Jiří Menzel: Poet des Films und Humanist

Jiří Menzel (Foto: Martina Špelda, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Der tschechische Filmregisseur feiert 80. Geburtstag.

„Der Dolmetscher“ ist der bisher letzte Film von Jiří Menzel. Doch er stand diesmal nicht hinter, sondern vor der Kamera in einer der Hauptrollen. Der tschechisch-slowakisch-österreichische Streifen des Regisseurs Martin Šulík feiert an diesem Freitag bei der Berlinale seine Weltpremiere. Gleichzeitig wird Jiří Menzel, der am Freitag auch seinen 80. Geburtstag feiert, mit der „Berlinale Kamera“ ausgezeichnet.

Berlinale ehrt Jiří Menzel

Jiří Menzel  (Foto: Martina Špelda,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Mit dem Preis ehren die Internationalen Filmfestspiele Berlin seit 1986 Persönlichkeiten oder Institutionen, denen sie sich besonders verbunden fühlen und denen sie mit dieser Ehrung ihren Dank ausdrücken möchten. Menzel konnte erst nach der politischen Wende von 1989 erstmals zu dem Festival kommen. Und so hatte sein Film „Lerchen am Faden“, der nach der Niederschlagung des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei verboten wurde, erst 21 Jahre später in Berlin die Weltpremiere. Für ihn erhielt der tschechische Starregisseur den Goldenen Bären. Filmjournalistin Martina Vacková blickt zurück:

„Menzel hat bei der Berlinale bereits 1990 gepunktet. Sein Film ‚Die Lerchen am Faden‘ von 1969 lag im Tresor und wurde dort unmittelbar nach dessen Öffnung projiziert. Und 2007 wurde dort sein Film ‚Ich habe dem englischen König gedient‘ gezeigt.“

Martina Vacková  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Werke Jiří Menzels sind in seiner Heimat sehr populär. Martina Vacková denkt laut darüber nach, womit der Regisseur das Publikum im Ausland anspricht:

„Jiří Menzel verfügt nach meiner Meinung über eine Eigenschaft, die vielen anderen Filmemachern fehlt: Einerseits schafft er es, in seinen Streifen eine gewisse Humanität zu zeigen. Er interessiert sich nicht für große Helden, sondern für die kleinen, die er aber groß herausbringt. Andererseits haben seine Filme eine einzigartige Poetik. Diese beiden Eigenschaften sind auch typische Merkmale des tschechischen Films. Vorrangig stehen sie aber für das Schaffen von Jiří Menzel. Und das macht ihn nicht nur für das tschechische Publikum interessant – denn ich bin überzeugt, dass die Tschechen seine Filme gerne sehen –, sondern auch für die Kinogänger im Ausland.“

Meister der Komödie

Otakar Vávra  (Foto: Hynek Bulíř,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Jiří Menzel gilt als Meister der Komödie und hat die Neue Welle des tschechoslowakischen Films in den 1960er Jahren entscheidend geprägt. Eigentlich war zunächst das Theater sein Traum, wie er vor einem Jahr gegenüber im Tschechischen Rundfunk erzählt hat:

„Ich kam mit meinen Fertigkeiten und Kenntnissen plötzlich zu einem Beruf, der das höchste Prestige genoss, obwohl ich mir das nicht gewünscht habe. Ich wollte Theater machen, wurde aber an der Theaterhochschule nicht angenommen. Für mich war das ein Glück, denn diese Hochschule hatte damals kein hohes Niveau. Aber auch Fernsehen hat mich interessiert. Daher habe ich mich an die Filmhochschule FAMU gewandt und wurde aufgenommen. Ich kam in die Klasse von Professor Vávra.“

Otakar Vávra war eine Legende des tschechischen Kinos im 20. Jahrhundert. Er hat zahlreiche Regisseure der Neuen tschechoslowakischen Welle inspiriert. Menzel traf an der Hochschule unter anderem Miloš Forman, Věra Chytilová, Vojtěch Jasný, Ivan Passer und Jan Němec.

Bohumil Hrabal | Foto: Hana Hamplová,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
Seinen ersten Streifen drehte Menzel noch als Student. Es war ein Kurzfilm, der thematisch aus einer Erzählung von Schriftsteller Bohumil Hrabal schöpfte. Dieser Name hat ihn seitdem auf seinem künstlerischen Weg ständig begleitet und ist auch mit den größten Erfolgen Menzels verbunden. Der Regisseur hat einmal seine Persönlichkeit mit der des Autors verglichen:

„Ich bin viel empfindlicher, er war männlicher. Hrabal war ein Kerl. Ich war ein Junge aus einer guten Familie der Prager Vorstadt. Wir sind völlig unterschiedlich. Er lebte im Wald, ich auf dem Sofa. Er mochte Bier, ich hasse es. Wir waren völlig unterschiedlicher Natur. Möglicherweise hat eben das uns verbunden.“

Zusammenarbeit mit Bohumil Hrabal

Das Duo Menzel – Hrabal hat an vielen Filmen zusammengearbeitet. Nach der ersten Erzählung wurde dem jungen Regisseur das Manuskript zu „Scharf beobachtete Zügen“ beziehungsweise zu „Liebe nach Fahrplan“ angeboten. Er und Hrabal schrieben gemeinsam das Drehbuch. 1966 realisierte Menzel seinen ersten Spielfilm und 1968 gewann er den Oscar für den besten fremdsprachigen Film für „Liebe nach Fahrplan“. 1969 entstand „Die Lerchen am Faden“. Wegen der Kritik am kommunistischen Regime wurde der Streifen sofort verboten.

Film „Heimat,  süße Heimat“
Nach dem Verbot arbeitete Menzel vor allem an Theatern in der Tschechoslowakei und im Ausland. Mitte der 1970er Jahre kehrte er zum Kino zurück. So verfilmte er Hrabal-Erzählungen wie „Kurzgeschnitten“ und „Schneeglöckchenfeiern“, aber auch Komödien, die oft auf Drehbüchern von Zdeněk Svěrák basierten. Dazu gehörten „Im Einzelhof am Wald“ und „Heimat, süße Heimat“. Diese Streifen zählen zu den Höhepunkten des tschechischen Kinos. Menzels Filme aus der Zeit nach der Wende von 1989 konnten hingegen keine ganz großen Erfolge mehr verbuchen. Menzel war als Regisseur vor allem an Prager Theatern und europäischen Bühnen tätig, so unter anderem an der Comédie-Française. Gegenüber dem Tschechischen Rundfunk verglich er die Zeit nach der Wende mit der Ära der 1960er Jahre:

„Wir standen damals nicht unter dem Diktat des Geldes. Es klingt blöd, aber es ist so: Es gab hier ein Monopol, das dem Staat gehörte. Der Staat kaufte Kinoproduktionen nach seinem Wunsch und Bedarf. Dabei wurden Filme ausgewählt, die viele Zuschauer sehen wollten. Die Erträge aus den Kinokassen gingen in die Produktion tschechischer Filme. Ausländische Filme haben also mehr oder weniger unsere Filme bezahlt. Ein solches Modell lässt sich leider nicht noch einmal aufbauen. Heutzutage sind die Filme zehnmal teurer, und die Zahl der Kinogänger ist auf ein Zehntel geschrumpft. Ich will nicht um jeden Preis einen Film machen. Ich will auch kein Geld ausgeben, um nur für mich einen Film zu drehen.“

Film „Ich habe dem englischen König gedient“
2006 kehrte Menzel noch einmal zum Schaffen von Bohumil Hrabal zurück. Nach einem langjährigen Streit um die Urheberrechte verfilmte er die Novelle „Ich habe dem englischen König gedient“. Für den Streifen erhielt er den tschechischen Filmpreis „Tschechischer Löwe“ und bei der Berlinale den Fipresci-Preis der Filmkritiker.

Dokumentation, oder Interpretation?

Wie ist es aber heute: Ist unter den jüngeren Regisseuren ein Nachfolger von Jiří Menzel in Sicht? Die Filmjournalistin Martina Vacková:

Film „Der Dolmetscher“  (Foto: Garfield Film)
„Vielleicht könnte Jan Svěrák gewissermaßen sein Nachfolger werden. Er dreht in einem ähnlichen Stil wie Menzel, hat diesen aber ins 21. Jahrhundert gebracht. Die Filme, die heute bei den Festivals hoch im Kurs stehen, unterscheiden sich von Menzels Werken: Sie sind mehr auf Dokumentation ausgerichtet und gehen stärker von der Realität aus. Im Unterschied zu Jiří Menzel, aber auch etwa zur tschechischen Regisseurin Věra Chytilová, deren Werke einst ein Exportartikel des tschechischen Films waren, erfassen die heutigen Regisseure die Realität. Sie interpretieren diese aber nicht, sie denken nicht über sie nach.“

Menzels bisher letzte Arbeit am Film ist nicht die eines Regisseurs, sondern eines Schauspielers. „Der Dolmetscher“ kommt nach der Premiere in Berlin im März in die tschechischen Kinos.