Weltweit berühmte Laterna magika kämpft nach 50 Jahren ums Überleben

Über dem Schicksal des ersten multimedialen Theaters auf der Welt, das am 9. Mai dieses Jahres den 50. Jahrestag seiner offiziellen Eröffnung feierte, schwebt das Damoklesschwert. Gemeint ist die Prager Laterna magika. Am 30. Juni ist der Mietvertrag ausgelaufen, auf dessen Grundlage die Laterna magika bereits vor vielen Jahren ihr Domizil in der Prager Neuen Bühne des Nationaltheaters gefunden hat. Am Mittwoch dieser Woche verhandelte Theaterdirektor Petr Tošovský mit Kulturminister Václav Riedlbauch. Ein weiteres Treffen ist für die kommende Woche vorgesehen. Bis dahin seien mehrere Varianten im Spiel – bei der unbarmherzigen Schließung angefangen bis hin zur Suche einer neuen Form der Laterna magika, informierte der Kulturminister.

Kürzlich hieß es noch: Zum 31. Dezember hört Laterna magika auf, als selbständige Theaterbühne zu existieren und wird unter die Fittiche des Prager Nationaltheaters genommen. Ab 2010 würde sich auch die Zahl ihrer Vorstellungen von den jetzigen 300 bis 350 pro Jahr um etwa die Hälfte reduzieren. Nun hat man aber diese Lösung in Zweifel gezogen. Wann die endgültige Entscheidung getroffen wird, ist also fraglich. Wir machen jetzt trotzdem einen Rückblick auf die Geschichte des bekannten Theaters. Ans Mikrophon bat ich Václav Janeček, den Chefdramaturgen von Laterna magika:

„Mit dem Projekt ´Laterna magika´ wollte sich die damalige Tschechoslowakei im Jahr 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel als ein Land mit hohem Kulturniveau präsentieren. Es war die erste Veranstaltung dieser Art und damit auch das erste Treffen von Vertretern vieler Nationen nach dem 2.Weltkrieg. Jedes der teilnehmenden Länder wollte vor Ort seine erneut erlangte Vitalität dokumentieren. Im Angebot des tschechoslowakischen Pavillons gab es unter anderem auch das Programm mit dem Namen ´Laterna magika´, von dem kaum jemand geahnt hätte, welchen Erfolg es weltweit feiern würde. ´Laterna magika´ wurde als ein ´Wundertheater´ bezeichnet, dem eine bis ins kleinste Detail geführte Verflechtung von Film und Theater gelang, später kam noch der Tanz hinzu,“

erzählte Janeček gegenüber Radio Prag. Im Verlauf der Brüsseler Weltausstellung standen Besucher lange Schlangen und noch bevor sie zu Ende war, hatte das Ensemble Einladungen zum Gastspiel sowie Antragstellungen um die Lizenz, diese Art von Theater betreiben zu können, aus 14 Ländern erhalten.

Das Prinzip der Verbindung von Film und Theater war an sich nichts Neues. Und doch bedeutete das Projekt aus der Werkstatt des tschechischen Künstlerduos Alfréd Radok, Regisseur, und Josef Svoboda, Bühnenbildner, ein Novum. Das Künstlerteam kreierte eine nie dagewesene Interaktion von Film, Theater und Tanz auf der Bühne. Laterna magika aus Prag wurde bald auch außerhalb der Landesgrenzen zum Begriff. Wichtig war ebenfalls, dass sich die Prager Laterna magika in ihrer Weltpremiere am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt präsentiert hatte. Václav Janeček kann es bestätigen:

„Genau. Das Laterna magika-Ensemble hat davon profitiert. In Brüssel hat es praktisch in allen möglichen Kategorien Preise geerntet, am Ende war es sogar der Grand Prix. Es war daher nur logisch, ein gleichnamiges Theater mit einem festen Ensemble zu begründen, das von da an auch in Prag auftrat“.

Wer stand an der Wiege des originellen Projektes namens Laterna magika? Es waren eben Radok und Svoboda. Damals sei er zwar noch gar nicht auf der Welt gewesen, so Janeček, doch die Geschichte des Theaters kenne er gut aus der Lektüre und den Erzählungen von Zeitzeugen:

„Das waren junge dynamische Künstler. Ich hatte auch das Glück, eine Zeitlang mit Jiří Svoboda zusammenzuarbeiten. Ich kann mich erinnern, wie er erzählte: ‚Wir haben am Anfang nicht einmal gewusst, was wir alles machen können. Es war die Idee da, in den Zuschauern das Gefühl zu evozieren, dass sie nicht nur die Bühne, oder nicht nur die Leinwand beobachten, sondern alles als ein Ganzes wahrnehmen, sogar ohne sich dieser Bilderfusion bewusst zu werden. Alles in allem ging es um eine Verbindung von großer Imaginationskraft, immenser Geduld mit viel Enthusiasmus. Und wenn das alles vorhanden ist, kann daraus in der Regel etwas Gutes entstehen.“

Dass es sich um etwas Originelles handelte, wusste sofort jeder, der eine Laterna-Vorstellung sehen konnte. Janeček ergänzt noch:

„Die Laterna magika wurde von hervorragenden Künstlern geleitet, die mit dem kommunistischen Regime absolut nicht ´kompatibel´ waren. Sie waren höchst talentiert und nicht bereit, sich den geltenden Einschränkungen unterzuordnen. Viele sind früher oder später in die Emigration gegangen, und viele, die zurückgeblieben sind, hatten Berufsverbot.“

Wie hat also der Entstehungsprozess des jeweiligen Bühnenbildprojektes ausgesehen, bei dem eine Art Symbiose von Kunst und Technik entstehen konnte?

„Technisch ging es um ziemlich komplizierte Dreharbeiten bei den Filmproduktionen. Anspruchsvoll war es daher schon beim Schreiben des Drehbuchs. Dieses musste eigentlich alle möglichen Details beinhalten, um ein Chaos beim späteren Schneiden zu vermeiden. In einer Zeit, in der die digitalen Medien noch nicht auf der Welt waren, war es in der Tat nicht leicht, Filmtricks zu verwenden. Ihre Interaktion mit dem Geschehen auf der Bühne war deswegen wirklich bewundernswert.“

In der ersten Phase bestanden die Laterna-Vorstellungen aus einzelnen „Nummern“. Diese seien, objektiv gesagt, so Chefdramaturg Janeček, mehr oder weniger gelungen. Aus den ausgewählten „Nummern“ konnte man gut auch ein quasi „neues“ Programm für eine Auslandstournee zusammenstellen. An diesem Prinzip hat sich bis heute nicht viel geändert. Vieles habe sich jedoch im Lauf der Zeit im Sinne des künstlerischen Vorgehens geändert:

„Das Verhältnis zwischen vorproduzierten Filmstreifen und der Bühne lässt sich unendlich wandeln. Jiří Svoboda ist mit etwas Neuem gekommen, das meiner Meinung nach ausschlaggebend für die Zukunft und Entwicklung der Laterna magika war. Seine Idee war: Mit jedem neuen Projekt müsse auch der Spielraum, in dem sich die multimediale Inszenierung mit allem drum und dran abspielen wird, neu definiert werden. Das heißt zum Beispiel, wo die Leinwand, und nicht nur eine, platziert wird, wie viele, wie groß und aus welchem Material sollen sie sein, welche Farbe und Eigenschaft werden sie haben. Die Filmprojektion kommt von allen Seiten zur Geltung – von vorne, von hinten oder von der Seite, wobei sich die Lichtintensität der Filmprojektion und die der Bühnenbeleuchtung addieren, und Ähnliches mehr. Das alles hat Svoboda in der Tat genial durchdacht.“

Auf diesem Prinzip ist dann jede neue Laterna-magika-Vorstellung einstudiert worden. Insgesamt waren sie recht viele. Zum Beispiel „Revue aus der Kiste“, „Hoffmanns Erzählungen“, „Die Schnecke Schwätzig“, „Der Zauberzirkus“, „Die Odyssee“ und viele viele andere. Kurz um, jede Vorstellung sollte neu und anders sein. War es dem auch so?

„Objektiv gesagt, ist es mehr oder weniger gelungen, diese Vorlage umzusetzen - je nachdem. Vieles wurde erst später positiv bewertet und vieles war wiederum nur in seiner Zeit erfolgreich und später konnte man darauf nicht zurückgreifen. Ich glaube, in der Laterna wurden insgesamt sehr viele Ideen umgesetzt, viele davon waren originell und ermöglichten, die Vorstellungen wesentlich anders zu inszenieren als es lange Zeit im Opern- oder Theaterbereich üblich war.“

Lassen sich also die Laterna-magika-Vorstellungen als ein spezifisches Theatergenre charakterisieren?

„Die Laterna war immer ein Nonverbal-Theater. Wenn darin auch gesprochenes Wort, und zwar mehrsprachig, integriert war, geschah es auf eine sehr interessante und gut durchdachte Weise. Im Lauf der Zeit konnte man aber nicht unendlich jedes Mal etwas Neues ausdenken. Daher herrschte das Nonverbale immer mehr vor und damit war es auch notwenig, anders tanzende Tänzerinnen und Tänzer zu haben. Außer der Tanzkunst müssen sie auch die Schauspielkunst, Gestik und das Spiel der Mimik beherrschen.“

Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Auch das war für den genialen Bühnenbildner Josef Svoboda sehr wichtig. Er achtete darauf, dass all die Ausdrucksweisen präzise ausgewogen sind. Auch für seine Nachfolger war es von großer Bedeutung, mit einem Ensemble zu arbeiten, das über eine erweiterte Fähigkeit der Interpretationskunst verfügt.

Svoboda hat sehr gut begriffen, dass Laterna magika kein langes Bestehen vor sich gehabt hätte, wenn sie sich nur auf Expo-Weltausstellungen oder ähnliche Leistungsshows orientieren würde. Er war auch davon überzeugt, dass die Entwicklung entsprechender Technologien sehr schnell voranschreiten wird und diese vor allem in der klassischen finanziell besser abgesicherten Unterhaltungsbranche eine Anwendung finden. Daher setzte er sich für eine stärkere Zuwendung der Laterna-Produktionen zum Theater ein, das auf Imagination baut. Das war auch das Grundmotiv bei der Entstehung der späteren monothematischen Projekte.

Mit dem Beginn der neuen Saison wird sich Laterna magika mit einem neuen Rekord rühmen: Die Vorstellung „Der Zauberzirkus“ wird zum 6000.Mal gespielt. Dass dieser Titel seit 1977 auf dem Repertoire steht, kommentiert Janeček folgendermaßen:

„Das ist wahrlich ein Wunder! Wie bereits gesagt, die ersten Laterna-Inszenierungen waren aus einzelnen Nummern zusammengestellt und in diesem Fall war es tatsächlich eine Serie von Supernummern. Weil sie so gut waren, hat man sie auch in einige neue Programme integriert.“

Erst vor zwei Jahren ist es gelungen, eine fast 400 Seiten umfassende Publikation über die 50jährige Geschichte der Laterna magika herauszugegeben. Die allererste in ihrer Geschichte, wohl gemerkt. Chefdramaturg Václav Janeček zum Abschluss unseres Gesprächs:

„Laterna magika ist eine perfekte Marke. Diese Theaterbühne sollte man als Schutzmarke betrachten und ihre Entwicklung weiter fortführen. Ich glaube, dessen sind sich heutzutage alle bewusst.“

Ob auch das tschechische Kulturministerium genauso denkt, bleibt abzuwarten. Die Opponenten rufen: Es geht doch ums Geld!