Walter Ulbricht auf Staatsbesuch in Prag
Im Jahr 1959 war eine Delegation tschechoslowakischer Politiker unter der Führung des Staatspräsidenten Antonín Novotný zu einer offiziellen Visite in Ost-Berlin. Am 14. Mai 1962 empfing Novotný seinen Amtskollegen Walter Ulbricht in Prag. Anlässlich des Treffens sprachen beide Politiker zur Bevölkerung. Der Tschechoslowakische Rundfunk übertrug die Ansprachen live.
„Werter Genosse Ulbricht, werte Genossen und Freunde, liebe Gäste! Ich begrüße Sie, die Vertreter des ersten Deutschen Staates des arbeitenden Volkes – der Deutschen Demokratischen Republik – auf das Herzlichste auf unserem Boden im Namen der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei, der Regierung der Republik und im Namen des tschechoslowakischen Volks. Zwischen den Völkern unserer beiden Länder haben sich neue Beziehungen entwickelt, die auf den Gedanken der Sozialistischen Internationale, der herzlichen Freundschaft und der erfolgreichen Zusammenarbeit basieren.“
In seiner Begrüßungsansprache wies Antonín Novotný darauf hin, dass die Tschechoslowakei mit beiden deutschen Nachbarländern nach dem Zweiten Weltkrieg Friedensverträge abgeschlossen hat. Die Deutsche Demokratische Republik sei aber besonders wichtig für die Lösung der „deutschen Frage“ und die weitere Entwicklung der europäischen Beziehungen. Walter Ulbricht gab sich überzeugt, die richtige Lösung gefunden zu haben:
„Der gemeinsame Feind unserer beiden Völker sind die Militaristen und Revanchisten in Westdeutschland. Unsere beiden Staaten haben als Glieder des sozialistischen Lagers eine lange gemeinsame Grenze mit Westdeutschland. Gegen sie richten sich die Pläne der westdeutschen Revanchisten. Diesen Ultras wurde am 13. August 1961, als die Deutsche Demokratische Republik den Beschluss der Staaten des Warschauer Vertrages über die Sicherung der Staatsgrenze der DDR in Berlin durchführte, eine schwere Niederlage zugefügt. Durch diese Maßnahme wurde der Friede gerettet, das Kräfteverhältnis auch in Deutschland klargestellt und gleichzeitig eine gewisse Ernüchterung in den herrschenden Kreisen der Westmächte herbeigeführt. Das Fiasko der Bonner Revanche-Politik wurde offensichtlich.“
Eine harmlose Umschreibung war das für den Bau der Berliner Mauer im vorangegangenen Sommer.
Wie Novotný betonte auch Ulbricht die besondere Freundschaft zwischen den Völkern beider Länder. Und er verwies auf eigene Erfahrungen in der Tschechoslowakei: Zwischen 1935 und 1938 hatte Ulbricht in Prag die Exilorganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands geleitet.
„Ich habe die heutige Tschechoslowakische Sozialistische Republik und ihr tapferes, arbeitsames und kluges Volk unter verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen kennen gelernt. Mit unserem Freund, Genossen Novotný, haben wir schon viel gemeinsame Arbeit geleistet. Ich kann deshalb auch aus persönlichem Erleben die große Entwicklung ermessen, die das tschechoslowakische Volk von der Unterdrückung in der Habsburger-Monarchie bis zum freien Volk der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zurückgelegt hat. Heute vollbringen die Arbeiterklasse und das ganze tschechoslowakische Volk große Leistungen bei der Gestaltung der sozialistischen Wirtschaft und Gesellschaft. Vor den tschechoslowakischen Werktätigen eröffnet sich die herrliche Perspektive des glücklichen sozialistischen Lebens, eines freien Volkes in der großen Gemeinschaft der friedliebenden sozialistischen Völker.“