Verleihung der Goldenen Letter für Kunstbuch über Jan Palach
Das Buch "Jan Palach. Morgen word je wakker geboren" der Niederländerin Nynke Meijer hat beim Internationalen Wettbewerb Schönste Bücher aus aller Welt in Leipzig den Hauptpreis gewonnen, die Goldene Letter. Mehr über den Preis und den Grund, warum eine niederländische Künstlerin ein Buch über Jan Palach gestaltete, hören Sie in unserem heutigen Kultursalon von Martina Zschocke.
Das Schönste Buch der Welt hat in diesem Jahr ein weniger schönes Thema: Jan Palach, den jungen tschechischen Studenten, der sich 1969 aus Protest gegen die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannte. Ein hochemotionales Thema, dem man wohl kaum mit Hochglanzpapier und Farbfotos nahe kommen kann. Das hat die Künstlerin Nynke Meijer denn auch nicht getan. Sie hat das Buch völlig unkonventionell gestaltet: die Seiten bestehen aus Recyclingpapier, das an den Rändern aufgefräst wurde. Dadurch wirkt das gesamte Buch weich und verletzlich. Die Seiten wurden nicht computertechnisch bedruckt, sondern fotokopiert. Die Typografie ist der Zeit Jan Palachs angepasst und macht das Buch damit noch authentischer. Inhalt und Form sind äußerst sensibel aufeinander abgestimmt.
Was nun bewegte eine junge Niederländerin dazu ein Buch über eine Figur aus der schon über zwei Jahrzehnte vergangenen tschechischen Geschichte zu gestalten? Das fragte ich Nynke Meijer, die Gestalterin des preisgekrönten Buches:
"Ich bin, so lange ich mich erinnere, immer sehr fasziniert gewesen vom Ausdruck menschlicher Emotionen, am meisten von der Tragik des Lebens. Und dann habe ich sowieso eine große Vorliebe für die ehemaligen Ostblockländer. Damals habe ich mich in die Archive von Tschechien und Prag vertieft und während dieser Zeit bin ich auf die Tat von Jan Palach gestoßen und habe direkt mein Herz daran verloren. Und ich merkte, dass meine Generation in den Niederlanden nicht oder kaum damit vertraut ist, was Jan Palach getan hat und was damals passiert ist. Und dann merkte ich auch, dass die Verarbeitung, die wir in den Niederlanden mit dem 1. und dem 2. Weltkrieg gehabt haben, dass die - wie mir scheint - erst noch kommen muss in Tschechien, weil sie so lange - für fast 20 Jahre - unterdrückt wurde. Und das war für mich ganz stark der Grund dieses Buch zu machen. Auch um die Menschen sehen zu lassen, was Freiheit ist und was Freiheit bedeutet. Weil ich finde, dass Menschen, die täglich die Freiheit genießen, vergessen, wie es ist, diese vermissen zu müssen."
Nynke Meijer hat grafische Formgebung an der Kunsthochschule Utrecht studiert. Dieses Buch ist ihre Abschlussarbeit. Inzwischen lebt sie in Berlin. Als eine der wichtigsten Phasen in der Entstehung des Buches bezeichnet sie ihren Recherche-Aufenthalt in Prag.
"Dann bin ich zum gegebenen Zeitpunkt nach Prag abgereist und habe dort 5 Tage weiter recherchiert. Ich habe Bild-Material gefunden, Menschen aus seiner Generation gesprochen. Ich habe den Künstler Olbram Zoubek getroffen, der die Todesmaske von Jan Palach gemacht hat. In einem Antikladen habe ich Ludek Svoboda gesprochen, der auch aus seiner Generation war. Ich bin an der Karls-Universität gewesen, wo ich mit Professoren und Studenten geredet habe, die mir ein gutes Bild gegeben haben von Jan Palach und vom Prager Frühling. Denn will man Jan Palach verstehen, muß man ihn in seine historische Dimension platzieren."
Viele dieser Begegnungen beeindrucken Nynke Meijer noch jetzt. Zum Beispiel jene mit Olbram Zoubek, dem Bildhauer, der heimlich die Todesmaske von Jan Palach abgenommen hatte.
"Ein sehr imposanter Mann, aber auch was er erzählte, dass er - weil er die Todesmaske von Jan Palach gemacht hatte, 20 Jahre nicht arbeiten und nicht reisen durfte. Das hat einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Da merkt man auch was für eine Reichweite so etwas hat."
Das Buch hat einen ganz speziellen Stil mit seinen Seiten aus Recycling-Papier, den kopierten schwarz-weißen Seiten, die immer wieder von roten Seiten unterbrochen werden. Ich fragte Nynke Meijer, wie es zu dieser Gestaltung kam:
"Ich habe natürlich auch die Bildsprache in Tschechien untersucht, wie dem damals Form gegeben wurde. Ich habe das Buch sehr monumental aufgemacht. In dieser Zeit wurden viele Pamphlete verteilt, um die Bevölkerung zu mobilisieren und da sieht man die Schnelligkeit im Druck, die Rauheit. Das Rot verweist auf den Stalinismus, der gegen die Bevölkerung gerichtet war. Und es ist auf Recycling-Papier gemacht. Das verweist wieder stark auf die Zeit, auf das Zeitungspapier, genauso wie die Typographie, die auch stark an die Zeit angeglichen ist. Es soll eine Art geschichtliches Dokument sein, eine Ehrerbietung an Jan Palach."
Was ihr ganz persönlich an dem Buch gefällt, erklärt mir Barbara Tetenbaum, Professorin am Oregon College of Art and Craft in Portland und Mitglied der Jury:
"Was ich mochte, war, dass immer auf jedem Blatt Bilder über das Leben von Jan Palach waren. Aber dann kamen immer wieder diese roten Blätter. Es war ein einfacher Rhythmus. Das erste war total leer: es gab keinen Text nur Rot. Und dann kamen Nachrichten schwarz-weiß. Und dann die nächste war auch ganz rot. Aber dann zwei oder drei Blätter später kamen rote Blätter, aber mit einem kleinen Text. Und ich hatte das Gefühl, daß es tiefer unter meine Haut und in meinen Magen geht. I dont´t know, how to say it in German. Maybe I was just taken by the book... Ich wurde von dem Buch mitgenommen. Das Buch nahm mich mit, sagte mir wie ich es lesen soll, anstelle daß ich wußte, wie ich dieses Buch lesen soll."
Wie es zur Entscheidung der Jury kam, erzählt Barbara Tetenbaum, die auch selbst einen Bezug zu Tschechien hat, indem sie zur Zeit als Fulbright Professorin an der Fakultät für Angewandte Kunst und Design in Ustí nad Labem lehrt:
"Ich denke, daß die Leute überrascht waren, daß wir das gewählt haben für diesen Preis. Und es war keine politische Entscheidung. Man könnte das denken, wissen Sie, das ist Jan Palach, das ist ein Anti-Computer-Buch, aber das haben wir nicht gesagt. Es war nur, daß dieses Buch so perfekt gemacht war: das Material, die Kopien und so weiter. Und auch für mich persönlich, ich hatte das Gefühl, daß man dieses Buch wirklich erleben muß."
Jährlich werden die Schönsten Bücher aus aller Welt von der Stiftung Buchkunst prämiert. In diesem Jahr beurteilte die internationale Jury 633 Bücher aus 33 Ländern. Für Nynke Meijer kam der Erfolg ihres Buches völlig überraschend. Auf die Frage, ob sie diesen Preis erwartet habe, lacht sie:
"Nein, absolut nicht. Ich habe da sehr hart daran gearbeitet, während meines Studienabschlusses, 4 1-2 Monate sehr intensiv, aber sowas erwartet man nie. Ich habe es damals hingeschickt und dann riefen Sie mich an und mir wurde mitgeteilt, daß ich aufgenommen wurde in die 42 besten Bücher der Niederlande. Und das fand ich schon total - wow - eine sehr große Ehre. Und dann stellte sich auch noch heraus, daß ich diesen Preis gewonnen habe."
Nynke Meijer freut sich sehr über den Preis. Mehr noch aber freut sie, daß mit diesem Preis das ganze Projekt und Jan Palach gewürdigt werden. An ihre Reise nach Prag erinnert sie sich heute noch gern.
"Meine ganze Reise nach Prag war phantastisch. Es ist eine prächtige Stadt und ein prächtiges Land und ich sagte zu meiner Kontaktperson: wenn man sich in eine Stadt verlieben kann, dann kann ich nun sagen, dass ich in Prag verliebt bin. Prag schlingt seine Arme um deine Schultern. Es ist wirklich eine schöne Stadt. Und die Menschen, die hier wohnen sind so freundlich und so hilfsbereit. Das trägt auch mit zu dem Projekt bei, das steckt da auch drin. Und das macht es auch, daß das Buch lebt."
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sendung. Am Mikrofon verabschieden sich Jitka Mladkova und Martina Zschocke.