Was bleibt von der zurückgetretenen Regierung Spidla
In einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz geht nun Robert Schuster der Frage nach, welche Ursachen für den jüngsten Rücktritt der tschechischen Regierung entscheidend waren und was von der Mitte-Links-Regierung unter der Führung von Premier Vladimir Spidla übrig bleibt.
Somit ist schon zum zweiten Mal in der tschechischen Geschichte eine Regierung auf Grund von Ergebnissen einer anderen Wahl, als einer nationalen Parlamentswahl zurückgetreten. Der erste Fall liegt allerdings schon eine ganze Weile zurück. Im Frühjahr 1919 demissionierte die erste tschechoslowakische Regierung unter Ministerpräsident Karel Kramar auf Grund ihres schlechten Abschneidens bei landesweiten Kommunalwahlen.
Was war letztlich ausschlaggebend für Spidlas Entschluss gerade zu diesem Zeitpunkt zurückzutreten? War das eine Entscheidung die angesichts der starken und immer lauter werdenden innerparteilichen Opposition gegen seine Reformpläne seit längerem heranreifte, oder trat der Premier doch in erster Linie unter dem Eindruck der verlorenen Europawahlen zurück? Das fragten wir den Politikwissenschaftler Rudolf Kucera von der Prager Karlsuniversität:
"Nein, ich denke nicht. Das schlechte Ergebnis der Sozialdemokraten bei den Europawahlen war für bestimmte Gruppen innerhalb der stärksten Regierungspartei bloß ein Vorwand für etwas, was eigentlich schon seit langem vorbereitet wurde. Den eigentlich wurde parteiintern die Position Vladimir Spidlas in den letzten Monaten kontinuierlich demontiert und seine Führung in Frage gestellt. Schon bei der Amtseinführung dieser Regierung gab es bei den Sozialdemokraten von Seiten einiger Gruppen starken Widerstand, wobei zu deren Wortführern all diejenigen Politiker gehörten, die unter der Vorgängerregierung mit ihrer untransparenten und korruptions- und klientilismusfördernden Politik ein gutes Leben führten. Spidla trat hingegen mit dem Anspruch an, mit diesen Misständen aufzuräumen. Diese aber nach wie vor einflussreichen Gruppen wollten aber sozusagen das Rad zurückdrehen und wieder die alten Zustände herbeiführen."Kritiker der jetzt gescheiterten Drei-Parteien-Koalition haben schon vor deren Angelobung im August 2002 gemeint, sie wäre ein Bündnis von drei gänzlich ungleichen Partnern, die unterschiedliche politische Ziele verfolgen würden. Die einzige wirkliche Gemeinsamkeit in den Programmen der Sozialdemokraten, Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion wäre deren eindeutige Unterstützung für den Beitritt Tschechiens zu Europäischen Union gewesen. Lässt sich nun aus dem Umstand, dass das Aus für diese Regierung nur knapp zwei Monate nach dem Beitritt erfolgte, schließen, dass die Skeptiker von einst im Nachhinein recht behielten?
Politikwissenschaftler Kucera widerspricht dieser These und stellt im folgenden nicht nur ein wichtiges Grundmerkmal der tschechischen Parteienlandschaft fest, sondern verweist auch auf einen weiteren wichtigen gemeinsamen Ansatz, den die drei Regierungsparteien in ihrer Politik verfolgten:
"Bei uns haben die meisten Parteien keine klare Identität und kein eigenes Profil, welches von ihnen langfristig gepflegt würde. Bleiben wir bei Spidlas Sozialdemokraten. Das ist heute eine Partei mit einem derart weiten Horizont und so vielen unterschiedlichen innerparteilichen Gruppen, die aber sehr wenig gemeinsam haben. Nicht nur für diese Partei, sondern auch für die anderen gilt, dass sie zu wenig lesbar sind und vom Wähler nur schwer durchschaut werden können. Aber nun zu den Gemeinsamkeiten. Neben dem klaren Bekenntnis zur EU-Mitgliedschaft Tschechiens würde ich aber noch eine weitere große Gemeinsamkeit der drei bisherigen Regierungsparteien nennen, die ihnem zumindest am Anfang eigen war: Der gemeinsame Kampf für mehr Sauberkeit in der Politik und gegen jegliche Form von Korruption. Das ist nämlich eines der größten Handicaps der gegenwärtigen tschechischen Gesellschaft, das auch im Vergleich mit den übrigen EU-Staaten künftig Schwierigkeiten verursachen könnte."Laut Kucera wurde diese Linie in der Regierung nicht nur vom zurückgetretenen Premier Spidla, sondern insbesondere auch von seinem Stellverteter, dem christdemokratischen Außenminister Cyril Svoboda verfolgt. Gerade in Svoboda, der im Herbst vergangenen Jahres den Vorsitz seiner Partei abgeben musste, hatte Spidla in Sachen politische Transparenz seinen stärksten Verbündeten. Es sei jedoch, so Kucera weiter, bezeichnend für den Zustand der tschechischen Politik, dass Svoboda als erster von seinem Parteiamt abgewählt und durch einen in dieser Hinsicht eher zwielichtigen Nachfolger ersetzt wurde. Auch Vladimir Spidla sei nun das Opfer von rivalisierenden Interessengruppen innerhalb seiner eigenen Partei geworden.
Spidlas Rücktrittsentscheidung kam genau in der Mitte der Legislaturperiode, in welcher die von ihm geführte Regierung zahlreiche wichtige Reformmaßnahmen setzte. Über die Notwendigkeit der meisten, wie der Rentenreform, oder Schritten zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, gibt es unter Experten keine Zweifel. Unterschiedlich wird dagegen die Art und Weise bewertet, wie die Regierung an die Verwirklichung ihrer Ziele herangetreten ist. Hier musste der Spidla oft auf mehreren Fronten gleichzeitig agieren und angesichts der knappen Mehrheitsverhätnisse im tschechischen Abgeordnetenhaus ständig um seine Zwei-Stimmen-Mehrheit bangen. Im Spannungsfeld zwischen dem Widerstand in den eigenen Reihen gegen eine allzu starke Kürzung verschiedener Sozialleistungen auf der einen und dem Druck der beiden kleinen bürgerlichen Koalitionspartner, denen die Reformschritte zu wenig weit gingen auf der anderen Seite, hatten dann die Reformgesetze oft den Charakter eines kleinsten gemeinsamen Nenners, auf den sich die unterschiedlichen Interessen dieser Gruppen festlegen ließen.
Wie werden die diesbezüglichen Bemühen von Spidlas Regierung in einigen Jahren bewertet werden? Hören Sie dazu die Einschätzung von Politikwissenschaftler Rudolf Kucera:"Dieser Regierung wird jedenfalls der Versuch zugute gerechnet werden die notwendigen Reformen einzuleiten, weil die Vorgängerregierungen diesbezüglich sehr passiv waren und den besten Zeitpunkt verstreichen ließen. Das Kabinett Spidla hatte zu Amtsantritt eine große Liste von Themen präsentiert, die es angehen wollte. Im Nachhinein muss man allerdings sagen, dass vieles davon entweder gar nicht, oder nur halbherzig verwirklicht wurde. Es steht aber außer Zweifel, dass jede andere Nachfolgeregierung, egal von welcher Partei sie geführt wird, die Maßnahmen von Spidlas Kabinett fortsetzen muss, nicht zuletzt auch deshalb, weil mittlerweile alle EU-Länder ihre Sozialsysteme reformieren und diesbezügliche Sparmaßnahmen setzen. Mit anderen Worten: die Initiierung der Reformen kann die Regierung auf jeden Fall auf ihre Haben-Seite verbuchen und die Maßnahmen bilden somit auch eine Art politischen Nachlass von Spidlas Kabinett."
Der jüngst erfolgte Rücktritt Vladimir Spidlas als Regierungschef und Parteivorsitzender der Sozialdemokraten lässt aber auch die Erinnerungen an die letzte große Regierungskrise in Tschechien im Jahr 1997 wach werden, als ebenfalls das damalige Kabinett mitten in der Legislaturperiode zurücktrat. Die seinerzeit regierende rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) verlor die Macht zwar in erster Linie wegen ihrer Spendenaffäre. Dennoch wies auch das Innenleben der ODS damals im fünften Jahr seit der Regierungsübernahme einige Parallelen zum heutigen Erscheinungsbild der Sozialdemokraten die übrigens vor sechs Jahre erstmals die Regierung bildeten. Zu den besagten Ähnlichkeiten gehört insbesondere die Existenz verschiedener und vom Zentrum weitgehend autonom agierender Interressengruppen, welche die Autorität der zentralen Parteiführung relativ erfolgreich untergraben.
Lassen sich zwischen beiden Parteien tatsächlich diese Übereinstimmungen ausmachen? Das war unsere abschließende Frage an den Politikwissenschaftler Rudolf Kucera von der Prager Karlsuniversität:
"Ich denke, dass da sehr große Ähnlichkeiten bestehen, denn darin spiegelt sich auch ein Grundfehler der tschechischen Politik wieder, nämlich die starke Verflechtung mit Wirtschaftsinteressen der unterschiedlichsten Gruppen. Denen ist es bislang immer gelungen entsprechenden Druck auf die Abgeordneten oder Minister auszuüben, um Entscheidungn in deren Sinne herbeizuführen. Dem Land ist es zu wünschen, dass sich in dieser Hinsicht bald etwas ändert. Abhilfe könnte etwa ein Lobbing-Gesetz bringen, welches klar definieren würde, was noch erlaubte und was bereits unerlaubte Einflussnahme ist. Grundvoraussetzung muss aber sein, dass von Beginn an klar ist, welcher Politiker in welchem Namen etwas durchsetzen will und bestimmte Interessen vertritt und wer ihn wofür bezahlt."