Von den Nazis und den Kommunisten verfolgt (2. Teil): Zdeněk Sternberg
Zdeněk Sternberg ist am 19. Januar im Alter von 97 Jahren gestorben. Er stammte aus einem alten böhmischen Adelsgeschlecht. Ursprünglich war er als Erbe des Besitzes vorgesehen und wurde auf der Burg Český Šternberk / Böhmisch Sternberg großgezogen. Die Familie wurde jedoch von den Nazis verfolgt und später auch von den Kommunisten. Diese ließen sie dann enteignen, und Zdeněk Sternberg musste in den Strafbataillons dienen. 1968 emigrierte er nach Österreich. Nach der Wende von 1989 erhielt er die Burg zurück. Seitdem lebte er auf dem Stammsitz seiner Familie. Der Tschechische Rundfunk hat vor zwei Jahren eine mehrteilige Serie über das Schicksal von Zdeněk Sternberg gesendet. Seine Erinnerungen wurden 2011 für das Inlandsprogramm aufgezeichnet. Vor einer Woche haben wir den ersten Teil von Sternbergs Erinnerungen zusammengefasst. Den zweiten Teil, über die Zeit ab 1948, bringen wir im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte.
In seinen Erinnerungen hat Zdeněk Sternberg die Zeit von 1945 bis 1948 als „Jahre der Pseudodemokratie“ bezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb er sich in Prag zu einem Jura-Studium ein.
„Damals wollten viele hierzulande studieren. Denn unter der nationalsozialistischen Besatzung waren die Hochschulen geschlossen gewesen. Ich erinnere mich daran, wir im ersten Semester damals sogar 5000 Studenten waren. Der Andrang war kaum zu bewältigen. Im Gebäude der Fakultät war während des Kriegs das SS-Kommando untergebracht. Als wir 1945 die Räumlichkeiten betraten, hing dort noch der typische Gestank des Militärs in der Luft.“
Zdeněk Sternberg legte sein Staatsexamen erfolgreich ab. Gemeinsam mit vielen anderen Studenten nahm er am 25. Februar 1948 an einem Demonstrationszug auf die Prager Burg teil. Mit ihrem Marsch wollten die Studenten Staatspräsident Edvard Beneš bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie gegen die Kommunisten unterstützten. Tausende von jungen Menschen begaben sich damals vom Gebäude der Technischen Hochschule auf dem Karlsplatz in Richtung Prager Burg. Einige Straßen waren jedoch gesperrt, darum mussten die Demonstranten über den Petřín / Laurenziberg und durch den Seminargarten gehen. Doch es gelang ihnen, eine Delegation zum Staatspräsidenten zu schicken. Der Burghof, auf dem die Studenten standen, füllte sich aber zusehends mit Polizisten und Angehörigen der Volksmilizen (gut ausgerüstete Kampfeinheiten der Kommunistischen Partei, Anm. d. Red.). Dazu Zdeněk Sternberg:
„Als es zum Angriff auf die Demonstranten kam, entstand ein großes Gedränge. Von hinten drängten die Studenten nach vorne, aber diejenigen, die in den ersten Reihen standen, wurden zusammengeschlagen und drückten nach hinten. Ich war dort damals mit der Schwester meiner künftigen Frau. Sie studierte auch in Prag. Der Druck in der Menschenmasse war schrecklich, es war fast zum Ersticken. Plötzlich gelang es uns, aus dem Gedränge zu flüchten, und zwar über die Treppe, die zur Straße Úvoz führt.“
Strafbataillon in der Kohlegrube
Die Kommunisten ergriffen die Macht in der Tschechoslowakei. Sternberg hielt sich gerade an der Fakultät auf, als die Polizisten das Gebäude durchsuchten, um den unbequemen Vorsitzenden des Juristenvereins „Všehrd“ zu verhaften. Diesem gelang es, sich im Fahrstuhl zu verstecken.
„Am selben Tag flüchtete er nach Bayern. Einen Tag später berichtete der Sender Voice of America darüber. Da begann auch ich, mich zu engagieren. Dank einem guten Bekannten fand ich heraus, wie man über die Grenze nach Bayern fliehen konnte. Ich half meinen zwei Brüdern und weiteren 25 bis 30 Menschen, denen eine Verhaftung drohte, zur Flucht. Viele Menschen wollten damals außer Landes. Unter anderem habe ich dem Generalsekretär des Parlaments, Dr. Josef Madar, mit seiner Frau und Tochter geholfen. Die Tochter, die damals noch jung war, hat mich Jahrzehnte später besucht. Es war ein besonderes Gefühl, denn sie war da schon eine ältere Dame, und die Flucht lang lange zurück.“
Obwohl er sämtliche Prüfungen ablegte, durfte Zdeněk Sternberg als „Klassenfeind“ nicht in seinem Fach promovieren. Die Grenze war inzwischen dicht, und er selbst konnte nicht mehr emigrieren. Das Eigentum der Familie wurde von den Kommunisten konfisziert. Sternberg rückte 1950 zum Militärdienst ein. Er wurde den sogenannten „technischen Hilfsbataillons“ (PTP) zugeteilt. Dies waren Strafbataillons, die es dem Gesetz nach eigentlich gar nicht geben durfte. Die Armee richtete sie dennoch ein, um sogenannte unbequemen Personen umzuerziehen. Die Mitglieder der Bataillone waren billige Arbeitskräfte für das Regime. Sternberg arbeitete als Bergmann, und zwar zunächst im nordböhmischen Hrdlovka bei Duchcov / Dux. Ende April 1951 wurde er gemeinsame mit anderen PTP-Soldaten in einen Güterzug gesetzt. Nach zwei Tagen und zwei Nächten sei er in Karviná ausgestiegen, erinnerte sich Zdeněk Sternberg:
„Der Schacht Františka gehörte zur Großgrube der Tschechoslowakischen Armee. Wir standen auf dem Hof, es kamen die Steiger und musterten uns sehr genau. Das war wie auf einem amerikanischen Sklavenmarkt im 19. Jahrhundert. Sie gaben uns Marken aus Blech. Eine runde Marke bedeutete Frühschicht, eine quadratische war die Nachmittagsschicht und die dreieckige Nachtschicht. Ich wurde in den achten Stock unter der Erde zugeteilt. In Karviná arbeitete ich fünf Jahre und drei Monate lang. Die Bedingungen in den Unterkünften will ich nicht schildern. Positiv war, dass wir mit den anderen Soldaten gut befreundet waren. Denn erniedrigte Menschen halten zusammen, wenn der Druck von oben zu stark wird. Es war eine echte Schinderei. Wenn man gesund ist, gewöhnt man sich an alles. Wir haben dort wirklich geschuftet. Heute kann sich das kaum noch jemand vorstellen, acht Stunden lang auf dem Bauch zu liegen und mit dem Presslufthammer in die Wand zu bohren. Nach drei Wochen kam es einem aber normal vor.“
Kulissenschieber im Musiktheater
Zdeněk Sternberg hatte ein Jurastudium abgeschlossen und beherrschte Fremdsprachen, doch er durfte nicht frei seine Arbeit wählen. Geholfen habe ihm dabei, dass er gläubiger Christ sei, betonte er.
„Die größte Gnade Gottes ist die Möglichkeit, sich zu adaptieren, sich zu gewöhnen. Ich war als der älteste Sohn eigentlich dazu bestimmt, sozusagen als Chef unseren Besitz zu verwalten. Dann fiel ich binnen ein paar Wochen im sozialen Keller bis auf den Boden. Nicht nur physisch oder wegen der Umgebung, in der ich mich befand, sondern vor allem auch im Bewusstsein der Gesellschaft. Ich war das Allerletzte. Denn es gab verschiedene Stufen des Klassenfeindes. Ein Bauer, der fünf Hektar Feld besaß, war auch ein Klassenfeind, aber nur auf mäßiger Stufe. Ein Fabrikbesitzer war schlimmer. Und ein ehemaliger Adeliger war das Schlimmste. So wurde das damals wahrgenommen. Man gewöhnt sich auch daran. Aber ich habe bei weitem nicht nur negative Erinnerungen. Dies galt vor allem für die Zivilangestellten. Einer der Steiger hat mir jeden Tag eine Birne oder eine Semmel mit Wurst mitgebracht. Als ich ihm dankte, sagte er nur: Lass das!“
1956 begann Sternberg im Theater des Prager Stadtteils Karlín als Kulissenschieber zu arbeiten. Dort wurden Operetten aufgeführt. Vom untersten Kulissenschieber habe er es dann bis zum stellvertretenden Bühnenmeister gebracht, schmunzelte er.
„Mam’zelle Nitouche habe ich 180 Mal gesehen, Orpheus in der Unterwelt wohl so 80 Mal. Diese Stücke kenne ich auswendig. Als wir später im Exil in Wien lebten, saßen wir einmal im Salon und ich erzählte etwas, während das Radio ganz leise spielte. Plötzlich hörte ich den Schluss des zweiten Aktes der Lustigen Witwe. Ich brach mitten im Satz ab und wollte zum Vorhang gehen. Das war komisch.“
Exil in Wien
Zwölf Jahre lang arbeitete Zdeněk Sternberg in dem Musiktheater. Im Zuge der kommunistischen Reformbewegung „Prager Frühling“ von 1968 erhielt er dann erstmals die Erlaubnis, seine beiden Brüder in Deutschland zu besuchen. Dies fiel jedoch genau in die Zeit des Einmarschs der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei. Deswegen kehrten er und seine Familie nicht zurück, und für die Sternbergs begann eine neue Lebensetappe. Zuerst reisten sie nach Westfalen, dann zogen sie jedoch um.
„Uns Tschechen steht eher der Donauraum näher, also Bayern und Österreich. Wir zogen nach Wien. Dort fand ich Arbeit bei einem großen Lebensmittelkonzern. Ich fing mit 45 Jahren an, auf einer der niedrigsten Positionen zu arbeiten. 1972 wurde ich zum Prokuristen ernannt, anschließend leitete ich den Bereich Verkauf, schließlich wurde ich zum stellvertretenden Generaldirektor. Das dauerte 20 Jahre lang.“
Als 1989 das kommunistische Regime zusammenbrach, habe er dies zunächst kaum glauben können, räumt Zdeněk Sternberg ein.
„Ich habe etwas geahnt, als wir im Sommer in Burgenland waren, und die Ungarn die Grenze öffneten. Sie ließen Tausende Menschen aus der DDR in den Westen gehen. Das hat mich tief beeindruckt, denn die Menschen sind massenweise geflüchtet. Dies war der erste Impuls.“
Nach der Wende konnte Zdeněk Sternberg wieder nach Böhmen zurückkehren. Nach mehr als 40 Jahren wurde auch die Burg Český Šternberk im Rahmen der Restitutionen an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben. Dies hielt Zdeněk Sternberg für ein Wunder. Er verwaltete das Familieneigentum und setzte die Burg in Stand. 2005 wurde er von Staatspräsident Václav Klaus mit der Verdienstmedaille ausgezeichnet.
Im Gespräch für den Tschechischen Rundfunk betont er, dass er große Hoffnungen in die jüngeren Generationen habe:
„Sie sind nicht durch die Vergangenheit belastet. Ich bin der Meinung, dass für sie Bildung und Fähigkeiten das größte Kapital darstellen. Uns haben hier auf der Burg auch viele Gymnasiasten besucht. Das waren hoch gebildete junge Menschen, die kluge Fragen gestellt haben. Ich bin ein Optimist.“