„Ungarn und Polen sollten uns eine Warnung sein“ – Journalistin Lizcová über die Lage der tschechischen Medien

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag

Wie steht es um die Printmedien in Tschechien? Seit der politischen Wende wird die Branche von häufigen Eigentümerwechseln bestimmt. Nachdem sich die deutschen Verlagshäuser inzwischen zurückgezogen haben, dominieren nun tschechische Oligarchen den Markt – der bekannteste davon ist Andrej Babiš, dessen Mafra-Konzern zwei große Tageszeitungen herausgibt. Wie unabhängig die tschechischen Medien berichten könnten, und weshalb gerade die Auslandsberichterstattung leidet, darüber nun ein Gespräch mit Zuzana Lizcová. Die Journalistin und Politologin hat gerade einen Artikel in der deutschsprachigen Zeitschrift „Osteuropa“ zu dem Thema veröffentlicht.

Zuzana Lizcová  (Foto: Archiv der Assoziation für außenpolitische Fragen)
Frau Lizcová, in Ihrem Artikel zeichnen Sie ein recht düsteres Bild von der tschechischen Medienlandschaft, insbesondere von den Printmedien. Deshalb zu Beginn die Frage: Wie informieren Sie sich eigentlich selbst, welche Medien konsumieren Sie?

„Ich möchte zuerst betonen, dass sich mein Artikel nur auf die Printmedien bezieht, nicht auf Rundfunk und Fernsehen. Ich habe versucht, die Lage nicht schwarz oder schwarz-weiß zu zeichnen, sondern wollte Tendenzen aufzeigen, die ein wenig beunruhigend sind. Sie betreffen nicht nur Tschechien, sondern Medien in der gesamten westlichen Welt, einige Phänomene sind jedoch spezifisch für dieses Land. Aber zur Frage, wie ich mich informiere – ich höre natürlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ich lese mehrere Periodika, die Tagespresse und höre gerne den Podcast der Wochenzeitschrift Respekt.“

Bei den Printmedien haben Sie sich insbesondere die Eigentümerstruktur angesehen, Sie sprechen von einer „Oligarchenpresse“ – was konkret hat sich seit der Finanzkrise 2008 in Tschechien geändert?

„Dieser Begriff Oligarchisierung ist natürlich nicht meine Erfindung, er kursiert schon seit längerem in Tschechien. Ich wollte in diesem Artikel beleuchten, was die Eigentümerstruktur für die Zeitungen praktisch bedeutet. Dabei habe ich mich nicht nur mit dem Zeitraum der Krise nach 2008 beschäftigt, sondern auch mit der Zeit davor. Denn damals gab es bei uns viele Entscheidungen in dieser Eigentümerfrage. Die Medien waren in den Händen von deutschen Verlagen, und man hat diskutiert, ob und wie das die Berichterstattung in der Tschechischen Republik beeinflusst. Ab 2008 ging es dann um den steigenden ökonomischen Druck und den Übergang der Medien in die Hände tschechischer Unternehmer, deren Haupteinnahmequellen eben nicht im Bereich der Medien liegen. Dadurch hat sich die Lage noch einmal stark gewandelt, und das versuche ich in diesem Artikel zu beschreiben. Er richtet sich aber an deutsche Leser, die keinen solch umfassenden Überblick haben wie wir hier in Tschechien.“

Andrej Babiš  (Foto: ČTK)
Ich hätte jetzt eher vermutet, dass es vielleicht auch hier öffentlich gar nicht so wahrgenommen wird, wer hinter einer Zeitung steht und welche Eigentümerwechsel es gegeben hat?

„Interessant, dass Sie das sagen – ich habe eigentlich genau den gegenteiligen Eindruck, nämlich dass sich sehr viele Menschen damit auseinandersetzen. Ich gebe zum Beispiel ein Seminar an der Prager Karlsuniversität, in dem es um dieses Thema geht. Die Studenten nehmen das sehr genau wahr. Für mich ist es eigentlich ein Grund zur Beunruhigung, wenn junge Menschen sagen, dass sie die tschechischen Printmedien nicht lesen, weil sie wissen, dass es einen Eigentümer gibt, dessen Interessen möglicherweise in den Beiträgen dort vertreten werden. Und manche, die zum Beispiel mit der Politik von Vizepremier Babiš nicht einverstanden sind, kaufen grundsätzlich seine Zeitungen nicht. Denn sie haben das Gefühl, dass er die Zeitungen beeinflusst oder beeinflussen kann.“

“Es beunruhigt mich, wenn junge Menschen die tschechischen Printmedien nicht lesen, weil sie wissen, dass es einen Eigentümer gibt, dessen Interessen möglicherweise in den Beiträgen vertreten werden.“

Andrej Babiš ist Besitzer des Agrofert-Konzerns und hat 2014 das Medienhaus Mafra übernommen, danach folgte sein Aufstieg zum Vizepremier und Finanzminister. In Ihrem Artikel beschäftigen Sie sich genau damit, ob er Einfluss nimmt auf seine Medien, was Babiš selbst abstreitet. Was ist dabei herausgekommen?

„Ich habe selbst nicht geforscht. Ich berufe mich auf Wissenschaftler, zitiere Studien und habe mit Medienexperten gesprochen. Das Ergebnis ist, dass der Einfluss des Eigentümers sich erstens von Blatt zu Blatt unterscheidet. Zweitens scheint dieser Einfluss nicht so unmittelbar zu sein, wie man denken könnte. Er offenbart sich eher in gewissen Themensetzungen oder in der vorübergehenden Betonung bestimmter Aspekte. Es ist eher so, dass sich die Journalisten möglicherweise von selbst bemühen, Themen auszusuchen, die zum Beispiel in irgendeiner Weise konform sind. Möglicherweise sind sie auch eher dieser Bedrohung ausgesetzt, als dass diese tatsächlich wahrgemacht wird. Das ist noch eine große Frage in der Forschung, aber einige Untersuchungen stützen gerade diese Annahme, dass wir eine primäre Bedrohung haben, die selbst natürlich bereits ein Problem ist, dass es in der Praxis dann aber nicht so häufig zu einer direkten, offensichtlichen Einflussnahme kommt.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Als Folge auf Babišs Übernahme des Medienkonzerns Mafra haben viele Journalisten die beiden Qualitätszeitungen „Mladá Fronta Dnes“ und „Lidové noviny“ verlassen und neue Projekte aufgezogen, zum Beispiel „Neovlivni“, „Echo24“ oder „Reportér“. Hat das nicht vielleicht neue Impulse und Unabhängigkeit in die Presselandschaft gebracht?

„Darauf gibt es keine einfache Antwort. Einige Medienexperten betonen, dass es sich um einen sehr wichtigen Schritt handelt hin zur Emanzipation der Journalisten. Weil diese Menschen bereit waren, selbstständig neue Projekte ins Leben zu rufen, und dadurch zur Vielfalt der Medienszene beitragen. Einige dieser neuen Projekte sind sehr gut und haben ihre Leser gefunden. Bei anderen scheint es sich eher um sogenannte Aktivisten-Medien zu handeln, wie es einer meiner Gesprächspartner nannte. Das bedeutet, sie haben eine relativ eng gefasste Themensetzung und schreiben hauptsächlich gegen Finanzminister Babiš, aber zum Beispiel auch gegen die deutsche Regierung. Die Inhalte und Themen, mit denen sie sich intensiv beschäftigen, sind zumindest aus einer bestimmten Perspektive sehr einseitig und umfassen eben nicht die ganze Bandbreite des Geschehens. Stattdessen nehmen Sie zu diesen genannten Themen eine recht einseitige, aktivistische Position ein.“

Illustrationsfoto: Ivana Divišová,  Pixabay / CC0 Public Domain
Wenn man sich die Zeitungen ansieht, fällt auf, dass der Meinungsanteil mit Kommentaren und Kolumnen sehr groß ist. Vor Ort recherchierte Geschichten, auch aus dem Ausland, sind dagegen seltener. Woran liegt das?

„Das ist eine schwierige Frage. Vor allem weil ich mich selbst auch journalistisch mit Auslandsberichterstattung befasse, wollte ich in diesem Artikel beschreiben, was mir negativ auffällt. Eine große Rolle spielen natürliche finanzielle Kürzungen. Das bedeutet, dass mit Ausnahme der großen öffentlich-rechtlichen Medien keine einzige tschechische Zeitung einen festen Auslandskorrespondenten hat. Die Auslandsberichterstattung geschieht von Prag aus, oder die Journalisten machen kurze Auslandsreisen, anlassbezogen oder für eine Recherche. Das kann aber leider niemanden ersetzen, der langfristig an einem Ort ist, seine Kontakte aufbaut und die Lage dort aus erster Hand kennt. Das ist, denke ich, das Problem. Natürlich hängt es damit zusammen, dass der tschechische Markt klein ist, die Zeitungen wenig Geld haben und sich Korrespondenten schlicht nicht leisten können. Einer der Medienexperten hat erwähnt, dass ein Journalist in Brüssel viermal so viel kostet wie ein Journalist hier in Prag, soviel also zu den Relationen.“

„Ein Reporter sagte, im Vergleich zur Lage vor fünf Jahren arbeiten heute halb so viele Journalisten für die Hälfte des Geldes. Das zeigt, wie wenig Raum für Recherche bleibt. Der Tagesbetrieb ist sehr eng gesteckt.“

Nach dem Rückzug der deutschen Verlage war auch verschiedentlich zu hören, dass es den Medien nutzen könnte, wenn Sie wieder in tschechischer Hand seien, man versprach sich positive Auswirkungen. Wie würden Sie das bewerten?

„Diese Zeit der 1990er Jahre, die viele als goldene Jahre des tschechischen Journalismus bezeichnen, habe ich selbst nicht als Journalistin erlebt. Aus eigener Erfahrung kann ich also nicht vergleichen. Journalisten, die damals aktiv waren, in den Blättern, die den deutschen Verlagen gehörten, sagten mir, es sei lediglich um den Gewinn gegangen und zu keinerlei inhaltlicher Einflussnahme gekommen. Dies haben sie als positiv empfunden. Zugleich gab es einen relativ großen Druck von Seiten der Verlage, dass die Zeitungen Gewinn bringen sollten. Medienexperten sprechen in diesem Zusammenhang von der großen, flächendeckenden Kommerzialisierung und Boulevardisierung der tschechischen Presse. Aber was ist nun anders als in den Neunzigern? Ein Experte, mit dem ich in der Vorbereitung für den Artikel gesprochen habe, brachte es schön auf den Punkt. Er zitierte einen Reporter, der sagte im Vergleich zur Lage vor fünf Jahren, arbeiteten halb so viele Journalisten für die Hälfte des Geldes in den Redaktionen. Das zeigt, wie wenig Raum in diesen Medien eigentlich ist für eine umfangreiche Recherche zum Beispiel. Der Tagesbetrieb ist sehr eng gesteckt.“

Foto: Pixabay,  CC0 Public Domain
Sie haben gesagt, dass Sie sich viel über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk informieren. Sind denn vielleicht die öffentlich rechtlichen Sender in der Lage, gewisse Dinge aufzufangen und ein wenig umfassender zu berichten, oder gibt es in diesem Bereich andere Schwierigkeiten?

„Ich möchte ungern den Eindruck erwecken, dass in den Printmedien alles schlecht sei. Es gibt bei uns eine Reihe von sehr guten Journalisten, die einen guten Überblick haben und die sich bemühen, das Beste aus der derzeitigen Situation zu machen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das Fernsehen finanzieren sich natürlich ganz anders und verfügen über ganz andere Mittel. Ich wollte mit diesem Artikel erreichen, dass es eine Art gesellschaftlichen Konsens braucht, dass unabhängige Medien und vor allem auch öffentlich-rechtliche Medien notwendig sind. Sie stellen einen Wert an sich dar, der in der Demokratie anerkannt und verteidigt werden muss. Dabei sind Vorbehalte gegen die Berichterstattung des Tschechischen Fernsehens natürlich möglich. Zum Beispiel bekommen dort meiner Meinung nach oft lokale, marginale Begebenheiten viel größeren Raum als Ereignisse von weltweiter Bedeutung. Dennoch sollte kein Zweifel darüber bestehen, dass diese Institution als solche notwendig ist. Leider sind wir in den letzten Monaten Zeugen davon, dass Spitzenpolitiker diese Rolle in Zweifel ziehen.“

Es ist ja derzeit nicht unbedingt ein tschechisches Phänomen, dass Politiker selbst Medien in Zweifel ziehen…

„Es ist nicht nur ein tschechisches Phänomen, aber gerade wenn wir uns ansehen, was in unseren Nachbarstaaten passiert, sollte man eben schon beunruhigt sein. Was in Ungarn oder Polen zum Beispiel mit den öffentlich-rechtlichen Medien passiert, sollte uns eine Warnung sein, so etwas nicht zuzulassen.“

Mehr zur Entwicklung der tschechischen Presselandschaft erfahren Sie im Artikel von Zuzana Lizcová in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Osteuropa. Der Artikel lässt sich auch online unter www.zeitschrift-osteuropa.de beziehen.