Wertlose Dinge und Worte: Designer Miro Pistek über seine frühen Jahre in der Tschechoslowakei
Miro Pistek ist Designer in Bayreuth. Seit der Wende engagiert er sich beruflich immer wieder auch in Tschechien. So hat er zum Beispiel Golfklubs oder Hotels mit seinen Designmöbeln ausgestattet. Doch Tschechien ist für Miro Pistek mehr als nur ein Markt. Denn der 58-Jährige ist im nordböhmischen Teplice / Teplitz geboren und aufgewachsen. Die Unterdrückung der künstlerischen Freiheit und die Umweltzerstörung in Nordböhmen veranlassten ihn 1980, mit Frau und Tochter nach Bayern auszuwandern. Maria Hammerich-Maier hat mit Miro Pistek über seine frühen Jahre in der Tschechoslowakei gesprochen.
Herr Pistek, Ihre Familie lebte im nordböhmischen Teplice. Ihr Großvater hat dort ein traditionsreiches Handwerk ausgeübt, die Glasschleiferei. Haben die nachfolgenden Generationen Ihrer Familie die Kunst des Glasschleifens weitergeführt?
„Opa war tatsächlich Glasschleifer. Die meisten Männer in meiner Familie haben mit Glasblasen oder Glasschleifen zu tun gehabt. Die Frauen wiederum waren in der Textilindustrie beschäftigt. Meine Mama und auch die Oma waren Meisterinnen in einem Textilbetrieb.“
Sie selbst sind dann einen Schritt über das Fach der Gravur hinausgegangen. Sie wollten den Glasschliff nicht nur ausführen, sondern auch die Idee, den Entwurf selber liefern. Daher studierten Sie in Prag an der Hochschule für angewandte Kunst und wurden Designer…
„Ja, das war ein langer Weg. Ich habe mein ganzes Leben lang immer irgendetwas gestaltet. Es war so, dass ich vor dem Studium zunächst eine Graveurlehre machte. Die tschechische Glasindustrie hat sich nach dem Krieg unter anderem auch auf große Serienproduktionen von geblasenem Glas und Verpackungsglas, wie Flaschen, ausgerichtet. Sie bekam auch viele Exportaufträge. So zum Beispiel kamen damals Coca Cola-Flaschen aus Dubí (früher deutsch auch Eichwald, Anm. d. Red.) bei Teplice. Und diese drei Lehrjahre fand ich sehr interessant, die waren wirklich toll. Doch ich wollte die Dinge, an denen ich arbeitete, am liebsten auch selber gestalten. Der Weg dorthin führt aber über eine höhere Bildung, und diesen Weg bin ich dann gegangen.“Und wie ging Ihre Berufslaufbahn nach dem Abschluss des Studiums weiter? Was haben Sie danach gemacht?
„Dann kam ich erst einmal zum tschechischen Militär. Dort war dann vor allen Dingen Schluss mit lustig. Ich habe dort aber sehr schnell begriffen, dass man auch in extremen Bedingungen gestalten kann. Ich schuf also frei, nur so für mich, verschiedene Dinge. Das wurde bemerkt, und man bat mich, Objekte für das Militär zu gestalten. Und so kam ich für einige Zeit in ein Atelier nach Prag, das das Verteidigungsministerium betrieb. Der Leiter war ein Bildhauer, also ein Künstler, aber im Rang eines Generals mit einem Stern. – Das sind interessante Sachen! Irgendwann schreibe ich noch einmal ein Buch darüber. – Wir arbeiteten dort unter anderem an Staatsgeschenken. Das bedeutet: Wenn ein Präsident, Verteidigungsminister oder anderer Minister in ein befreundetes Land fuhr, dann wurde im Vorfeld dieses Staatsbesuchs eine Büste in Auftrag gegeben. Zum Beispiel eine Büste von Lenin oder Gottwald oder einem anderen führenden Kopf. Und wir waren diejenigen, die diese Geschenke unter Anleitung unseres obersten Chefs ausführten. Es wird Sie vielleicht interessieren, wie wertlos diese Büsten waren. Meistens waren es nämlich bloß Abgüsse. Sie waren tatsächlich nur ein Guss, und zwar nicht in wertvoller Bronze, sondern aus Gips! Damit die Büste aber ein entsprechendes Gewicht hatte, haben wir Metallteile dazugemengt und sie so patiniert, als wäre sie aus Bronze und wertvoll. Man sieht also: Die Herren beschenkten sich mit wertlosen Dingen, so wie Sie uns oft auch Wertloses erzählten.“Sie waren kreativ und wollten in der Tschechoslowakei als Künstler eigene Ideen umsetzen. Wie haben Sie die politischen Zustände dort erlebt?
„Dieses Atelier hat mir viel bedeutet. Erstens kam ich aus dem Kampfverband heraus. Das war schon einmal sehr gut. Zweitens konnte ich mich technisch und technologisch weiterbilden und leistete vernünftige, professionelle Arbeit, wenn auch mit zweifelhaften Inhalten. Gleichzeitig konnte ich aber nach der offiziellen Arbeitszeit mit den Werkstoffen, die wir zur Verfügung hatten, eigene Objekte schaffen. Selbstverständlich habe ich in der Freizeit gemalt und modelliert. Und diese Werke, die frei entstanden sind, die stellte ich auf Ausstellungen aus. Und hier liegt einer der Gründe, warum ich heute nicht mehr in Tschechien lebe. Wir leisteten gute Arbeit und brachten als Künstler viel Idealismus in unsere schöpferische Arbeit ein. Doch am Vorabend einer Vernissage kamen plötzlich ein oder zwei Herren in Trenchcoats. Sie schauten sich die Ausstellung an, zeigten mit dem Finger auf Bild A und Skulptur B und sagten: Bitte entfernen Sie diese Stücke! Wir führten mit ihnen Diskussionen oder versuchten dies zumindest. Doch danach hieß es: Wenn Sie nächstes Mal überhaupt noch zu eingeladen werden wollen auszustellen, dann entfernen Sie jetzt bitte sofort alle Ihre Werke und verlassen Sie diese Räumlichkeiten. Manchmal begründeten die Herren ihre Entscheidung damit, dass ein Bild zu dunkel sei oder zu wenig rote Farbe enthielte. Dann wieder argumentierten sie, das Objekt sei nicht positiv genug oder es entspreche dem Geist des Sozialismus nicht. Das war schon sehr bitter.“Also eine Art willkürlicher Machtausübung über Künstler, bei der gar nicht deutlich zu erkennen war, nach welchen Kriterien entschieden wurde.„Das kann man so sagen. Diese Herren stellten sich auch nie vor. Wir wussten nicht, ob sie vom Staatssicherheitsdienst kamen oder Vertreter von Kulturbehörden waren. Auf keinen Fall handelte es sich um gebildete Künstlerkollegen oder Kunstkritiker. Es waren keine Fachleute.“
Und da lief das Fass für Sie über und Sie flohen 1980 zusammen mit Ihrer Frau und ihrer damals noch kleinen Tochter nach Bayern. Wie sind Sie nach Bayern gekommen?
„Also wir sind nicht plötzlich eines Tages über den Zaun geklettert, sondern der Entschluss, die Tschechoslowakei zu verlassen, reifte längere Zeit. Neben der künstlerischen Unfreiheit und persönlichen Belangen war die Umwelt ein weiterer Grund. Heute kann man sich das kaum mehr vorstellen. Doch die Stadt Teplice ist nach Größe und Anlage mit Bayreuth vergleichbar. Sie hat ebenfalls etwa 70 000 Einwohner. In der Umgebung von Teplice ist das Erzgebirge, ähnlich wie hier das Fichtelgebirge. Die Gipfel beider Gebirge erreichen ungefähr die gleichen Höhen. Teplice ist außerdem eine Kulturstadt und ein Kurbad. Man hat aber Nordböhmen zu einer Industrielandschaft und zu einem Energie- und Chemiegebiet gemacht. Braunkohlereviere erstreckten sich über viele Kilometer weit, und zwar mit offenen Schächten. Dort bildete sich sehr viel Smog. Die Chemie-Industrie siedelte sich nahe den Energiebetrieben an, also entstanden Gebiete mit geballter Industrie. Und im Ergebnis all dessen waren die ökologischen Lebensbedingungen dort so schlecht, dass bei kleinen Kindern, die ihre ersten Zähne bekamen, der Zahnschmelz beschädigt war. Wir bekamen damals keine handfesten Daten, die gab es erst später. Doch wir erlebten mit, dass Kinder – nicht nur unsere Tochter, sondern auch die Kinder von Freunden, abwechselnd eine Woche die Schule oder die Kinderkrippe besuchten und dann wieder eine Woche krank zu Hause waren. Denn die Belastung durch die Umwelt war enorm hoch. Das war eine schwerwiegende Sache, zumal wir innerhalb der Tschechoslowakei nicht einfach umziehen durften. Ich hatte mir einmal eine Stelle in České Budějovice / Budweis gesucht. Und nachdem ich mich mit dem Arbeitgeber geeinigt hatte, entschuldigte er sich und sagte: Ach, Sie kommen aus Nordböhmen. Da darf ich Sie ja gar nicht einstellen. Da würden doch alle aus den nordböhmischen Gebieten wegziehen. Das war ein entscheidender Grund auszuwandern, der auch eine politische Dimension hatte.“Als Sie in Bayern angekommen waren, befanden Sie sich in der Situation, dass Ihre Mutter Sudetendeutsche war. Das machte den Neubeginn für Sie leichter als für viele andere Emigranten, nicht wahr?„Das habe ich später erkannt, und ich war sehr glücklich darüber. Meine Frau und ich dachten eigentlich, wenn wir es in den Westen schafften, sei noch immer nicht klar, ob wir in Bayern und Deutschland bleiben dürfen. Wir hatten jedoch das große Glück, dass die deutschen Behörden den Reisepass meiner Mama dahingehend deuteten, dass auch ich Deutscher sei. Damit war die Angelegenheit erledigt. Deshalb sprechen Sie also jetzt mit einem Deutschen.“
Dieser Beitrag wurde am 13. Juni 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.