Venedig, Toronto, Thessaloniki, Berlin und Cannes – Tschechische Filme auf Welttournee

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Nachdem in diesem Jahr tschechische Kinoproduktionen bereits auf der Berlinale oder aber auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes bejubelt worden sind, geht die Reise nun weiter. Die Chance auf einen internationalen Preis für einen tschechischen Film ist auch in diesem Jahr noch lange nicht verspielt.

Aus dem Film ´Der Zigeuner´
Bis in den internationalen Filmwettbewerb nach Italien, Kanada und Griechenland haben es tschechische Filme in diesem Jahr geschafft. Auf den Internationalen Filmfestspielen in Venedig feiert Tomáš Luňáks schon langerwarteter Animationsfilm ´Alois Nebel´ seine Weltpremiere. Direkt im Anschluss daran, geht es ohne Rücksichtnahme auf Jetlag auf dem nordamerikanischen Kontinent weiter. Auf dem Internationalen Filmfestival in Toronto wird neben ´Alois Nebel´ auch der Film ´Cigán´ (´Der Zigeuner´) vom slowakischen Regisseur Martin Šulík gezeigt. Und da das vielleicht Beste immer zum Schluss kommt, wird sich Václav Kadrnkas Debütfilm ´Osmdesát dopisů´ (´Achtzig Briefe´) im November auf dem Internationalen Filmfestival in Thessaloniki behaupten müssen. Ein tschechischer Film hat zwar seine Festivaltour bereits hinter sich, nichtsdestotrotz war er wohl die Überraschung des Jahres. Von Kritikern wurde er sogar als ´Komödie des Jahres´ bezeichnet. Welcher Film gemeint ist, verrät Jana Černík vom Tschechischen Filmzentrum:

Aus dem Film ´Nesvatbov´
„Wenn wir den Erfolg der tschechischen Filme an ihren gewonnenen Preisen messen, dann können wir eigentlich nur von einem erfolgreichen Film in diesem Jahr sprechen. Ich meine den Dokumentarfilm ´Nesvatbov´ (´Dorf der Unverheirateten´) von Erika Hníková. Der Film handelt von einem slowakischen Dorf, in dem lauter unverheiratete Dreißigjährige leben. Diese Situation will der Bürgermeister ändern.“

Für einen der begehrten Goldenen oder Silbernen Berlinale-Bären reichte es zwar nicht. Überraschenderweise gewann ´Nesvatbov´ jedoch den Preis der Berliner Tagesspiegelleser. Von dem Durchbruch der Tragikomödie hatte nicht einmal die Regisseurin Erika Hníková zu träumen gewagt. Dem Tschechischen Rundfunk gegenüber äußerte sie:

Aus dem Film ´Nesvatbov´
„Dass der Film als ´Komödie des Jahres´ bezeichnet wird, das überrascht mich. Auf der einen Seite freue ich mich darüber, auf der anderen Seite macht es mich aber auch unglücklich. Der Film ist nicht nur lustig. Die Hauptdarsteller verkörpern Einsamkeit und Verbitterung. Ich hoffe, dass die Zuschauer den Film mit einem lachenden und weinenden Auge verfolgen. Während der Filmvorstellung haben die Leute meistens gelacht. Nach dem Film sind sie dann zu mir gekommen und haben mir erzählt, dass sie über den Film und in diesem Zusammenhang auch über ihre Beziehungen nachgedacht hätten. Manche kamen sich trotz Partner einsamer als unsere Hauptdarsteller, die Single sind, vor.“

Animationsfilm ´Alois Nebel´
Der Film ´Alois Nebel´ wird ´Nesvatbov´ mit Sicherheit nicht seinen Titel streitig machen. Als ´Komödie des Jahres´ wird er wohl nicht bezeichnet werden, dafür aber vielleicht als ´Animationsfilm des Jahres. Jaroslav Rudiš, Schriftsteller und einer der Väter von Alois Nebel erklärt, warum der so eigentlich unscheinbare Fahrdienstleiter aus dem tschechischen Grenzgebiet vielen Menschen so ans Herz gewachsen ist und warum viele Fans die Filmpremiere kaum erwarten können:



„Alois Nebel ist einer von vielen und dennoch ist er der Held unserer Comicleser und er wird auch der unserer Kinobesucher werden. Wir haben fünf Jahre an diesem Film gearbeitet. Es ist eine deutsch-tschechisch-slowakische Koproduktion. Mich freut sehr, dass das ein mitteleuropäischer Film geworden ist, denn er spiegelt auch die Geschichte Zentraleuropas wider. Es geht um Vertreibung, Vergangenheit, die Wende, Geisteswandel und Psychosen im letzten Jahrhundert und auch um Liebe. Im Jahr 2003 ist der erste Band der Trilogie erschienen. Mit derartigem Erfolg hatten wir damals nicht gerechnet. Von einer Geschichte über einen fünfzigjährigen Eisenbahner, der alte Fahrpläne sammelt, hatten wir uns ursprünglich wenig erhofft. Von dem ersten Band haben wir 7500 Exemplare verkauft. Es folgten zwei weitere Bände sowie Kurzgeschichten von Jaromír 99 und mir. Tomáš Luňák hat für den Film Regie geführt. Wir wollten, dass der Film sich möglichst nah an unserem Comic orientiert.“

Auch das Herz von Jaroslav Rudiš hängt an Alois Nebel. In dieser Story verarbeitet er seine Biographie und Familiengeschichte. Als Inspirationsquelle für immer neue, unterhaltsame Geschichten dienen ihm die Erinnerungen an seinen Großvater Alois Rudiš. Auch er arbeitete wie Alois Nebel vor und nach dem Krieg als Eisenbahner im deutschsprachigen Grenzgebiet. Nach neun langen Jahren ist der Hype um Alois Nebel noch lange nicht abgebrochen. Ob der Film die Erwartungen der Fans erfüllen wird, dazu Jaroslav Rudiš:

„Das kann ich jetzt noch nicht wissen. Natürlich hoffe ich auf den Erfolg. Immerhin hat Alois Nebel viele Fans. Leute, die sich auf seine Spuren begeben. Es gibt Fans, die die Orte Alois Nebels aufsuchen und dort Fotos von sich und Alois Nebel auf den Streckenabschnitten und Bahnhöfen machen. Das finde ich großartig. Vor allem auch deswegen, weil man auf solche Entwicklungen einfach keinen Einfluss nehmen kann. Jaromír und ich lassen uns überraschen. Wir hätten nie gedacht, dass sich die Story überhaupt verkaufen lässt und jetzt plötzlich wird der Film auf Filmfestivals in Venedig und Toronto gezeigt.“

Václav Kadrnkas Debütfilm ´Achtzig Briefe´
Übrigens erscheint die erste deutsche Übersetzung von Alois Nebels Trilogie im Januar 2012. Unterschiedlicher könnten die tschechischen Wettbewerbsbeiträge für die diesjährigen Filmfestivals der Welt kaum sein. Das tschechische Drama ´Osmdesát dopisů´ von Václav Kadrnka hat es in die engere Auswahl auf dem Internationalen Filmfestival in Thessaloniki geschafft und wird auf jeden Fall gezeigt werden. Jana Černík vom Tschechischen Filmzentrum fasst zusammen, worum es in diesem Film geht:



Aus dem Film ´Achtzig Briefe´
„Osmdesát dopisů´ ist ein Debütfilm von Václav Kadrnka. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Die Grundlage des Films sind achtzig Briefe, die sich die Eltern Kadrnkas geschrieben haben, als sein Vater Anfang der 1980er Jahre nach England ausgereist ist und die Mutter mit dem Sohn in der damaligen Tschechoslowakei bleiben musste. Mehrere Jahre versuchten sie dem Vater nach Großbritannien zu folgen. Der Film ist ästhetisch sehr reduziert und dennoch sind die einzelnen Situationen sehr sanft und vorsichtig in Szene gesetzt worden. Kadrnka ist mit diesem Film gelungen, die Atmosphäre im Sozialismus und die damit verbundene Willkür der Behörden widerzuspiegeln. Eine beispielhafte Szene ist die, wo die Mutter versucht eine Ausreisegenehmigung zu beantragen.“

Aus dem Film ´Achtzig Briefe´
Der Film ´Osmdesát dopisů´ besticht nicht durch seine Dialoge, sondern vielmehr durch Tempo, Sprache, Farbe, Schnitt und Ton. Geeignete Drehorte fand Kadrnka im mährischen Zlin und Brünn. Aus den entstandenen Aufnahmen puzzelte er sich die sozialistische Stadt seiner Kindheit zusammen. Für ihn zählt nicht das rohe Zeitdokument. Er versucht mit diesem Film Gefühle beim Zuschauer zu wecken. Der Film schaffte es ohne staatliche Unterstützung bis in den Wettbewerb der Berlinale. In diesem Zusammenhang äußerte Kadrnka dem Tschechischen Rundfunk gegenüber:

Václav Kadrnka
„Das war eine schreckliche Erfahrung für mich. Die Situation ist derzeit gerade für angehende Filmemacher sehr schlecht. Es geht dabei vor allem um Projekte, die viele Leute zufrieden stellen müssen. Der Staatsfond zur Filmfinanzierung beschäftigt inkompetente Mitarbeiter, die lediglich ihre eigenen Interessen oder die der Verleiher vertreten. Unterstützt wird nur, was auch ins Muster des Fonds passt. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass in Tschechien Produzenten fehlen, die den aktuellen Trend im Film nachvollziehen können. Personen, die auch autonome Projekte unterstützen und das Talent der Regisseure fördern.“

Der Gang ins Kino lohnt sich also, denn auch tschechische Filme spielen in der internationalen Liga mit. Na dann, viel Spaß.

Autor: Iwi Hagenau
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