Vom Neuanfang der Partnerstädte Sumperk und Bad Hersfeld

Sumperk (Foto: Jana Sustova)
0:00
/
0:00

Einen Neuanfang zu wagen, nachdem Tschechien zur Europäischen Union beigetreten ist, und dabei nicht zu vergessen, was in der Vergangenheit geschah: Das war der Tenor eines festlichen Treffens der Partnerstädte Sumperk/ Mährisch-Schönberg und Bad Hersfeld, das Ende August stattfand und an dem der Botschafter der Tschechischen Republik in Berlin, Dr. Boris Lazar, teilnahm. Es berichtet unsere freie Mitarbeiterin Karin Rolle.

Sumperk  (Foto: Jana Sustova)
Als man Ende August auf dem Neumarkt zu Bad Hersfeld ein Schild mit der Aufschrift Mährisch-Schönberg/Sumperk-Platz enthüllte, war nichts mehr zu hören von der Kritik, die im Vorfeld geübt wurde. Die Kritiker verstummen langsam, und es melden sich vermehrt versöhnende Stimmen zu Wort, die an die Geschichte der beiden Städte Bad Hersfeld und Mährisch-Schönberg angemessen erinnern wollen. Im Jahre 1946 waren Deutsche, die in Mährisch-Schönberg lebten, von den Tschechen vertrieben worden. Viele von den 7277 Vertriebenen fanden im damaligen Kreis Hersfeld eine neue Heimat. Aus diesem Grund einigte sich der Magistrat der Stadt auf die Übernahme einer Patenschaft für die Bürger aus Mährisch-Schönberg, die 1954 besiegelt wurde, wie der Bürgermeister der Stadt Bad Hersfeld, Hartmut Boehmer, berichtet:

"Die Patenschaft war Ausdruck der Hilfe, die man den Vertriebenen zukommen lassen wollte. Es war aber auch ein Versprechen, die mitgebrachten kulturellen Güter in angemessener Weise zu bewahren und auszustellen. Dies ist in der Vergangenheit geschehen."

In diesem Zusammenhang gründete sich der Heimatkreis Mährisch-Schönberg e.V., der seine mitgebrachten Kulturgüter in einem Museum der Öffentlichkeit zugänglich machte. Auf das Betreiben des Heimatkreises kam es dann 1994 zur Begründung einer Städtepartnerschaft zwischen Bad Hersfeld und Mährisch-Schönberg/Sumperk, wie sich der Bürgermeister der Stadt Sumperk, Zdenek Broz, erinnert:

"Die Grundlage der Städtepartnerschaft war die Initiative des Heimatkreises Mährisch-Schönberg e.V., das heißt die Initiative von Menschen, die das Gebiet Sumperk verlassen mussten und im Gebiet um Bad Hersfeld eine neue Heimat fanden. Sie entwickelten nach dem Jahr 1989 neue Aktivitäten, die schon existierende Patenschaft zwischen Bad Hersfeld und den Vertriebenen aus Mährisch-Schönberg zu erweitern und eine Städtepartnerschaft zwischen Bad Hersfeld und Sumperk zu begründen, was sich im Jahr 1994 verwirklichte."

Sumperk  (Foto: Jana Sustova)
2004 jährten sich nun die Ereignisse. Es gab die 50-jährige Patenschaft und die 10-jährige Partnerschaft der Städte zu feiern. Den Anlass nutzte man, um sich gemeinsam der Vergangenheit zu erinnern, aber vor allem, um die zukünftige Zusammenarbeit nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur EU zu vertiefen. Dazu noch einmal Zdenek Broz:

"Ich denke, dass nach dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union es erneut nötig ist, die Beziehung zwischen Deutschland und Tschechien zu reflektieren. Auch dieses Treffen trug zur Erneuerung der Beziehung bei. Es mag sein, dass es in Mährisch-Schönberg noch immer Menschen gibt, die sich von einer solchen Initiative bedroht fühlen und Angst vor Entschädigungsforderungen der ursprünglichen Bewohner, der Sudentendeutschen, haben. Aber gerade nach dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union ist das Interesse an einer gemeinsamen Zusammenarbeit und einer Verbesserung der Beziehung gestiegen. Ich habe in Bad Hersfeld betont, dass ich zwölf Jahre nach dem Krieg geboren bin. Ich habe also keine Vorurteile oder Probleme, in der Zukunft mit den Bürgern Deutschlands oder Tschechiens zusammenzuarbeiten."

Auch der Bürgermeister der Stadt Bad Hersfeld, Hartmut Boehmer, unterstrich die zukünftige Zusammenerbeit, die die gemeinsame Vergangenheit im Blickwinkel behält, wie Hartmut Boehmer berichtet:

Sumperk - Rathaus  (Foto: Jana Sustova)
"Der Heimatkreis Mährisch-Schönberg e.V. hat ein eigenes Museum mitten in der Stadt. Am letzten Wochenende haben Tschechen und Heimatvertriebene gemeinsam dieses Museum besichtigt und waren sehr erstaunt, dass es ein sehr freundschaftlicher Ton war, der zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen herrscht. Nun wollen wir alle zusammen einen praktischen Neuanfang wagen. Wir wissen um die Geschichte. Wir wissen um die unterschiedlichen Interpretationen der Geschichte. Aber das hilft uns nicht weiter. In Kenntnis der Geschichte müssen wir neue Wege beschreiten in Hinblick auf das erweiterte Europa."

Einen praktischen Neuanfang haben die Städte bereits vor dem gemeinsamen Treffen gewagt. Mit der Hilfe der Stadt Bad Hersfeld konnte ein europäisches Begengungszentrum in Sumperk eröffnet werden. Noch einmal Zdenek Broz:

Sumperk - Theater  (Foto: Jana Sustova)
"Ohne die Partnerschaft mit Bad Hersfeld wäre es nicht zur Rekonstruktion des Europäischen Hauses der Begegnung gekommen. Die Finanzierung wurde von der Stadt Sumperk, der Stadt Bad Hersfeld und der bundesdeutschen Regierung getragen. Bis heute unterstützt die deutsche Regierung und die Stadt Bad Hersfeld den laufenden Betrieb des Hauses. In diesem Haus hat unter anderem der Verein Deutsch-tschechische Verständigung seinen Sitz."

Das Europäische Begegnungszentrum wird von Walter Sitte geleitet, der die Aufgaben und Ziele des Hauses wie folgt umschrieb:

"Aufgabe des Hauses ist die Betreuung der deutschen Minderheit. Weil es sich um ein öffentliches Gebäude handelt, ist das Haus zugänglich für die breite Öffentlichkeit. Es wird auch von tschechischen Vereinen und politischen Parteien genutzt. Auch von der Stadt, teilweise auch vom Landratsamt. Von ihnen werden hier Tagungen und Seminare durchgeführt. Ausserdem befindet sich auch eine deutsche Bibliothek mit ca. 4000 Bänden im Haus."

Auf die Frage, wie das Europäische Begenungszentrum von der einheimischen Bevölkerung in Sumperk aufgenommen wird, antwortete Walter Sitte:

Sumperk - Altkatholische Kirche  (Foto: Jana Sustova)
"Sehr gut. Es gibt verschiedene Signale, die das bestätigen. Wir haben beispielsweise an dem Gebäude zweisprachige Schilder angebracht, die auch den Stadtnamen Sumperks in deutscher Sprache - also Mährisch-Schönberg- tragen. Darauf reagieren die Tschechen manchmal etwas empfindlich. Doch bisher habe ich keine Klage, keine Beschwerde oder irgendwelche Kritik gehört."

Die Zusammenarbeit der Städte Bad Hersfeld und Sumperk, die wie das Europaäische Begegnungszentrum zeigt, sehr gut harmoniert, soll auch weiterhin forciert werden. In Zukunft planen die Städte regelmässige Begegnungen. Denn das gegeseitige Kennenlernen der Bürger sei die wichtigste Grundlage für das Verständnis des jeweils anderen. Dass dies kein leichtes Projekt ist, bemerkt man immer wieder bei verschiedenen Problemen des Alltags, so der Bad Hersfelder Bürgermeister Hartmut Boehmer:

Sumperk - Evangelische Kirche  (Foto: Jana Sustova)
"Das ist zum einen die Entfernung zwischen Sumperk und Bad Hersfeld, das sind 12 Busstunden. Sicherlich sind auch die unterschiedliche Währung und der unterschiedliche Lebensstandard ein Problem. Das darf man nicht verschweigen. Das dritte Problem ist das der Sprache."

Dass die Bad Hersfelder und die Sumperker diese Klippen gekonnt umsegeln, zeigt nicht nur das festliche Treffen, das sie Ende August gemeinsam begingen. Immer wieder neu und immer erfolgreicher erproben sie den Weg "Vom Hass zur Freundschaft in Europa", wie es der Tschechische Botschafter Dr. Boris Lazar in seiner Festrede in Bad Hersfeld umschrieb.