Vor 20 Jahren: Václav Havel wird zum ersten Präsidenten der Nach-Wende-ČSSR gewählt

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Vor genau 20 Jahren hat ein politisches Ereignis nicht nur in Prag und Bratislava für großes Aufsehen gesorgt: die Wahl von Václav Havel zum ersten Staatspräsidenten der tschechoslowakischen Nach-Wende-Zeit. Wir blicken auf diesen Moment zurück:

Václav Havel,  29. 12. 1989  (Foto: ČTK)
Unter dem tosenden Beifall zigtausender Tschechen verkündet Václav Havel am 29. Dezember 1989 vom Balkon der Prager Burg, dass er vor wenigen Minuten einstimmig von den Abgeordneten der Föderalversammlung zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde. Damit hatte der Prozess der politischen Veränderungen in der damals noch sozialistischen Republik, der mit der blutig niedergeschlagenen Studentendemonstration am 17. November 1989 in Prag begonnen hatte, seinen Höhepunkt erreicht. Für die Studenten war der Schriftsteller und Dissident Havel nämlich der Garant für die Unumkehrbarkeit der politischen Entwicklungen im Land, die man später in den Annalen als die Samtene Revolution festhalten wird. Mit der landauf, landab freudig aufgenommenen Botschaft von der Wahl Havels zum Präsidenten beendeten die Studenten ihren Streik und der neue Hoffnungsträger des Landes erklärte auch sofort, wohin die Reise gehen soll:

„Ich verspreche euch, dass ich euer Vertrauen nicht enttäuschen werde und dass ich das Land zu freien Wahlen führen werde.“

Havel hielt sein Versprechen. Nach 40 Jahren kommunistischer Diktatur fanden im Juni 1990 in der Tschechoslowakei erstmals wieder freie Wahlen statt. Einen Monat später wurde Havel vom neuen Parlament erneut zum Staatsoberhaupt des Landes gewählt. Marian Čalfa, der erste tschechoslowakische Premier der Nach-Wende-Zeit, wusste ganz genau, weshalb Havel dafür der Richtige ist:

„Sein Leben ist das Beispiel eines Menschen, der hinter seiner Meinung steht, auch wenn er dafür politisch verfolgt wurde.“

Havel machte schnell deutlich, dass er seine neue Rolle als erster Präsident eines jetzt nach Freiheit und Demokratie strebenden Staates auch ganz anders ausfüllen werde als seine kommunistischen Vorgänger. Schon drei Tage später, am 1. Januar 1990, bekamen die tschechoslowakischen Bürger daher auch ganz andere Töne in der Neujahrsansprache ihres Staatspräsidenten zu hören:

„Liebe Mitbürger! 40 Jahre lang haben Sie an diesem Tag aus dem Mund meiner Vorgänger in verschiedenen Variationen immer das Gleiche gehört: wie unser Land erblüht, wie viele weitere Billionen Tonnen Stahl wir produziert haben, wie glücklich wir doch alle sind, wie fest wir an unsere Regierung glauben und welch herrliche Perspektive sich uns eröffnet. Ich gehe davon aus, dass Sie mich nicht für das Amt des Präsidenten vorgeschlagen haben, damit ich Sie anlüge. Unser Land erblüht nicht!“

Havel zeigt ein weiteres Mal seine moralische Größe, indem er sich auch in seiner neuen Rolle als Politiker nicht der Macht als solcher verschrieben hat, sondern seine Aufgabe voll und ganz darin sieht, dem Land an exponierter Stelle zu dienen. Deshalb hat er damals 53-jährige Präsident in seiner Neujahrsansprache auch schonungslos den Finger in die Wunde gelegt und alle offenen Missstände im Land klar benannt. Havel sprach unter anderem davon, dass das große schöpferische und geistige Potenzial des tschechischen Volkes nicht sinnvoll genutzt werde, dass sämtliche Wirtschaftszweige Dinge produzieren würden, für die kein Interesse bestünde und es andererseits einen Mangel an Waren gäbe, für die ein Bedarf vorhanden ist, oder dass sich der Staat, der sich als Arbeiterstaat bezeichnet, die arbeitenden Menschen herabwürdigt und ausbeutet. Dass die Lügen oder Halbwahrheiten der Vergangenheit bei ihm ganz und gar keine Perspektive haben, betont Havel an dieser Stelle:

„Bei einer jüngsten Dienstreise nach Bratislava habe ich trotz mehrerer Verhandlungen auch die Zeit dafür gefunden, aus dem Fenster meines Flugzeuges zu schauen. Ich habe von oben das petrolchemische Kombinat Slovnaft und gleich neben ihm die riesige Plattenbausiedlung Petrzalka gesehen. Dieser Anblick genügte mir, um zu begreifen, dass unsere Staatsmänner und Politrepräsentanten jahrzehntelang nicht einmal aus dem Fenster ihrer Flugzeuge gesehen haben oder sehen wollten. Keine der schwarzen Statistiken, die mir zur Verfügung stehen, hätte mir leichter und schneller die Lage vermitteln können, in die unser Land geraten ist.“

Eine gehörige Portion der Missstände aus den heute schon manchmal längst vergangenen Zeiten ist in Tschechien 20 Jahre nach der Inthronisierung von Václav Havel als Staatspräsident beseitigt worden. Auch oder gerade wegen der Unbeugsamkeit und Hartnäckigkeit des ehemaligen Dissidenten und Kettenrauchers. Dafür hat Havel endlich, wenn auch spät, den ihm gebührenden Dank erhalten. In einer jüngst durchgeführten Meinungsumfrage haben fast drei Viertel der Befragten Václav Havel zum besten tschechischen Politiker und Amtsträger seit 1989 erkoren.