Von Osterwundern in Tschechien
Das Osterfest in Tschechien unterscheidet sich von dem in Deutschland. Im Mittelpunkt stehen zwar auch Ostereier, aber niemand versteckt sie. Kinder in Tschechien ersingen sich Eier und Schokolade, indem sie von Haus zu Haus gehen. Und dann gibt es noch den Brauch der Osterruten, mit denen die Jungs die Mädchen schlagen. Doch der größte Unterschied liegt in den vergangen Jahrzehnten begründet. Während der kommunistischen Herrschaft wurde der Glaube an Ostern für einige Mutige zum Anlass, gegen das Regime aufzubegehren. Einer von ihnen war der evangelische Pfarrer Alfred Kocáb. Regimekritik und Unterzeichnung der Charta 77 brachten ihm viele Jahre Berufsverbot und Repressalien der kommunistischen Machthaber. Ein Beitrag zu den Besonderheiten tschechischer Osterfeier.
„Traditionell werden rot gefärbte Eier mit mehrfarbiger Batik verziert, man flicht Ostergerten, die Mädchen machen sich Zöpfe und die Jungen gehen zu den Mädchen, um sie zu „schlagen“. Dafür erhalten die Jungen von den Mädchen bemalte Eier.“
Dass diese Traditionen auf dem Land noch lebendig sind, bestätigt die Frau aus eigener Erfahrung.„Bei den Menschen, die wie ich vom Land stammen - ich komme aus Südmähren – kehren die Traditionen immer mehr zurück. Die jungen Leute gehen in die Volksliedergruppen, erben von ihren Großeltern die Trachten und an Ostern ist das wunderschön. Ich habe das erlebt und meine Enkelin erlebt das auch.“
Ein Trend, der kaum für die Hauptstadt Prag bezeichnend ist, meint eine Passantin:„Hier in Prag gehen die Kinder bestimmt nicht singen. Auf dem Land ist das noch üblich, aber in Prag bestimmt nicht mehr.“
Doch für die Kinder in Stadt und Land steht fest, dass sie sich am meisten an Ostern auf die vajíčka, die Ostereier, freuen:
Ostern hat auch für den heute 84-jährige Alfred Kocáb besondere Bedeutung. Seine frühen Lebensjahre verbrachte er mit seinen Eltern und einem Bruder in der tschechischen Gemeinde in Wien. Mit seiner Kindheit verbindet er die deutsche Sprache und die Erinnerung an ein besonderes Osterfest:
„Ich war Katholik, und die Pfarrgemeinde war sehr lebendig. Der dortige Pfarrer Šebek versuchte immer etwas für die Kinder zu machen. Ich erinnere mich mit Rührung an einen aktiven Auftritt, als ich noch sehr klein war. An Ostern baute man dort immer das Grab Jesu auf. Darin lag, etwas versteckt, eine Christusstatue. Und wir Jungen – möglicherweise auch die Mädchen – haben vor dem Grab Wache gehalten. Ich erinnere mich daran, wie ich dort gestanden bin und welch große Ehre das für mich war.“
Doch der Osterfriede hält nicht lange an: Statt der in Tschechien gebräuchlichen Osterratschen, mit denen die Kinder durch die Dörfer ziehen, erklingen Bomben und Gewehrschüsse - der Zweite Weltkrieg wütet in Europa. Der Glaube des jungen Alfred Kocáb wird während des Krieges auf die Probe gestellt, als sich das Böse auch ausbreitet, wie er berichtet:
„Während des Krieges wurde ich zur Zwangsarbeit eingesetzt – unter anderem in einer Fabrik in Ebensee, wo sich außerdem ein deutsches Konzentrationslager befand. Dort sah ich all die Schrecken, zwar nicht im Lager selbst, aber an den Arbeitsplätzen, wo die KZ-Häftlinge arbeiten mussten. Ein Menschenleben galt nichts und es wurde wegen Lappalien getötet. In der Zeit habe ich Gottes Herrschaft und Allmächtigkeit in Frage gestellt.“
Nach dem Krieg führt Kocábs Weg an die Karlsuniversität nach Prag. Dort beginnt er mit dem Studium der französischen und englischen Sprache, nach zwei Semestern setzt er sein Studium mit Politologie fort. Sein Glaube ist verschüttet und vergessen. Die weltlichen Ereignisse und die Machtübernahme der Kommunisten halten den Studenten in Atem.
Doch dann erschüttert ein besonderes Ereignis sein Leben. Bei einem Spaziergang auf der Straße „Na Příkopě“ hat er eine Erscheinung: Am Pulverturm meint er zu sehen, wie von unsichtbarer Hand ein großes Tuch zur Seite gezogen wird. Dahinter erscheint der Kopf Jesu Christi mit einer Dornenkrone. Alfred Kocáb erklärt, warum für ihn diese Erscheinung von besonderer Bedeutung war:
„Weil ich an Wunder glaube und weil ich glaube, dass Gott sachte eingreift. Darum hatte ich selbstverständlich kein Problem, an die Erscheinung zu glauben. Nicht entscheidend ist daran aber, ob es eine Erscheinung war oder nicht. Viel mehr war es ein solcher Eingriff in mein Leben, dass dieses von dem Augenblick auf dem Kopf stand.“Für Alfred Kocáb wird dieses Ereignis zum Sinnbild für Ostern. Für ihn hat sich das Grab des Vergessens geöffnet und der Glauben ist von den Toten auferstanden. Er tritt zum evangelischen Glauben über, studiert evangelische Theologie und wird Pfarrer. Das kommunistische Regime wird schnell auf den talentierten Prediger aufmerksam – im negativen Sinn:
„Ich hatte gleich von Beginn an Probleme. Selbstverständlich habe ich keine politischen Predigten gehalten, aber sie hatten politische Folgen. Mit Kritik habe ich nicht gespart. Mehr oder weniger habe ich das gepredigt, woran ich geglaubt habe.“
Es folgen Berufsverbot und Repressalien. Selbst die eigene Kirche verbannt den aktiven Pfarrer aus ihren Reihen. Ein Grund, so Kocáb, warum er sich zusammen mit einer kleinen Gruppe von Mitbrüdern der Dissidentenbewegung anschließt:
„Damit hat man uns faktisch in die Bewegung Charta77 hineingezwungen. Dort konnten wir wieder frei sprechen, auch wenn es dadurch Probleme gab – große Probleme.“
In all den Jahren des Berufsverbotes findet Alfred Kocáb dennoch Wege und Möglichkeiten, seinen Osterglauben weiterzugeben. Er veranstaltet zusammen mit seiner Ehefrau Jugendwochen und knüpft weit reichende Kontakte zur Ordensgemeinschaft im französischen Taizé.
Im Jahr 1986 kann Kocáb als Hilfsprediger in der Evangelischen Gemeinde Salvator in Prag seine Arbeit als Pfarrer fortsetzen. 1989 kommen die Wende und der Sturz der kommunistischen Machthaber. Ist das für ihn ein neues Osterwunder in Tschechien? Alfred Kocáb:
„Ich habe das nicht als etwas so Sakrales angesehen. Ich habe nur gesagt und auch gepredigt, dass Gott eingegriffen hat und dass er den Raum dafür geöffnet hat. Das war vor allem die Tat Gottes.“
Von diesem Zeitpunkt an war es für Alfred Kocáb möglich, als Pfarrer frei und uneingeschränkt die Osterbotschaft zu verkünden. Eine Eigenheit hat das Osterfest für einen Pfarrer zu jeder Zeit:
„Das Osterfest eines Pfarrers ist ein ganz eigenes Ostern. Man geht von einem zum anderen, das bedeutet, man ist erfüllt vom Licht oder vom Inhalt. Die Tatsache, dass wir in Freiheit lebten, war für mich und für viele andere zusätzlich eine außergewöhnliche Sache und wir waren darüber natürlich glücklich.“
Heute ist es für die Menschen in Tschechien kein Problem mehr, offen über Ostern zu sprechen. Eine Frau auf dem Ostermarkt am Wenzelsplatz gibt ihrer Freude Ausdruck:
„Wenn sie einmal hingucken, wie alles aufblüht. Ich glaube auch psychisch ist das Osterfest eine optimistische Sache. Und selbstverständlich, was die Religion betrifft, geht es um etwas Großes bei der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu Christi. Es ist ein fantastisches Symbol.“