„Von der Hofburg ins Nachtasyl“ - Jiří Chmel über seine Exilzeit in Wien
Jedes Jahr ehrt der tschechische Außenminister Menschen aus dem Ausland, die sich um den guten Namen der Tschechischen Republik verdient gemacht haben. Viele derer, die den so genannten „Gratias Agit“ erhalten, sind emigrierte Tschechen oder Exil-Tschechen. So auch Jiří Chmel. Er hatte die Charta 77 unterschrieben, die Petition gegen die Menschenrechtsverletzungen des kommunistischen Regimes. Deswegen wurde er aus dem Land getrieben. In Wien gründete er dann den Kultclub „Nachtasyl“, einen Treffpunkt des tschechoslowakischen Exils in der österreichischen Hauptstadt. Im Mai nun wurde er von Außenminister Karel Schwarzenberg mit dem Gratias Agit bedacht, Chmel und der Minister sind im Übrigen befreundet.
„Nach 1968 habe ich längere Zeit im so genannten tschechischen Underground gelebt. Und der hat sich im Jahr 1977 mit der Charta zusammengetan. Damals habe ich auch die Charta 77 unterschrieben. Später wurde ich verhaftet und zu 18 Monaten verurteilt. Und im Jahr 1982 bin ich in Österreich gelandet – auf Einladung von Bundeskanzler Kreisky.“
Das Ganze lief, soweit ich informiert bin, im Rahmen der Aktion „Asanace“ ab. Einfach so ausreisen war auch nicht möglich, hat man Druck auf Sie ausgeübt?
„Ja richtig, als ich aus dem Gefängnis gekommen bin, lief gerade die Aktion ‚Asanace’. Der Druck war wirklich extrem groß, weil man uns mit höheren Strafen gedroht hat. Man hat uns gequält und psychischen Druck ausgeübt - viele unschöne Sachen waren das. Sie haben es dann geschafft, uns ins Ausland zu verfrachten.“
Sie sind in Wien angekommen, ist das richtig?
„Ja, ich bin im April 1982 in Wien angekommen.“
Wie war das für Sie, plötzlich in einem anderssprachigen Umfeld zu sein? Haben Sie irgendwelche Kontakte gehabt oder bekommen?„Es war natürlich schwierig mit zwei kleinen Kindern und einer Frau in einem anderen Land zu landen, aber ich habe viele Bekannte und Freunde dort gehabt. Ich war ja nicht der einzige, der auf diese Weise ‚bestraft’ wurde. Ich habe es aber wesentlich leichter gehabt als die normalen Flüchtlinge.“
Wie kam es denn zu der Gründung Ihres Clubs „Nachtasyl“, der jetzt ja schon einen legendären Ruf genießt?„Wir sind gerade 25 geworden. Entstanden ist der Club, weil in Wien der ‚Paternoster’ herausgegeben wurde, eine Exil-Zeitschrift. Wir haben uns immer Gedanken gemacht, wie und wo wir uns treffen können. Ich habe dann die Räumlichkeiten gemietet, und so ist 1987 das „Nachtasyl“ entstanden.“
Es war ein Club, indem Musik gemacht wurde. Welche Leute haben sich dort eingefunden und wer ist dort aufgetreten? Kamen schon am Anfang Österreicher?„Die ersten zwei, drei Jahre waren in tschechischen Händen. Das heißt Leute wie Karel Kryl, Vlasta Třešňák oder Jaroslav Hutka, die im Exil lebten, sind bei uns aufgetreten. Oder verschiedene Maler haben bei uns ausgestellt. Dann sind nach und nach österreichische Bands hinzugekommen, und nach dem Umbruch in der Tschechoslowakei, der Samtenen Revolution, haben wir viel von der tschechischen Alternativ- und Undergroundszene gezeigt, zum Beispiel The Plastic People of the Universe, Dunaj, Psí vojáci, DG 307 oder Iva Bittová. So läuft das eigentlich bis heute, also viel tschechische Musik, eine Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum in Wien ist entstanden, das ist der Hauptteil unseres Programms. Der andere Teil ist: Wir haben bis vier Uhr offen, und es gibt Bier.“
Stimmt es, dass Karel Schwarzenberg, der jetzt Außenminister ist, nach der Wende bei Ihnen in den Club gekommen ist und Sie zusammen gefeiert haben?„Ja. es gab solche Momente. Herr Schwarzenberg ist ein guter Freund von mir. Wir kennen uns seit über 30 Jahren, er gehörte zu den ersten Gästen bei uns und bei diesen Konzerten. Er war sicherlich nicht nur einmal im ‚Nachtasyl’. Als Václav Havel seine erste Reise als Präsident nach Österreich machte, war er auch sofort bei uns: von der Hofburg gleich ins Nachtsasyl - mit Schwarzenberg. Das waren schöne Zeiten. Aber jetzt ist es alles ein bisschen anders geworden. Übrigens hat Josef Haslinger, der österreichische Autor, eine sehr schöne Doku für das ZDF und DreiSat gedreht, dort sind die Herschafften alle zu sehen.“
Sie haben mir gesagt, dass Sie seit langem wieder in Mähren leben. Wann kam der Entschluss wieder zurückzukehren, und warum kam er nicht direkt nach 1989?„Am Anfang wollten wir eigentlich ganz zurückkehren, aber weil das Lokal Schulden gehabt hat, war das nicht so einfach. Die Kinder sind dort aufgewachsen. Wir haben das so gemacht, dass ich teilweise in Tschechien lebe beziehungsweise in Südmähren und in Wien, das liegt ja nur 100 Kilometer auseinander. In Südmähren haben wir 1992 ein Haus gekauft und leben dort und hier.“
Den Club „Nachtasyl“ gibt es weiterhin. Ist es weiter ein Treffpunkt von Tschechen, die in Österreich leben, oder ist er eher in österreichischer Hand?„Wenn man es in Zahlen ausdrückt: Es sind 80 Prozent Österreicher und 20 Prozent Tschechen. Wenn ich ein tschechisches Konzert mache, ist es umgekehrt, aber eigentlich sind die Hauptgäste Österreicher. Die Tschechen sind meist Studenten, die in Wien studieren, da kommt eine ganz neue Generation, weil das Nachtasyl doch eine gewisse Legende ist. Und sie werden bei uns billig und gut bewirtet.“