Wachstum mit Problemen

Foto: Gerd Altmann, Pixabay / CC0
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Ein kräftiges Tempo hat die tschechische Wirtschaft im vergangenen Jahr vorgelegt. Dies wird aller Voraussicht nach nicht zu halten sein. Allerdings gehen die Einschätzungen für 2019 auseinander. Hauptproblem bleibt die Frage, wie der Arbeitskräftemangel auf mittlere oder längere Sicht gelöst werden kann.

Foto: Gerd Altmann,  Pixabay / CC0
Man kann die Verzweiflung an ihren Gesichtern ablesen: Den Arbeitgebern fehlen sowohl Fachkräfte als auch Ungelernte. Dies hat die tschechische Wirtschaft im Jahr 2018 geprägt. Zugleich gab es ein gutes Wachstum, die Schätzungen liegen bei rund 3,5 Prozent. Und trotz des leergeräumten Arbeitsmarktes sind auch die Prognosen für das gerade begonnene Jahr nicht schlecht. Die Nationalbank, das Finanzministerium und die meisten Volkswirte erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt etwa um drei Prozent zulegt. Viktor Zeisel ist Chefökonom des tschechischen Kreditinstituts Komerční banka:

„Auch in diesem Jahr wird die Nachfrage der Haushalte ein stabiles Zugpferd der Wirtschaft bleiben. Denn die Löhne wachsen, die Arbeitslosenrate liegt historisch niedrig, und die Beschäftigungsquote ist so hoch wie nie zuvor. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass die Haushalte deutlich weniger konsumieren könnten.“

David Marek  (Foto: Jana Přinosilová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Doch nicht alle Analysten sind solch guten Mutes in ihrer Einschätzung. David Marek ist Chefökonom bei der Consulting-Gesellschaft Deloitte:

„Dass die tschechischen Wachstumsprognosen alle in Richtung drei Prozent gehen, halte ich für ziemlich optimistisch. Angesichts der Stimmung in der Eurozone würde ich bereits zwei bis zweieinhalb Prozent Wachstum als Erfolg werten. In den Prognosen äußert sich eine gewisse Beharrlichkeit, die meiner Meinung nach aber nicht der Realität entspricht.“

Beharrlichkeit und Befürchtungen

Dabei gibt es aber konkrete Anzeichen, die viele Ökonomen zu ihren positiven Prognosen verleiten. Karina Kubelková ist Hauptanalytikerin der tschechischen Handelskammer:

Karina Kubelková  (Foto: Archiv der tschechischen Handelskammer)
„Die Unternehmer geben sich optimistisch, was die Entwicklung im kommenden Jahr anbetrifft. Ihre Auftragsbücher haben sich schnell gefüllt. Das heißt, ihre Aussichten für 2019 sind weiter gut. Allerdings gibt es etwas mehr Befürchtungen, als dies vor 2018 der Fall gewesen war. Das Wachstum wird nicht so stark sein. Doch wir halten dies nicht für ein Symptom einer grundsätzlich schlechten Entwicklung in der tschechischen Wirtschaft.“

Ein Grund für die Befürchtungen ist die Lohnentwicklung. Laut dem tschechischen Statistikamt sind im vergangenen Jahr die Bezüge im Schnitt um acht bis neun Prozent angewachsen. Das hat für die Arbeitgeber zusätzliche Kosten bedeutet. 2019 dürfte der Lohnanstieg keine weiteren Rekorde schlagen, aber immer noch hoch sein.

„Diese acht bis neun Prozent waren wirklich ein extremer Anstieg. Auf lange Sicht übersteigt das die Kapazitäten der tschechischen Wirtschaft, die Produktivität wächst nicht so stark an. Das heißt, dass die Gewinnmargen der Unternehmen relativ schnell sinken. Folglich fehlt ihnen das Geld, um noch einmal ähnlich stark draufzulegen. Die Löhne werden aber weiter wachsen, voraussichtlich um fünf bis sechs Prozent, was immer noch sehr viel ist“, so Viktor Zeisel von der Komerční banka.

Martin Fassmann  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Auch die Gewerkschaften haben sich dazu bereits geäußert. Sie sehen gute Voraussetzungen für weitere Lohnforderungen, wie Martin Fassmann sagt. Er leitet die makroökonomische Abteilung beim größten tschechischen Gewerkschaftsdachverband ČMKOS:

„Für die Tarifverhandlungen in diesem Jahr empfehlen wir einen Richtwert von sieben bis neun Prozent. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist für solch einen Zuwachs aus unserer Sicht relativ gut.“

Die Befürchtungen mancher Kritiker, dass Firmen wegen des steigenden Lohnniveaus ins billigere Ausland abwandern könnten, teilt Fassmann jedoch nicht.

David Navrátil  (Foto: Archiv der tschechischen Sparkasse)
„Falls einige Firmen aus dem Niedrigproduktivitätssektor, die sich hierzulande angesiedelt haben, mit dem Weggang drohen, dann sollen sie das ruhig machen. Dieser Bereich der Wirtschaft bietet keine Perspektiven für Tschechien“, so der Gewerkschaftsvertreter.

Keine verlängerte Werkbank

Tatsächlich ist es auch erklärtes Ziel der Regierung, mehr Firmen mit hoher Wertschöpfung hier herzubekommen. Man möchte nicht mehr nur die verlängerte Werkbank des Westens und insbesondere Deutschlands sein.

Doch auch dieses Vorhaben ist durch den anhaltenden Fachkräftemangel gefährdet. Allgemein bestehen Befürchtungen, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt selbst bei schlechterer Wirtschaftslage nicht bessern dürfte. Denn Tschechien kämpft wie die westlichen Gesellschaften mit der demographischen Entwicklung. Die Bevölkerung wird hierzulande im Schnitt immer älter. Mehr Menschen gehen in den Ruhestand, als neu aus Schulen, Hochschulen und der Lehre nachrücken. David Navrátil ist Chefökonom der tschechischen Sparkasse (Česká spořitelna):

Illustrationsfoto: PANPOTE,  FreeDigitalPhotos.net
„Ungefähr seit 2007 oder 2008 sinkt das Arbeitskräfteangebot auf dem tschechischen Markt. Und zwar um 50.000 Menschen pro Jahr. In den kommenden fünf bis sechs Jahren wird die Gesamtbevölkerung im arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren um weitere 264.000 Menschen sinken. Nur zur Hälfte lässt sich das durch den Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland auffangen, vor allem sind das Menschen aus Osteuropa. Das Ungleichgewicht wird also immer stärker. Und auch ein Anstieg des Lohnniveaus wird keine Lösung sein, die muss anders aussehen.“

In den vergangenen Monaten haben die Unternehmen dies kurzfristig so gelöst, dass sie bei der Mitarbeitersuche flexibler denken.

„Die Firmen stellen deutlich häufiger als früher Leute im Ruhestand ein, Mütter in Elternzeit oder behinderte Menschen. Sogar der Beschäftigungsstand bei Inhaftierten ist auf Rekordniveau. Das heißt, die tschechischen Unternehmen heuern praktisch jeden an, der bereit ist zu arbeiten“, sagt Radek Špicar, Vizepräsident des tschechischen Industrieverbandes.

Radek Špicar  (Foto: Kristýna Hladíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Eine dauerhafte Lösung sei dies jedoch nicht, betont Špicar. Er plädiert stattdessen dafür, die Automatisierung und Digitalisierung in den Betrieben voranzutreiben. Ähnlich hatte sich auch Staatspräsident Miloš Zeman in seiner diesjährigen Weihnachtsansprache geäußert. Eine Entwicklung solcher Art würde nicht nur Arbeitskräfte einsparen, sondern auch die Produktivität in den Firmen steigern.

Produktivität nicht gewachsen

Im vergangenen Jahr hat sich aber laut Karina Kubelková von der Handelskammer die Modernisierung noch nicht stark bemerkbar gemacht:

Viktor Zeisel  (Foto: Archiv der tschechischen Kommerzbank)
„Die Arbeitskräfte fehlen in allen Branchen. Damit hat sich auch die Einführung neuer Technologien in den Unternehmen verzögert. In dieser Weise hatten wir das nicht erwartet, von der Erkenntnis sind wir überrascht worden. Für dieses Jahr erwarten wir allerdings bereits größere Zuwächse bei der Produktivität. Und ab 2020 dürften die Steigerungen landesweit zu spüren sein.“

Die Fachleute hoffen, dass das tschechische Wirtschaftswachstum dann wieder anziehen wird. Viktor Zeisel sieht aber auch die Politik in der Pflicht. So müsse dringend weiter in die Infrastruktur investiert werden:

„Wir müssen hoffen, dass es endlich gelingt, alle zugänglichen Finanzmittel für den Ausbau der Verkehrswege auch wirklich zu nutzen.“

Laut Zeisel fehlt weiterhin eine zweite Autobahn zwischen dem böhmischen und mährischen Landesteil sowie die Autobahnverbindung nach Österreich. Auch der äußere Ring um Prag ist längst noch nicht geschlossen. Zudem sind die wichtigsten Eisenbahnkorridore schon seit Längerem überlastet.