne Elektronik einmal beiseite zu legen und sich auf diesen Traum einzulassen. Dass die Erwachsenen dabei außen vor bleiben, wird gerne in Kauf genommen.“„Könnten die Dinge, die ich mir vorstelle, irgendwann vielleicht auch mal wahr werden?“, will Johanna von ihrer Mutter im Film wissen. In der Folge verändert die kurze Begegnung mit dem blauen Tiger das Leben der vier Gartenbewohner. Am Ende glauben sie alle, was Johanna sagt: „Ein Traum existiert ja, obwohl man ihn nicht anfassen kann.“