Wer ist das Volk? – Populismusdebatte in Tschechien und Europa
Der massive Zuspruch für Norbert Hofer bei der Präsidentschaftswahl in Österreich hat es erneut deutlich gemacht: In Europa ist der Populismus weiter auf dem Vormarsch. Im Prager Goethe-Institut hat in dieser Woche eine Konferenz zu diesem Thema stattgefunden.
Wissenschaftler diskutierten diese Frage auf einer Konferenz im Prager Goethe-Institut. Eva van de Rakt ist Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag und hat sich an der Ausrichtung des Meinungsaustauschs beteiligt:
„Wir haben diese Konferenz mit dem Goethe-Institut und der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität initiiert und organisiert, weil wir überzeugt sind, dass wir uns in Europa intensiv mit dem Phänomen Populismus auseinandersetzen müssen. Wir möchten mit dieser akademischen Konferenz einen europäischen Austausch ermöglichen. Zudem wollen wir vor allem junge Forscherinnen und Forscher unterstützen, die sich mit diesem sehr komplexen Thema beschäftigen. Wir haben theoretische Ansätze der Populismusforschung diskutiert, uns die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Populismus in den jeweiligen Ländern angeschaut und auch verglichen. Gefragt haben wir natürlich nach den Gründen, warum in Europa momentan so viele populistische Bewegungen und Parteien erfolgreich sind. Und welche Auswirkungen diese Erfolge auf die politische Kultur und liberale Demokratie in Europa haben.“
Die Konferenz bot dabei einen breiten politikwissenschaftlichen Diskurs. Den Organisatoren ist es gut gelungen, Meinungen zusammenzubringen, die klar miteinander kollidieren. So kamen in den Panels lebhafte Diskussionen zustande.
Populismus als undefinierbares Konzept
Was ist aber Populismus und wie lässt er sich möglichst einfach definieren? Michael Freeden ist Professor in Oxford:„Eigentlich herrscht in diesem Punkt Einigkeit. Der Populismus ist als Konzept kaum zu definieren. Oft versucht man durch kulturelle und geopolitische Anspielungen zu kaschieren, dass er nicht wirklich definierbar ist. Auch herrscht Verwirrung darüber, ob denn der Populismus eine Ideologie ist. Und wenn ja, was für eine. Ist der Populismus eher eine Sache der Mentalität oder eine Bewegung? Ich zumindest möchte mich nicht als Autorität sehen, die darauf eine eindeutige Antwort gibt.“
Dieser Grundton schwang die ganzen zwei Tage mit. Der Populismus ist viel zu breit gefächert, um ihn in eine allgemeingültige Definition packen zu können. Der Konsens der anwesenden Wissenschaftler war, dass es sich beim Populismus um eine hybride Erscheinung handelt. Populistische Bewegungen und Parteien nehmen ihre Ideen mal vom rechten, mal vom linken Rand, positionieren sich aber immer wieder in der Mitte. Und zwar der Mitte dessen, was die Populisten selbst als Gesellschaft definieren. Durchweg alle populistischen Strömungen bedienen sich – wenn auch nicht wörtlich – des deutschen Mottos der Wendejahre: „Wir sind das Volk!“. Der in der Wissenschaft anerkannte Fachbegriff dazu ist der New Centrist Populism.
Populisten greifen immer wieder auf die Dichotomie „Wir“ gegen „Die“ zurück. Aber das allein reicht oft nicht aus, um die Menschen für eine populistische Idee zu begeistern. Heinz Bude, Soziologe an der Universität Kassel, macht einen wichtigen gesellschaftlichen Impuls aus, der den Aufschwung des Populismus begünstigt.„Alle populistischen Bewegungen haben ein Konzept gemeinsam. Es ist der, wenn ich es frei nach Helmuth Pleßner zitieren darf, ‚Protestbegriff des Volkes‘. Es ist die Idee, dass das Volk nur durch den Protest Volk sein kann. Die Verfassung einer solchen Gesellschaft bezieht sich auf ein elementares Konzept der Demokratie durch Protest.“
Sind rechtsradikale Parteien populistisch?
Wie sieht es aber mit dem Populismus und den populistischen Bewegungen und Parteien in Tschechien aus? Dieser Frage war eine eigene Podiumsdiskussion gewidmet. Dort diskutierten Vlastimil Havlík und Petr Voda von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn, Alena Kluknavská von der Comenius-Universität in Bratislava, Ladislav Cabada von der Metropolitan University Prague und der amerikanische Wissenschaftler Steven Saxonberg, der in Brünn forscht.
Die Wissenschaftler waren sich, was Tschechien betrifft, immerhin in einem Punkt einig. Ein radikaler rechter Populismus, wie zum Beispiel in der Slowakei mit der „Kotleba – Volkspartei Unsere Slowakei“, ist in Tschechien nicht relevant. Die entsprechenden Vereinigungen wie die Arbeiterpartei DSSS fristen ihr Dasein irgendwo am politischen Rand. Alena Kluknavská aus Bratislava hat sich mit diesem Thema genauer auseinandergesetzt. Sie stellt aber zudem insgesamt infrage, inwieweit diese rechtsradikalen Parteien als populistisch anzusehen sind.Auch Linkspopulisten sind in Tschechien nicht relevant, ja sogar nicht existent – auch wenn die kommunistische Partei mit ihren stabilen 10 bis 15 Prozent eine wichtige Rolle in der politischen Landschaft spielt. Steven Saxonberg aus Brünn definierte die Rolle der kommunistischen Partei.
Die Kommunistische Partei Tschechiens und Mährens, aber auch die deutsche ‚Linke‘ seien nicht als populistische Parteien einzustufen, meint der Politologe. Sie mögen zwar radikal sein, jedoch hätten sie ein klares ideologisches Programm. Eben diese klare ideologische Ausrichtung fehle den populistischen Parteien.Besonders drei Parteien in Tschechien wurden von den Forschern als populistisch kategorisiert – die „Věci Veřejné“ / „Partei der öffentlichen Angelegenheiten“ von Radek John und Vít Barta, die einstige „Úsvit přímé demokracie“ / „Morgendämmerung der direkten Demokratie“ von Tomio Okamura und schließlich die Partei Ano von Andrej Babiš. Besonders die Partei Ano weckt international Interesse bei den Wissenschaftlern. Während die Partei der öffentlichen Angelegenheiten bereits zerfallen ist und Tomio Okamura immer mehr an politischer Bedeutung verliert, ist Andrej Babišs „Ano“ als populistische Partei fast beispiellos erfolgreich. Bei den letzten Parlamentswahlen erreichte sie rund 19 Prozent, und Andrej Babiš wurde Vizepremier sowie Finanzminister. Ladislav Cabada von der Metropolitan University in Prag spricht bei Babiš sogar von einem „Premier in der Reserve“ mit einer sonderbaren Position in der tschechischen Regierung:
Das tschechische Phänomen Andrej Babiš
„Wenn man die Medien verfolgt, agiert Andrej Babiš eigentlich als eine Art zweiter Ministerpräsident. Und er selbst, aber auch der eigentliche Premier sehen ihn in dieser Rolle. Die Regierung scheint von folgendem Szenario auszugehen: Sollte irgendetwas mit der Koalition passieren, könnte Andrej Babiš die Regierungsgeschäfte übernehmen. Gleichzeitig übernimmt Andrej Babiš eine andere, sehr interessante Rolle: Er ist die Opposition in der Regierungskoalition. Tagtäglich kritisiert er seine Koalitionspartner als klassische und traditionelle Politiker. Eben dies möchte er nicht sein.“Auf Andrej Babiš spezialisiert hat sich vor allem Steven Saxonberg. Eigentlich forscht er über den Wohlfahrtsstaat und das Verhältnis der Bürger zu Sozialleistungen. Auf der Konferenz im Goethe-Institut präsentierte er aber ein besonderes Konzept, das er in Anlehnung an seinen Prager Kollegen Cabada entwickelt hat – den sogenannten Unternehmer-Populismus:
„Die Idee des Unternehmer-Populismus wird immer wichtiger. Den Akteuren geht es nicht mehr um das Paradigma, politisch rechts oder links zu sein. Sie richten sich nach dem Motto ‚Ich kann ein Unternehmen leiten, also kann ich auch den Staat leiten‘. Sie machen das bewusst, ohne eine Partei zu haben.“Durch die fehlende Positionierung am rechten oder linken Seite des politischen Spektrums kommen Populisten dieses Schlages gut beim Volk an und werden auch gewählt. Dabei ist Tschechien kein Sonderfall, Beispiele finden sich laut Saxonberg auf der ganzen Welt. Das prominenteste davon dürfte Donald Trump in den USA sein.
Warum aber Babiš solch einen Erfolg in Tschechien hatte, erklärt sich Steven Saxonberg so:
„Ich würde sagen, dass drei Viertel der tschechischen Bevölkerung sozial-liberal eingestellt sind. Auf der einen Seite wollen die Tschechen eine großzügige Sozialpolitik. Das heißt, sie wollen gewisse Leistungen vom Staat. Die Tschechen sind aber liberal im traditionellen Wortsinn. Sie misstrauen dem Staat an sich. Das lässt sich durch die 40 Jahre kommunistischer Diktatur erklären. Deshalb wünschen sich die Tschechen keinen aktiven Staat. Sie ziehen finanzielle Leistungen jeglichen staatlichen Sachleistungen vor. In ihren Augen ist es in Ordnung, dass der private Sektor die ‚Service-Seite‘ des Staates übernimmt, solange sie billig und von der öffentlichen Hand subventioniert ist.“
Politisch jedoch konnte bisher niemand diesen Wunsch der tschechischen Bevölkerung erfüllen, fügt Saxonberg hinzu. Erst Babiš habe mit seinem hybriden Programm zwischen Steuererleichterungen und Sozialleistungen den richtigen Ton getroffen.