Vom Weinberger Tunnel in die Zukunft: Prag und seine Eisenbahn
In ganz Europa wird dieser Tage die "Woche der Mobilität" begangen - auch in Prag Anlass für zahlreiche Veranstaltungen. Dabei muss es nicht nur um Verkehrschaos und Umweltaspekte gehen: Fast wie bestellt fällt in die Aktionswoche auch der 135. Jahrestag der Eröffnung des ersten Eisenbahntunnels zum Prager Hauptbahnhof, durch den Prag 1871 erst zu einem wirklichen Knotenpunkt im europäischen Bahnnetz wurde. Für den Schriftsteller und stadthistorischen Spaziergänger Eugen Brikcius Grund genug, zusammen mit den Tschechischen Bahnen einen Ausflug in die Geschichte, aber auch in die Zukunft der Eisenbahn in Prag zu unternehmen. Für Radio Prag und eine neue Ausgabe der Reihe Forum Gesellschaft war auch Thomas Kirschner dabei.
"Die allererste Fahrt durch den neuen Tunnel hat vor 135 Jahren stattgefunden - genau heute, an diesem Tag",
so Eugen Brikcius, Schriftsteller und unermüdlicher Organisator stadthistorischer Happenings, der zusammen mit den Tschechischen Bahnen zum Jubiläums-Festakt in den ehemaligen kaiserlichen Wartesaal des historischen Prager Hauptbahnhofes geladen hat. Unter den Gästen ist auch Karel Hejtmanek, mehr als ein Jahrzehnt lang Chefarchitekt der Hauptstadt Prag. Ein Tunneljubiläum zu feiern, das ist für ihn nicht nur romantischer Spleen:
"Der Bau des Tunnels hatte wirklich eine enorme Bedeutung, denn durch den Tunnel kam es wortwörtlich erst zu der Verbindung der Nordwestbahn mit der Südbahn, und auf einmal hat sich Prag mitten in Europa befunden, denn plötzlich lag Prag auf einer durchgehenden Verbindung von Berlin nach Wien. Vorher gab es die nicht - da hat die eine Bahn vor Vinohrady aufgehört und die andere hinter Vinohrady angefangen."Der Tunnelneubau war 1871 vom Fürsten Schwarzenberg eröffnet worden, und auch das Patronat der Jubiläumsveranstaltung lag 135 Jahre später wieder in den Händen eines Vertreters der Familie Schwarzenberg: Der ehemalige Kanzleichef von Vaclav Havel, Karel Schwarzenberg, Jahrgang 1937, erinnerte sich an den Prager Hauptbahnhof in seinen Jugendtagen. Der vormalige Kaiser-Franz-Josephs-Bahnhof trug nach dem Zerfall der Donaumonarchie und der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik damals den Namen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson:
"Meine ganze Kindheit ist mit dem Wilson-Bahnhof verbunden, wie er damals hieß, oder mit dem Wilsonak, wie wir gesagt haben. Damals war der Bahnhof noch ganz zu sehen, und nicht nur zur Hälfte, weil der untere Teil heute von der Stadtautobahn verdeckt wird. Es stimmt, dass mein Ururgroßonkel, der sich überhaupt an dem Ausbau der Eisenbahn in Böhmen beteiligt, hier vor 135 Jahren den ersten Weinberger Tunnel eröffnet hat. Mir kommen dabei eine Reihe sentimentaler Gedanken, wenn ich hier durch den alten Bahnhof gehe und den historischen Sonderzug sehe. Die Waggons haben sogar die Aufschrift CSD, also Tschechoslowakische Staatsbahnen, genau wie vor dem Krieg in meiner Kindheit. Ich hoffe, dass Sie es genauso genießen wie ich, wieder mit einem alten Zug zu fahren, der noch angefahren ist mit einem richtigen sch-sch-sch..."
Mit einer historischen Dampflok ging es für die Festgäste dann durch den Tunnel, dorthin, wo sich früher einmal der Vorortbahnhof Kralovske Vinohrady / Königliche Weinberge befunden hat.
"Es tut mir leid, dass dieser Zug nur heute zu der inzwischen längst aufgegebenen und nur für den heutigen Tag erneuerten Vorortstation Kralovske Vinohrady fährt. Es ist schön, dass man vom Prager Hauptbahnhof aus in alle Himmelsrichtungen fahren kann, aber dass es die alten Vorstadtbahnhöfe Vinohrady und Vysehrad nicht mehr gibt, das ist für Prag schade - vor allem jetzt im Moment, wo gerade die Straßenbahngleise ins Nusle-Tal herunter repariert werden: Die Leute, die jetzt zu Fuß laufen müssen, könnten ansonsten mit dem Zug fahren."
Was Bezirksbürgermeister Michal Basch hier eher humoristisch anmerkt, leitet tatsächlich zu der aktuellen Dimension des Jubiläums über. Denn die Eisenbahn, die bislang Prag eher trennt als verbindet, für die Stadt zurückzugewinnen, das ist eine der aktuellen Bestrebungen der Stadtplanung in Prag, erläutert der ehemalige Prager Chefarchitekt Karel Hejtmanek, der zurzeit als Berater für Raumplanung bei der Tschechischen Bahn tätig ist:
"Wir versuchen, die Bahn so zu gestalten, dass sie den städtischen öffentlichen Nahverkehr ergänzen und unterstützen kann und dass es möglich ist, neben Straßenbahn und Metro auch die Bahn für den Prager innerstädtischen Verkehr zu nutzen."
Dazu soll 135 Jahre nach dem ersten Prager Eisenbahntunnel unter anderem ein weiterer Tunnelbau dienen, der bereits im übernächsten Jahr fertig gestellt sein soll. Die Röhren durch den Prager Vitkov-Berg werden dann die Vorstädte und das Umland im Osten von Prag besser an das Stadtzentrum anbinden und die engen Trassen an den Flanken des Berges ersetzen. Das ist aber nur eine der großen Veränderungen an den Prager Bahnanlagen, die in den nächsten Jahren das jahrzehntelang gewohnte Bild der tschechischen Hauptstadt deutlich verändern werden. Unter anderem steht dem Prager Hauptbahnhof eine umfassende Rekonstruktion bevor, die bereits in diesem Herbst beginnen wird. Bis 2010 soll aus dem heruntergekommenen Umschlagplatz für Reisende wieder ein Schmuckstück der Stadt werden - ein Ort, an dem man sich gerne aufhält, erläuterte der zuständige Architekt Karel Hajek:"Der Grundgedanke ist, dem Bahnhof eine würdige Funktion zurückzugeben und die Menschen wieder in den Bahnhof zu holen - nicht nur die Reisenden und die Touristen, sondern auch die Prager Bürger. Damit hängt auch zusammen, den trennenden und abgrenzenden Effekt der Bahnanlagen zu beseitigen."
Ein großer Teil der riesigen Gleisanlagen rund um den Prager Hauptbahnhof, die wie eine riesige Narbe die Innenstadt von den Vorstädten trennen, wird dabei heute nicht mehr gebraucht, da der Güterverkehr längst aus dem Stadtzentrum verschwunden ist. Für Prag ist das brachliegende Gelände das größte innerstädtische Entwicklungsareal. Gleich neben dem Hauptbahnhof soll ein ganz neues Wohn- und Büroviertel entstehen, erklärt Raumplaner Karel Hejtmanek:
"Wir habe heute die Gelegenheit, die für den Bahnbetrieb nicht mehr benötigten Flächen neu gestalten zu können, und wir sollten dabei versuchen, die Industrieschneise zu schließen, die Wunde, die die Eisenbahn und die Industrieansiedlungen an den Bahnlinien in die Städte geschlagen hat. Die Städte zeigen ihr freundliches Gesicht an den Straßen - entlang der Bahnlinien sieht das ganz anders aus. In Prag wurden im 19. Jahrhundert nicht nur viele Parks, sondern auch die Bahnanlagen an Stelle der nicht mehr benötigten Schanzanlagen errichtet - und heute haben wir erneut die Möglichkeit, dass an Stelle der nicht mehr benötigten Bahnanlagen etwas entstehen kann, das der Stadt nicht mehr nur den Rücken zukehrt."