Vom Mammutzahn zur Schamanenhütte: Top-Funde der Archäologie
Der Stadtkern von Prag stellt für die Archäologen eine richtige Schatzkammer dar: die wertvollsten Funde, die in den letzten Jahren in der tschechischen Hauptstadt gemacht wurden, kann man zurzeit im Prager Stadtmuseum bewundern – in einer Ausstellung mit dem Titel „Der Weg in die Tiefe der Stadt“. In das Stadtmuseum haben wir Sie in der vergangenen Ausgabe des Spaziergangs durch Prag eingeladen. Dabei haben wir versprochen, die Führung durch die Ausstellung fortzusetzen.
Die Funde, die während der letzten 18 Jahre gemacht wurden, haben den Experten zufolge sehr wertvolle Informationen gebracht. Die Archäologen hätten nun mehrere Beweise dafür, dass das Gebiet unter der Prager Burg bereits im Frühmittelalter eine recht lebendige Stadt war, sagt Jaroslav Podliska vom tschechischen Denkmalschutzamt:
„Auch unter den Laien ist der älteste Bericht über Prag von Kaufmann Ibrahim Ibn Jakob aus dem 10. Jahrhundert bekannt. Er beschrieb Prag als eine Stadt aus Kalk und Stein, wo der Handel blühte. Dies wurde früher in Frage gestellt. Die neuesten Funde geben dem Kaufmann Recht. Gefunden wurden Reste der Stadtbefestigung sowie der Hauptwege, die unter der Burg verliefen. In der Ausstellung kann man einen nachgebildeten Teil einer dieser frühmittelalterlichen Straßen sehen. Bruchteile vom Holz aus dem Frühmittelalter sind nur teilweise erhalten geblieben. Aufgrund eines Holzstücks kann man heutzutage genaue Informationen über das Alter des Baums erfahren. Uns hilft dabei die Wissenschaft Dendrochronologie. Man kann sagen, dass diese Bäume, die für den Bau von Befestigungen benutzt wurden, am Ende des 9. Jahrhunderts gefällt wurden.“
In der Ausstellung wird des Weiteren der Fund einer der ältesten Kirchen aus der Umgebung der Prager Burg dokumentiert. Die Reste der St. Wenzel-Rotunde befinden sich im Gebäude des ehemaligen Jesuitenkollegs auf dem Kleinseitner Ring. Dort hat die mathematisch-physikalische Fakultät der Karlsuniversität ihren Sitz.
„Leider ist der Raum, den man in der Ausstellung auf einigen Fotos sehen kann, für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, auch wenn er es verdienen würde. Bei den archäologischen Ausgrabungen wurden die Fundamente einer Rotunde sowie herrliche Fliesen gefunden. Diese sind ein Beispiel der Reliefplastik um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts. Dies ist ein sehr frischer Fund. Bislang hatten wir keine Möglichkeit, ihn öffentlich zu präsentieren.“
Der Fund wurde im Zusammenhang mit den Bauarbeiten gemacht. Die Fakultät wollte ihre Räume erweitern und dabei stieß man auf die Fundamente einer Kirche.
Im Stadtmuseum kann man eine Auswahl von Gegenständen bewundern, die die Atmosphäre des Frühmittelalters auf der Prager Kleinseite näher bringen: Schmuck, Schlüssel zu einem mittelalterlichen Haus der Kleinseite, Spielmarken, sowie Fliesen. An einem Modell der Kleinseite wird dargestellt, wie das Terrain während der Jahrhunderte durch Aufschüttungen höher geworden ist, erläutert Jaroslav Podliska:
„Ich nenne das folgende Beispiel: Stellen Sie sich vor, sie gehen durch die Mostecká vor der Karlsbrücke. Wenn Sie sich auf dem Straßenniveau bewegen möchten wie die Leute im 9. Jahrhundert, müssten Sie um 5 Meter runter klettern. Man kann sagen, dass man im Stadtzentrum auf lauter archäologischen Funden spaziert. Denn die Aufschüttungen sind während der Zeit im Stadtkern ungeheuer hoch gewesen. Die Archäologen haben darum viel Arbeit, um unter all den Schichten zu erforschen, wie die Leute im Mittelalter gelebt haben.“
Im Grunde genommen handelt es sich bei den Aufschüttungen dem Experten zufolge um Abfälle. Es konnte sich um Material handeln, das die Leute bei der Errichtung eines Kellers ausgegraben haben. Es ging oft um Abfälle, die die Leute früher nicht ordentlich entsorgten, sondern in der Umgebung verteilt haben.
Später als die Kleinseite ist die Altstadt zum Handelszentrum geworden. In der Altstadt wohnten vorwiegend reiche Patrizierfamilien. Mehrere Exponate der Ausstellung zeugen von den regen Kontakten, die die damaligen Bewohner Prags im Ausland hatten. Aus archäologischer Sicht ist jedoch ein winziger Gegenstand von Bedeutung, sagt Podliska:„Dieser kleine Glassplitter ist einzigartig. Es ist ein Bruchteil eines blauen Behälters, der höchstwahrscheinlich im 12. Jahrhundert in Byzanz hergestellt wurde. Ein anderes Exponat zeugt davon, dass die Bewohner von Prag im Mittelalter reiselustig waren und an vielen Pilgerfahrten teilnahmen. Aus Köln hatten sie beispielsweise ein Pilgerabzeichen mit dem Motiv der drei heiligen Könige mit nach Prag gebracht. Aus dem Mittelmeerraum stammt wiederum ein Glaskelch, der auf der Innenseite mit Wappen geschmückt wurde. Wir wissen nicht, ob er in Frankreich oder in Italien hergestellt wurde. Er gehörte bestimmt einem reichen Prager Patrizier.“
Für die Archäologen ist es nicht immer nur eine Freude, wieder etwas Neues in der Tiefe unter der Stadt zu entdecken. Denn alle archäologischen Forschungen seien im Zusammenhang mit den Bauarbeiten durchgeführt worden, sagt der Experte.
„Die Bautätigkeit vernichtet die Beweise über das vergangene Geschehen. Die Aufgabe der Archäologie ist es in letzter Zeit, die Sachen in erster Linie zu retten. Es geht jedoch um die Rettung nur im weitesten Sinne des Wortes. Denn wir dokumentieren die Sache, den Stand der Dinge, aber der Fundort verschwindet. Wir bemühen uns darum, dass wenigstens ein Teil des historischen Erbes auf dem ursprünglichen Ort bleibt und dass die Verbindungen aus der Vergangenheit erhalten bleiben. Diese fehlen uns oft.“
Ein Beispiel dafür sei, so Podliska, der Friedhof aus der Zeit des Barock, der in der Straße Šporkova auf der Kleinseite gefunden wurde. Es wurde erlaubt, an diesem Ort, wo etwa 900 Gräber gefunden wurden, unterirdische Garagen zu bauen. Der Friedhof musste den Garagen Platz machen. Es sei Schade, denn Prag verliere damit seine historischen Wurzeln, sagt Jaroslav Podliska. Er sei ein Archäologe, der draußen im Terrain arbeitet. In dem Moment, wo er mit seinen Kollegen an den Ausgrabungen zu arbeiten beginne, sei meistens bereits entschieden worden, dass an dem Ort etwas gebaut werde, erzählt Podliska. In der Ausstellung wird der vor einigen Jahren heftig diskutierte Fall vom Prager Platz der Republik dokumentiert. Heutzutage steht dort das Shopping Center Palladium.
„Die 900jährige Geschichte der Stadt, 900 Jahre alte Denkmäler mussten dem Einkaufszentrum Platz machen. Erhalten geblieben sind heutzutage nur drei Teile der romanischen Mauern, die im Interieur des neuen Gebäudes zu finden sind. Das ist sehr Schade. Denn verschwunden sind das ganze Kapuzinerkloster, Häuser aus dem Mittelalter sowie Töpferwerkstätten. Die Funde haben zwar unsere Kenntnisse über die Stadt erweitert. Im Falle des Platzes der Republik hätte ich jedoch dafür gestimmt, die Sachen an deren ursprünglichen Ort zu lassen.“ Die Archäologie entwickelt sich, und das, was vor 30 Jahren noch ein Rätsel gewesen wäre, kann heutzutage in der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus anderen Bereichen gelöst werden. Der Archäologe fordert auf:„Vernichten wir nicht alles. Kann sein, dass die künftigen Generationen die Möglichkeiten haben werden, die Kenntnisse zu erweitern. Die Archäologen stellen bei uns nur eine kleine Berufsgruppe dar. In ganz Tschechien gibt es etwa 400 Archäologen. Ungefähr die Hälfte von ihnen beteiligt sich an den Arbeiten draußen. In Prag sind es etwa 40 Leute, die ständig draußen arbeiten. Diese Ausstellung ist die erste Präsentation, bei der wir die Prager darauf aufmerksam machen wollen, dass die Sachen, die unter der Erde versteckt sind, ihre Bedeutung haben.“
Die Archäologen vom Prager Stadtmuseum haben den großen Wunsch, mal ein selbständiges archäologisches Museum zu errichten. Denn die reichhaltigen Sammlungen von archäologischen Funden würden es ihrer Meinung nach zweifelsohne verdienen. Vorläufig kann man wenigstens einen Bruchteil der Funde in der neuen Ausstellung besichtigen. Sie ist im Prager Stadtmuseum bis 10. Januar 2010 zu sehen.