Tschechische Politiker über die EU-Verfassung
Die 455 Millionen Bürger der Europäischen Union bekommen eine gemeinsame Verfassung. Diese historische Entscheidung trafen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglieder in der Nacht zum Samstag in Brüssel. Martina Schneibergova fasst die Reaktionen tschechischer Spitzenpolitiker zusammen:
"Dies ist ein großartiger Schritt und zugleich ein enorm großer Fortschritt. Damit wird die Stellung Europas als ein starker Spieler in der Welt garantiert - bei Bewahrung der Vielfalt bzw. Festigung der Stellung eines Staates wie der Tschechischen Republik. Das großartige Ergebnis wurde durch die Bemühungen vieler Europäer erreicht. Von ihnen würde ich vor allem den irischen Premier Bertie Ahern und den EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi nennen."
Die erste Verfassung der Europäischen Union entspricht Spidla zufolge den Interessen der Tschechischen Republik. Ob der Vertragstext jedoch in Kraft treten wird, hängt noch von den Abstimmungen in den einzelnen EU-Ländern ab. Worin sieht der tschechische Premier den wichtigsten Beitrag der Verfassung?
"Die Verfassung wird die Fähigkeit der EU fördern, als ein Ganzes Entscheidungen zu treffen. Die wichtigste Änderung besteht darin, dass selbst die größten Staaten die Möglichkeit akzeptierten, dass sie bei der Abstimmung überstimmt werden können. Es ist eine theoretische Möglichkeit, die jedoch vorkommen kann. Das Vertrauen der einzelnen europäischen Völker zueinander ist eine große Sache."
Bleibt dem tschechischen Premier etwas Besonderes von der Brüsseler Tagung in Erinnerung? Vladimir Spidla sagte gegenüber Radio Prag:"Ich werde mich an diesen historischen Augenblick erinnern, der offensichtlich in den Lehrbüchern erwähnt werden wird. Ich werde mich daran erinnern, wie würdevoll sich alle Ministerpräsidenten verhielten, obwohl es dramatische und anspruchsvolle Momente gab. Sie haben sich sowohl gegenseitig, als auch die Tatsachen respektiert. Dies war ein gutes Gefühl."
Keine Begeisterung erweckte die Verabschiedung einer EU-Verfassung in den Reihen der stärksten Oppositionspartei - der Demokratischen Bürgerpartei (ODS). Kritisch äußerte sich der tschechische Staatspräsident und ODS-Gründer Vaclav Klaus, der oft als "Euroskeptiker" bezeichnet wird. Er sagte am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur CTK: "Die Zukunft der europäischen Integration ist eine zu ernste Sache, als dass über sie in gefühlsbewegten Nachtsitzungen nur deswegen entschieden wird, damit einige Politiker dies in ihren Kalendern als erledigt abhaken könnten."
Jan Zahradil, der im Schattenkabinett der Bürgerdemokraten den Außenministerposten bekleidet, meinte, mit der Verabschiedung des Vertragstextes habe sich die Stellung Tschechiens in der EU verschlechtert.
"Das Kabinett Spidla stimmte einer Reduzierung unseres Einflusses in einem der wichtigsten Organe der EU um ein Drittel zu, ohne dafür ein Zugeständnis in einem anderen Bereich auszuhandeln. Dies kann man meiner Meinung nach nicht wegdiskutieren, und die tschechischen Bürger sollen das wissen."
Premier Spidla wurde nicht nur von den Bürgerdemokraten kritisiert. Nach seiner Rückkehr aus Brüssel lehnte er nach einer mehrstündigen Krisensitzung der tschechischen Sozialdemokraten (CSSD) einen Rücktritt als Parteivorsitzender ab. Das Amt will er möglicherweise zur Verfügung stellen, sollte dies der Exekutivausschuss der CSSD am 26. Juni als Reaktion auf die verlorene Europa-Wahl fordern.