Unter allen Regimes, aber nie devot: Filmregisseur Vávra ist 100 geworden
Einer der bedeutendsten tschechischen Filmregisseure hat am Montag seinen 100. Geburtstag gefeiert: Otakar Vávra. Wir haben darüber bereits im Tagesecho berichtet. Als Autodidakt begann Vávra in den 1930er Jahren, Filme zu drehen, und hatte sehr schnell Erfolg. Insgesamt 50 Kinoproduktionen entstanden, die letzte im Jahr 1989. Vávras Schaffen zieht sich damit fast durch die gesamte Geschichte des tschechischen Films. Dafür musste er aber bereit sein, sich anzupassen.
Tatsächlich sind die Filme von Otakar Vávra unter anderem durch kostaufwändige Massenszenen mit tausenden von Statisten gekennzeichnet. Er war der erste, der Stuntmen für einen tschechischen Film engagierte. Vávra war ohne Zweifel ein außerordentlicher Regisseur – wenigstens was einige seiner Filme betrifft. Auf der anderen Seite wurde er aber auch als Klassiker tschechischer Anpassungsfähigkeit, Genius der Durchschnittlichkeit, Mann für jedes Wetter oder Salieri des tschechischen Films bezeichnet. Er war nämlich während aller Regime künstlerisch tätig – in der Kriegszeit, aber auch im Kommunismus. Und er erhielt während jedes Regimes eine Staatsauszeichnung.
Das Leben von Otakar Vávra wirft also die Frage nach dem Sinn von künstlerischer Arbeit in einer Diktatur auf: War es möglich, damals einen eigenen Weg zu finden, ohne sich eine Blöße zu geben? Otakar Vávra selbst hat darauf geantwortet, ob er denn die ganze Zeit im Gefängnis hätte herumsitzen sollen oder vielleicht sogar sich hinrichten lassen. Eines ist sicher: Otakar Vávra liebte den Film und wollte einfach nur ununterbrochen drehen.Eva Urbanová, Filmhistorikerin aus dem Nationalen tschechischen Filmarchiv findet, dass aus Anlass von Vávras 100. Geburtstag zu oft die Kontroversen aus seinem Leben im Mittelpunkt vom Interesse stehen. Sie möchte dies aber ins richtige Licht stellen.
„Durchweg wird so geurteilt, dass Vávra den aufeinanderfolgenden totalitären Regimes irgendwie gedient hätte und auch den deutschen Okkupanten gegenüber dienstfertig gewesen wäre. So war es aber nicht. Vielmehr hat er sich während der Okkupation ganz rational von dem Geschehen abgekoppelt. In seiner Regie sind natürlich keinerlei Filme entstanden, die das Regime irgendwie kritisiert hätten. Er ist damals in keiner Art untreu geworden. Er hat einige sehr, sehr gute Filme gedreht, und er war sogar einer der wenigen, die überhaupt keinen Film für die Nationalsozialisten gedreht hat. Nicht einmal in Form von einer unverbindlichen Komödie, wie einige andere Kollegen. Diese haben sich vielleicht bei den deutschen Okkupanten nicht völlig eingeschleimt, waren aber nicht fähig es abzulehnen, für sie zu drehen. Es gefällt mir deswegen nicht, wenn jetzt bei Vávras Geburtstag gesagt wird, dass er jedem Regime gedient habe. So ist es nicht.“Vávra begann in jungen Jahren zunächst mit einem Architekturstudium, doch schon bald verfiel er dem Film. Jeden Tag sei er ins Kino gegangen, und wenn er einen guten Film gesehen hatte, schrieb er sich die wichtigsten Szenen des Films auf. So tauchte, seinen eigenen Worten nach, vor seinen Augen plötzlich die dramatische Struktur des Films auf. Und auf diese Weise lernte er bald, was ein gutes Drehbuch ausmacht und begann in Prager Kaffeehäusern auch selbst zu schreiben. Es gab damals keinen Tag, an dem er nicht geschrieben hätte.
In den 1930er und 1940er Jahren arbeitete Vávra mit den größten tschechischen Kinostars zusammen wie Oldřich Nový, Lída Baarová, Adina Mandlová und Nataša Gollová sowie mit dem bekannten tschechischen Schriftsteller und Journalisten Karel Čapek.
Doch wie wurden während des Protektorats dann Filme gemacht? War es kompliziert einen Film durchzusetzen? Otakar Vávra erklärt:„Wir konnten nur 10 Filme pro Jahr machen. Davor hatte die tschechische Kinematografie durchschnittlich 30 bis 40 Filme pro Jahr produziert. Und die Drehbücher mussten von einem Büro, das die Filme zensierte, einen Stempel erhalten. Da wurde geprüft, ob die Filme nicht gegen den Nationalsozialismus gerichtet sind, im Thema oder in den Dialogen. Jedes einzelne Wort wurde studiert.“
Zensur, die gab es auch während des Kommunismus. Große Unterschiede konnte Vávra nicht feststellen:„Es war anders, aber eigentlich war auch alles zensiert. Zum Beispiel durfte man in den Filmen nicht über Religion sprechen. Als ich also die Trilogie über die Hussiten machte, durfte ich nur die revolutionäre Seite der Bewegung hervorheben und musste die religiöse Seite unterdrücken. Beim Film Meister Jan Hus bin ich damit zwar durchgekommen. Anschließend wurde mir das aber vorgeworfen.“
In Vávras Werk finden sich sowohl klassische Filme und historische Sagen, als auch tendenziöse Kriegsfilme. Zu seinen am meisten geschätzten Filmen gehören zwei Streifen aus den 1960er Jahren: „Romanze für Flügelhorn“ und das Drama „Die Hexenjagd“.„Mir lag das Dramatische oder Ernste einfach näher. Ich habe nur eine Komödie gedreht – Das Mädchen im blauen Kleid. Die Themen habe ich immer selbst gefunden, vor allem in der tschechischen Literatur. Ernste Geschichten waren es dabei, die mich interessiert haben“, so der Regisseur.
Zusammen mit anderen Regisseuren gründete Vávra in den 50er Jahren die erste tschechische Filmakademie, die FAMU. Dort war er bis vor kurzem auch immer noch als Professor tätig. Zu seinen talentiertesten Studenten gehörten die Oscar-Regisseure Miloš Forman und Jiří Menzel, die bekannte tschechische Regisseurin Věra Chytilová oder auch der Slowake Juraj Jakubisko. Vávra wird daher auch als Patron der so genannten tschechoslowakischen Neuen Welle bezeichnet, die in den sechziger Jahren hierzulande im Film für eine Revolution sorgte. Einer seiner Studenten, Jiří Menzel, schätzt vor allem Vávras legendäre Zielstrebigkeit, seinen Fleiß und die sorgfältige Vorbereitung auf die Dreharbeiten:„Schon seine ersten Filme waren sehr kultiviert und zugleich auch bei den Kinobesuchern erfolgreich. Er gelangte sofort und mit nicht einmal 30 Jahren an die Spitze des tschechischen Films, weil er im Gegensatz zu anderen, die nur intuitiv arbeiteten, schon eigentlich alles konnte.“Manchmal wird Vávra auch vorgeworfen, dass er von der jungen Generation in den 60er Jahren abgeschrieben hat. Er war damals über fünfzig, aber seine Filme bekamen einen neuen, frischen Schwung. Eva Urbanová vom tschechischen Nationalfilmarchiv meint, dass sich beide Seiten natürlich gegenseitig inspiriert hätten. Doch die goldene Zeit in Vávras Werk in den 60er Jahren würde sie anders erklären:
„Die 60er Jahre sind für die tschechische Kinematographie eine einzigartige Epoche. Damals kam es zu einer politischen Entspannung in großem Maße. Wenn ein Drehbuch bereits genehmigt war, wurde dem Autor nicht mehr in die Arbeit hineingeredet und er konnte in Ruhe drehen. Die Kinematographie befand sich damals natürlich im Staatsbesitz. Mit staatlichem Geld wurden sogar Filme gedreht, die den Staat kritisiert haben.“Otakar Vávra ist bis heute sehr vital geblieben und man begegnet ihm oft in einem seiner geliebten Kaffeehäuser in Prag. Zu seinem runden Geburtstag hat ihm seine langjährige Lebensgefährtin, die 40 Jahre jüngere Regisseurin Jitka Němcová, ein passendes Geschenk gemacht: den Dokumentarfilm „Einen Hunderter hat man nur einmal im Leben“. Der Streifen wurde am Vorabend von Vávras Geburtstag im Tschechischen Fernsehen gesendet.
Eine der Regisseurinnen, die Němcová beim Drehen geholfen hat, ist Alena Činčerová. Sie beschreibt, wie die Dreharbeiten wegen Vávras Gesundheitszustand für kurze Zeit unterbrochen werden mussten:„Als er sich gegen Weihnachten nicht so wohl gefühlt hat und ins Krankenhaus musste, sind die Ärzte alle gekommen um sich ihn anzuschauen. Sie hatte so etwas noch nie im Leben gesehen. Wie viele Ärzte haben schon einen 100-jährigen Patienten behandelt? Sie halten ihn für ein lebendes Naturphänomen.“
Wie hat es Vávra aber geschafft, 100 Jahre alt zu werden? Das Wichtigste sei, alle Sorgen hinter sich zu lassen, sagt er. Und nur das essen, was einem wirklich schmeckt. Er esse fast keine Gemüse, dafür möge er aber jeden Tag Eier zum Frühstück und am Abend Würstchen mit gutem französischen Wein oder Cognac, erzählt der Künstler.
In jedem Fall ist Otakar Vávra die letzte lebende Legende des tschechischen Vorkriegsfilms, und wie er selbst sagt: Bis 104 Jahre wolle er auf dieser Welt noch bleiben!