Weihnachtsglück aus dem Karpfenteich
Seit über 600 Jahren werden Südböhmen, beim malerischen Städtchen Trebon, Karpfen gezüchtet. Und mindestens genauso lange ist der Karpfen das klassische Weihnachtsgericht in Tschechien, wo Meeresfisch mühsam importiert werden muss. Das ganze Jahr über tragen die Traditionalisten eine Karpfenschuppe in ihrem Portemonnaie, die am Heiligabend Geldsegen für die Zukunft verspricht. In alle Teile der Republik wird der träge Süßwasserfisch in den Tagen vor Weihnachten gebracht, wenn es ihn nicht eh vor Ort gibt. Ein Ende dieser Tradition ist nicht absehbar. Renate Zöller berichtet.
Seit Tagen beherrschen sie das Prager Stadtbild: Blaue riesige Wasserwannen voller luftschnappender Karpfen. Davor wird ein Tisch aufgebaut, der schnell in Blut zu schwimmen scheint. Zwei Männer, bewaffnet mit Holzpflock und Messer, gerüstet mit Plastikschürzen versuchen, im Akkord den Wünschen der Kunden nachzukommen. Eine Woche vor Heiligabend boomt der Verkauf bereits. Jiri Holek arbeitet an einem Karpfenstand in Prag auf der Letna. Er erklärt:
"Die Leute, die keine Lust haben, später lange in der Schlange zu stehen, kaufen den Karpfen bereits Tage vorher. Tatsächlich gibt es ja auch zu diesem Zeitpunkt schon Schlangen und an Weihnachten selbst ist es besonders schlimm. Ganz viele Leute wollen den Karpfen so spät wie möglich kaufen. Lebendige Fische, die dann ein paar Tage in der Badewanne schwimmen könnten, verkaufen wir mittlerweile selten. Nur wenige Leute können den Karpfen selbst töten. Die anderen frieren das Fleisch halt ein. Ich glaube, dass ein normaler Mensch den Unterschied eh nicht schmecken kann."
Schlangestehen, um den dicksten Karpfen zu angeln - ob das wohl in der modernen tschechischen Gesellschaft eine Zukunft hat? Der Verkäufer meint:
"Ich glaube, viele Leute essen den Karpfen nicht weil er so gut schmeckt sondern einfach weil es Tradition ist. Und wer keinen Wert auf ein klassisches tschechisches Weihnachtsfest legt, der steigt beispielsweise zu Schnitzel oder irgendeinem anderen Fleisch um."
Eine Untersuchung des Soziologischen Amtes der Akademie der Wissenschaften zeigt: Immerhin 67 Prozent der Tschechen schwören nach wie vor auf den einzig wahren Weihnachtsschmaus. Der Prager Kamil zum Beispiel kann sich gar kein besseres Gericht vorstellen:"Wir hatten schon immer zu Weihnachten einen Karpfen als Mahlzeit, jedes Jahr. Dazu gibt's dann als klassische Beilage Kartoffelsalat. Mir schmeckt das sehr, sehr gut. Der Karpfen wird von meiner Mutter sehr lecker zugerichtet und das nur einmal im Jahr, nur zu Weihnachten. Das ist wohl das besondere daran, was ihn für mich so wundervoll macht: Dadurch freut man sich das ganze Jahr darauf."
Das es zu Weihnachten ein ganz besonderes Mahl geben soll, nichts Alltägliches, da ist er sich einig mit Blanka. Für Blanka allerdings muss das nicht gerade ein Karpfen sein:
"Wir werden Karpfen haben müssen, denn mein Mann mag Karpfen extrem gerne und freut sich schon darauf. Für mich würde es völlig reichen, ein Schnitzel zu machen. Wir haben bei uns zuhause immer beides auf dem Weihnachtstisch. Jeder aus der Familie isst an Weihnachten das, was er am liebsten mag."
Wenn schon Fisch, dann könnte Blanka sich für einen edlen Meeresfisch begeistern. Der Karpfen aus den Treboner Teichen ist ihr zu fett zu muffig im Geschmack. Auch Kamil räumt ein, dass der Karpfen einen recht speziellen, erdigen Geschmack hat. Dass er als Diät nicht geeignet ist, schreckt Kamil allerdings wenig:
"Ja, das stimmt schon, der Geschmack ist sehr eigen. Meine Mutter hat da einen Trick, sie reibt den ganzen Fisch vorher mit Zitrone ab, dann verliert sich dieser strenge Beigeschmack ein bisschen. Danach wird der Karpfen dann genau wie ein Schnitzel gemacht. In Tschechien wird ja immer alles in Fett gebraten und natürlich wird auch der Karpfen paniert und wie ein Schnitzel in die Pfanne gehauen."
Die Zubereitungsart ist genauso ein Kult wie der Karpfen selbst. Jede Familie hat ihre eigenen Rituale. Richtig traditionell ist es, das Tier ein paar Tage lang in der Badewanne schwimmen zu lassen, einerseits damit er ganz frisch gegessen werden kann, andererseits auch, damit er mit sauberem Wasser durchgespült wird. Immer mehr Leute bringen es allerdings nicht übers Herz, das liebgewonnene Haustier dann später zu töten. Blanka sagt:
"Mein Mann Pavel kann den Karpfen töten. Er kauft ihn lebendig, bereitet alles vor und weiß auch, wie er dann zubereitet wird. Wir haben den Fisch ein paar Tage lang in einer Kinderwanne und dann wird er getötet, geschuppt, ausgenommen und gebraten. Mein Mann hat das meiner Mutter beigebracht, denn wir hatten früher niemals einen lebendigen Karpfen. In den letzten Jahren bereiten die beiden daher zusammen das Abendessen vor."
Ein riesiger Fisch in der Badewanne, das ist natürlich vor allem für Kinder eine Attraktion. Blanka glaubt jedoch, dass sie durchaus auch mit einem weinenden Auge den zeitweiligen Spielkameraden ein paar Tage begleiten:
"Wir haben in Pavels Familie sechs Kinder. Ich glaube schon, dass die die Karpfen in der Badewanne spannend finden. Aber zumindest ein Mädchen von ihnen ist da sehr gespalten. Auch wenn sie noch sehr jung ist, versteht sie doch, dass die Tiere in dieser engen Wanne leiden, dass sie erschöpft sind und oft auch verwundet. Man kann das häufig sehen. Ich glaube nicht, dass Kinder ohne Vorbehalt Spaß an diesen Karpfen in der Badewanne haben, die verstehen schon, dass das auch eine Quälerei ist."
Für Kamil hat der Fisch der Wanne überhaupt keinen Reiz. Gegessen wird ein bereits am Stand filetierter Karpfen. So hat er allerdings auch keine Möglichkeit, eine glücksbringende Schuppe im Mahl zu finden. Glück bringt ihm der Karpfen allerdings dennoch, wie er erklärt:
"Das ist hier Tradition, einen Karpfen zu kaufen, der dann freigelassen wird. Man wünscht sich etwas, dann lässt man den Karpfen schwimmen und was man sich gewünscht hat soll dann in Erfüllung gehen. Ich mache das immer mit meiner Freundin zusammen an Heiligabend. Wir kaufen im Carrefoure einen Karpfen und lassen ihn direkt bei der Metrostation Andel in der Moldau schwimmen. Wir suchen immer besonders starke, lebendige Karpfen aus, damit sie eine Chance haben zu überleben. Deshalb ist es gar nicht so leicht, so einen zappelnden Brocken in einer Plastiktüte bis zum Fluss zu schaffen. Der verschwindet dann auch ganz schnell im schmuddeligen Moldauwasser und ist nicht mehr zu sehen. Danach bummeln wir dann immer noch ein bisschen am Ufer entlang und füttern die Schwäne."
Auch in diesem Jahr, zwei Tage vor Weihnachten wird Kamil wieder einen Karpfen auf die Glücksreise schicken. Aber während er früher einer von vielen war, dürfte er mittlerweile schon eher eine Ausnahme sein. Jiri Holek jedenfalls hat bemerkt:
"Früher, noch vor zwei Jahren, haben viel mehr Leute Karpfen gekauft um sie dann schwimmen zu lassen. Vielleicht wurde das auch mehr im Fernsehen gezeigt und war dadurch attraktiver. Da kamen Leute und haben uns gebeten ihnen zu helfen, starke Fische auszusuchen, die dann beispielsweise in der Moldau bessere Überlebenschancen hätten. In diesem Jahr haben wir dagegen noch keinen einzigen Karpfen verkauft, der schwimmen gelassen werden soll."
Chancen gibt der Karpfenverkäufer den Freigelassenen allerdings sowieso nicht. Durch den Transport und weil sie schon seit Tagen in den Bottichen leben sind sie geschwächt und oft verletzt. Dass die sich in der Wildnis zurechtfinden könnten, das hält er für ausgeschlossen. Ein schöner Traum, mehr nicht. Noch während seiner Rede hüpft wie zum Einspruch ein fetter, goldener Karpfen aus dem Bottich neben ihm und versucht zappelnd möglichst weit weg zu kommen. Das Interview ist damit beendet und hektisch hastet der Karpfenverkäufer zu dem Flüchtling. Ja, lacht er, da war wohl doch ein Kandidat, der den schönen Traum wahr machen könnte.