Wahl-Beobachtungen: Aussichten, Kampagnen und Wählerverhalten
Gut zwei Wochen sind es noch bis zu den Parlamentswahlen in Tschechien. Zwischen den beiden großen Parteien, den Sozial- und den Bürgerdemokraten (CSSD und ODS) zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab, und der Aufstieg der Grünen könnte die gesamte politische Landschaft in Tschechien verändern. Unterdessen geht der Wahlkampf in die Zielgerade. Thomas Kirschner im Forum Gesellschaft über Wahlaussichten, Wahlkampagnen und Wählerverhalten in Tschechien.
"Derzeit orientieren sich die politischen Kampagnen stark an den Gesichtern, den Spitzenkandidaten, dem Image der Partei, weniger an den Programminhalten. Wir haben uns in Tschechien viel von den USA abgeschaut, und dazu gehört zum Beispiel auch, dass viele politische Kampagnen nur ein Thema in den Mittelpunkt stellen."
Und das ist nicht selten das liebe Geld. Die Bürgerdemokraten wollen mit einem Einheitssteuersatz punkten, der nahezu rundum deutliche Steuerersparnisse bringen soll, und die Sozialdemokraten versprechen "Jistota a prosperita", Sicherheit und Prosperität. Es gibt etwas zu verteilen - das unterscheidet Tschechien von den Nachbarn im Westen, meint der Politologe Borivoj Hnizdo von der Prager Karlsuniversität:
"Die wirtschaftliche Lage, von welchem Standpunkt wir sie auch immer betrachten, ist einer der großen Erfolge der Tschechischen Republik in den letzten Jahren. Das könnten die regierenden Sozialdemokraten in ihrer Kampagne eigentlich stärker herausstellen. Die tschechischen Wirtschaftsdaten bewegen sich in Bereichen, die in Europa wirklich ungewöhnlich sind, und die mehr an asiatische Tigerstaaten als an die EU erinnern. Diese Entwicklung ist ein großer Vorteil für die Sozialdemokraten."
Auch die wirtschaftsliberalen Bürgerdemokraten, die in einer solchen Situation nicht mit ihrer ökonomischen Kernkompetenz punkten können, geben sich daher in der aktuellen Kampagne einen sozialeren Anstrich. Beiden Parteien könnte aber der Aufstieg einer neuen Kraft einen Strich durch die Rechnung machen. Die tschechischen Grünen haben in den Umfragen nicht nur erstmals die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen, sondern sind seit Jahresbeginn fast kometenhaft von 3,5 Prozent auf zeitweise mehr als zehn Prozent emporgeschossen - ein Medienprodukt, meint Marketing-Mann Daniel Köppl:"Hier kann man sehr schön sehen, welchen Einfluss die Marktforschung und die Wahlumfragen haben können. Denn der Aufstieg der Grünen in der tschechischen Politik ist von der Marktforschung angestoßen. Dort hat man zuerst gesagt: die Grünen sind eine Partei, die jetzt groß werden und die ganze politische Landschaft ändern könnten. Und alle Medien haben das aufgegriffen und den Grünen großen Platz eingeräumt, und das ohne wirkliche Grundlage."
Ähnliche Newcomer-Parteien gab es auch bei vergangenen Wahlen, erinnert der Politologe Borivoj Hnizdo - bislang konnten sie aber stets nur Einmal-Erfolge verzeichnen:
"Ich glaube, es ist ein spezifisches Phänomen in Tschechien, dass es Wähler gibt, die sich in den klassischen vier Parteien nicht wieder finden. Das sind Wähler rechts von der Mitte, die aber auf keinen Fall bei der ODS ihr Kreuzchen machen wollen. Sobald sich eine Alternative findet, geben sie dort ihre Stimme. Das ist das Potential, dass diesmal die Grünen für sich nutzen können - ob das für mehr als eine Legislaturperiode reicht, das muss die Zukunft zeigen."Entscheidend für diesmal: Schaffen es die Grünen ins Parlament, dann ändert sich dort nachhaltig die Kräfteverteilung. Das würde vor allem die KDU-CSL schwächen, die Christdemokraten, die als bislang kleinste Partei mit Parlamentsaussichten noch auf eine Rolle als Zünglein an der Waage spekulieren konnten. Schon die Mathematik zeige, dass bei fünf Parteien die Christdemokraten allein nicht mehr genügen werden, um eine Mehrheit zu sichern, erläutert Borivoj Hnizdo. Es reicht dann weder zu einer Zweierkoalition mit den Bürger- noch mit den Sozialdemokraten.
Umgekehrt aber gilt:Ohne die Grünen als fünfte Partei im Parlament hätte ein Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten eine klare Mehrheit. Eine formelle Koalition mit den völlig unreformierten Kommunisten haben die Sozialdemokraten zwar erst kürzlich wieder ausgeschlossen. Eine sozialdemokratische Minderheitsregierung unter kommunistischer Duldung ist jedoch das Lieblingsprojekt von Premierminister Jiri Paroubek - in den letzten Monaten hat er es parallel zur derzeitigen Koalition bereits ausgiebig getestet. Zugleich öffnen sich die Kommunisten in ihrem Wahlkampf erstmals wieder der Gegenwart, meint Daniel Köppl vom Fachmagazin Marketing & Media:
"Ich muss aber sagen, die Kommunisten haben zurzeit eine sehr gute Kampagne - mit sauberer Grafik und allem, was dazugehört. Die Parteikommunikation richtet sich jetzt an die jungen Leute, nicht mehr an die alten Stammwähler. Aus Marketing-Sicht ist das wirklich eine der größten Überraschungen dieses Wahlkampfs."
Bislang konnten die tschechischen Kommunisten ihre weitgehende Isoliertheit auf Landesebene nicht in einen Underdog-Charme verwandeln - dem steht schon die demonstrative Unterstützung von Regimen wie in Nordkorea und Kuba im Wege. Der Politologe Borivoj Hnizdo will jedoch nicht ausschließen, dass die Kommunisten in Zukunft einen Oppositionsbonus ausspielen könnten:"Wenn die Kommunisten die einzige Partei sind, die die ganze Zeit in der Opposition sind, dann kann es sein, dass sie auch jüngere Wähler anziehen. Bei diesen Wahlen sieht es aber noch so aus, dass die jungen Wähler eher zu den Grünen als zu den Kommunisten tendieren."
Fazit: wer in Tschechien in den nächsten vier Jahren regiert, das ist zwei Wochen vor den Wahlen unklarer als je zuvor. Eines aber, so meint Borivoj Hnizdo, ist bereits jetzt sicher:
"Irgendwelche grundlegenden Änderungen in der tschechischen Politik, sowohl im Inneren wie im Äußeren, sind nicht zu erwarten, und zwar auch deshalb, weil am Ende wieder eine Koalition aus mehreren Parteien stehen wird."
Und dass die Parteien bereits im Vorfeld eine Reihe von möglichen Koalitionen ausgeschlossen haben, das muss letztlich nichts heißen, meint Daniel Köppl:
"Sich da nach den Wahlen neu zu orientieren - ich würde sagen, das ist kein Problem in der Politik."