Von Ideen und Miesepetern

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Haben wir Mut zur Größe? Oder doch eher Angst vor der eigenen Courage? In der Beantwortung dieser Frage liegt einer der vielen Schlüssel zum Geheimnis, das man Mentalität nennt - und mit dem letztlich auch Politik gemacht wird. Ein Radiofeuilleton von Gerald Schubert:

Schon seit geraumer Zeit liefern sich zwei Versicherungsunternehmen im Tschechischen Rundfunk eine kleine Werbeschlacht. Morgens, immer kurz vor den Nachrichten zur vollen Stunde, hat eine von ihnen das letzte Wort.

Die Botschaft der beiden könnte unterschiedlicher nicht sein: Versicherung A erklärt sich in ihrem Slogan zuständig für "das Leben, wie es ist" und verbündet sich mit dem Durchschnittstschechen gegen die Tücken des Alltags. Etwa nach dem Motto: "Wenn du dich in die linke Spur einreihst, dann ist die rechte sicher schneller." Kurz nach Silvester wurde diese beharrliche Bodenständigkeit sogar durch die Stimme des Gewissens persönlich demonstriert: "Hallo ich bin's! Dein Neujahrsvorsatz! Na komm - jetzt räum sie schon auf, die Garage!"

Ganz anders Versicherung B. Ihr Slogan hält sich nicht lange mit der Welt diesseits des Tellerrandes auf und verheißt kurzerhand ein "Leben in Sicherheit". Auch Versicherung B konnte sich eine Anlehnung an das aktuelle Geschehen nicht verkneifen und erweiterte in der Zeit rund um den EU-Beitritt Tschechiens ihren Slogan auf: "Leben in Europa - Leben in Sicherheit."

Was ist uns denn nun sympathischer? Die etwas missmutige Banalphilosophie des Alltags, in der es als höchste Tugend gilt, nirgendwo sonst als vor seiner eigenen Türe zu kehren? Oder der enthusiastische Griff nach den Sternen, die Orientierung an glitzernden Idealen, denen allerdings jeder Miesepeter mit einem Mindestmaß an rhetorischem Geschick vorwerfen kann, dass sie ohnehin unerreichbar sind und daher nichts taugen?

In der Politik muss es beides geben. Pragmatismus sicher, Ideen aber auch. Präsident Václav Klaus sagte in seiner diesjährigen Neujahrsansprache: "Mögen gewöhnliche, menschliche, konservative, ein bisschen traditionalistische und daher nichtideologische Ziele Gegenstand unseres Strebens sein." Mit Blick auf die Vergangenheit ist nachvollziehbar, warum diese Haltung in der tschechischen Gesellschaft recht gut ankommt: Mehr als sechs Jahre lang mussten die Tschechen mit der nationalsozialistischen Ideologie leben, mehr als vierzig Jahre lang mit der kommunistischen. Viele haben nun genug von Ideologien. Aber manche verwechseln auch Ideologien mit Ideen.

Ist es etwa sinnvoll, die Idee der europäischen Einigung als Machtideologie einer Brüsseler Nomenklatura zu verstehen? Ist es ehrlich, das freiwillige Abtreten von Regierungssouveränität als Souveränitätsverlust der Bürgerinnen und Bürger zu interpretieren?

Ein bisschen Mut zu gemeinsamer Größe ist angebracht. Und das ist noch lange nicht ideologisch. Das Gegenteil zu behaupten hieße nämlich: Um die Politik kümmern uns wir. Räumt ihr einstweilen eure Garage auf!