Spielautomaten und gestrandete Schiffe: Prager Quadriennale zeigt Bühnenbild und Performances aus aller Welt
In der tschechischen Hauptstadt findet derzeit die Prager Quadriennale statt. Das geschichtsträchtige Festival bringt bereits zum 15. Mal Bühnenbildner und Performance-Künstler nach Prag. Bei der weltweit wichtigsten Veranstaltung ihrer Art stellen sich in diesem Jahr fast 60 Länder und Regionen vor.
Am Mittwochabend wurde die Prager Quadriennale (PQ) eröffnet – die weltweit größte Ausstellung für Bühnenbild und Performance Design. Kunstschaffende aus Bereichen wie Architektur, Licht- und Sounddesign oder Kostüm sind in der tschechischen Hauptstadt zu Gast. Bereits seit 1967 bringt die „PQ“ alle vier Jahre Künstler aus aller Welt nach Prag, beim aktuellen Durchgang handelt es sich um den 15. Ein kleines Jubiläum also, das man aktuell feiern kann.
Das Motto der diesjährigen Jubiläumsausgabe lautet „Rare“. Im englischen bezeichnet dieses Adjektiv etwas Ungewöhnliches oder Seltenes. Markéta Fantová ist die künstlerische Leiterin der Prager Quadriennale. Im Interview mit Radio Prag International erklärt sie, wie es zu dem Motto kam:
„Mit diesem Teil der Planung beginnen wir immer schon drei Jahre im Voraus. Wir ziehen in Erwägung, welches Thema auf Anklang stoßen könnte und haben dabei immer im Sinn, dass ja Teilnehmer aus der ganzen Welt kommen. Also denken wir darüber nach, was zum Beispiel die afrikanischen Staaten interessieren könnte.“
Das englische Wort „Rare“ halte das Leitungsteam nun für treffend, so Fantová:
„Wir haben alle die Pandemie durchgemacht, viele Länder haben wirtschaftliche Probleme, und dann ist da noch Russlands Krieg. Das Wort ‚rare‘ kennzeichnet für uns die Zeit, in der wir aktuell leben. Denn es ist wirklich eine einzigartige und außergewöhnliche Zeit voller Neuerungen.“
Elf Tage lang findet nun das Theaterevent statt. Austragungsorte sind der Messepalast der Prager Nationalgalerie, die Theaterhochschule DAMU und die Straßen der Stadt. Vor allem aber spielt sich das Programm in den Markthallen im Stadtteil Holešovice ab. Aber warum gerade an diesem Ort?
„Wir brauchten ein Gelände, das 10.000 Quadratmeter hat, also eine riesige Fläche. Die Markthallen Holešovice waren einer der Kandidaten. Unser Motto passt gut hierher, denn die Markthallen sind ein einzigartiger Ort. Früher befand sich hier ein Schlachthof, und diese besondere Atmosphäre spürt man bis heute.“
Da passt das Wort „rare“ ganz besonders, bezeichnet es doch auch fast rohes Fleisch. Und die Zeiten seien ja auch roh, meint Markéta Fantová.
Wenn die Bühne zum Leben erweckt wird
In jedem Fall scheinen die Veranstalter mit der Entscheidung für die Markthallen als Festivalzentrum einen Volltreffer gelandet zu haben. So spiegelt der Ort etwa die Absicht wieder, dass die Quadriennale keine geschlossene Veranstaltung für elitäre Theaterkünstler mehr sein will. Auf dem Gelände treffen die Ortansässigen mit Künstlern aus aller Welt zusammen. Menschen gehen im Supermarkt einkaufen, Kinder spielen Fußball, daneben die Kunstschaffenden, die in den unterschiedlichsten Sprachen über Gott, die Welt, Theater und Bühnenbild diskutieren oder sich Performances anschauen.
Diesen Performances sei in der letzten Zeit eine immer größere Bedeutung bei der PQ zugekommen, berichtet Fantová:
„Immer mehr Ausstellungen zeigen Live-Darbietungen. Das heißt, es geht nicht mehr nur um Bühnenbild, sondern die Szenografie stellt sich lebendig und genreübergreifend vor. Sehr oft stehen hinter einem Projekt neuerdings auch mehrere Künstler.“
Bühnenbildmodelle, Diskussionen und die Länderausstellungen
Die Quadriennale hält ein buntes Programm bereit. Die Ausstellung „Fragments II“ etwa, die im Messepalast gezeigt wird, stellt Modelle für Bühnenbilder und Kostüme vor. Aus den Konzepten werden so echte Kunstwerke. Im Rahmen der Gesprächsreihe „PQ Talks“ wiederum wird zu aktuellen Fragen der Szene diskutiert. Dabei wird unter anderem auch der in Deutschland lebende tschechische Regisseur Dušan David Pařízek sprechen oder die deutsche Bühnen- und Kostümbildnerin Katrin Brack. Und bei der „PQ Studio Stage“ stellen Studenten ihre Arbeiten vor.
Das Highlight ist für die meisten Interessierten wohl aber die Ausstellung der Regionen und Länder. Diese findet in den Markthallen 11, 13 und 17 statt. 59 Staaten und Regionen seien vertreten, heißt es von den Organisatoren.
Australien etwa hat einen schwarzen Pavillon aufgebaut, man sieht darin die Hand vor den eigenen Augen nicht. Es läuft atmosphärische Musik, und in der Mitte, von Scheinwerfern angeleuchtet, hängt ein Kreis in der Größe eines Hula-Hoop-Reifens. Griechenland spielt mit den Klischees über sein Land und hat eine Art antiken Souvenirshop aufgebaut. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind nicht vertreten, Belgien aber lässt Pflanzen in einem Auto wachsen und eine Palme auf einem Schiff. Georgien bietet eine Installation an, die über virtuelle Realität erlebt werden kann. Ungarn hat ein tristes Zimmer mit nackten Matratzen und einem geöffneten Kühlschrank ausgestattet, aus dem zerbrochenes Geschirr herauskullert. Das taiwanesische Team hat eine weiße Bühne aufgebaut, die mit Motiven aus der Seefahrt versehen wurde.
Künstler aus Kolumbien haben Teilnahme durch Spenden finanziert
Kolumbien ist mit einem bunten Stand vertreten, an dem auf einem Fernseher ein Werbevideo läuft. „Pragatá Travel agency“ steht da in großen Buchstaben, und Susana Botero steht hinter dem Stand…
„Wir befinden uns hier in Pragatá. Das ist eine fiktive Stadt, eine Mischung aus Prag und Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Hier ist aber eigentlich nur das Reisebüro, in dem man sich für Führungen durch Pragatá anmelden kann.“
Es gäbe eine Liebes- und eine Unterhaltungstour, eine spirituelle Rundreise sowie einen Erholungsurlaub, so Botero.
„Es handelt sich um eine Audioperformance. Die Besucher hören im Rahmen der Touren Geräusche aus dem chaotischen Bogotá – sie blicken dabei aber auf Prag.“
Laut Botero hat man für das Projekt aus der Not eine Tugend gemacht:
„Wir hatten gar kein Geld, um irgendetwas hierher nach Prag zu bringen. Also haben wir beschlossen, unsere eigene Stadt mit unseren eigenen Regeln zu schaffen. Hinter dem Projekt stehen über 20 Künstler.“
Botero zufolge ist es zwar mittlerweile der vierte Auftritt Kolumbiens auf der Prager Quadriennale, wie in den vergangenen Jahren aber auch sei die Ausstellung von unabhängigen Künstlern realisiert worden. Der Staat habe sich nicht an dem Vorhaben beteiligt, sagt die Performance- und Textilkünstlerin. Man habe aber dennoch eine Lösung gefunden:
„In einer Crowdfunding-Kampagne haben unsere Landsleute 2000 US-Dollar gespendet. Aber von institutioneller Seite gab es keine Unterstützung.“
Tschechische Präsentation thematisiert kollektives Gedächtnis
Auch das Gastgeberland Tschechien ist selbstverständlich mit einem Stand
auf der Prager Quadriennale vertreten. Unter anderem leuchtet dort in bunten Farben ein Spielautomat. Ein Mann haut dort gerade in die Tasten, und das ist David Možný. Er hat den Spielautomaten aufgebaut, der Teil einer umfassenden Installation ist, die insgesamt sieben kleine Räume umfasst.
„Die Geschichten, die diese einzelnen Kabinen vielleicht erzählen, sind nicht meine. Vielmehr stehen die meisten in irgendeiner Weise in Verbindung zu Osteuropa. Sie sind Teil des kollektiven Gedächtnisses.“
David Možnýs Installation heißt „Limbo Hardware“. Von außen lässt sich der Auftritt Tschechiens fast übersehen. Metallträger halten Pappwände – das Ganze ist nichts Weltbewegendes. Von einer Seite aber kann man in die sieben sehr langgestreckten Räume hineinsehen – und wenn man sich sehr schlank macht, kann man diese auch betreten. Ein Raum erinnert an ein steriles Büro, mit ungemütlichem Teppich, Lamellenvorhang und grellem Licht. In einer anderen Koje herrscht Dunkelheit. Aber alle paar Sekunden blitzt ein Licht auf und wenn man genau hinsieht, scheint es als würde dort ein Mensch stehen. Ein anderer Schacht ist mit Fliesen versehen, vom gelblichen Licht einer Leuchtstoffröhre erhellt und führt zu einer Fahrstuhlkabine. David Možný macht auf die Wandverkleidung aufmerksam, die sich an beiden Seiten in etwa einem Meter Höhe befindet. Sie ist dunkelgrün und besteht aus einer Art Lack, der Spitzen bildet…
„Das ist eine typische Wandbemalung aus den 1970er Jahren. Man konnte sie etwa in Kasernen und Plattenbauten antreffen. Der Lack sollte verhindern, dass die Menschen die Farbe abscheuern. Zugleich wird der Aufenthalt in dem Raum dadurch wesentlich unangenehmer.“
Auch ein weiterer Ort hat einen klaren Bezug zu den 1970er Jahren. Mehr noch als die Glastür und der fast schon historische Lichtschalter trägt die bunt gemusterte Tapete dazu bei, dass man sich in eine andere Zeit versetzt fühlt. David Možný erklärt, woher die Inspiration für den Wandbelag stammt:
„Ich habe einmal im Stasi-Museum in Berlin einen Film gemacht. Konkret war das in Räumen, die sonst für die Öffentlichkeit verschlossen sind: Der Dreh fand im Chefzimmer des ehemaligen Stasi-Krankenhauses statt. Bei den Arbeiten dort sind mir verschiedene Tapeten aufgefallen, unter anderem diese. Für die Ausstellung habe ich sie nachdrucken lassen. Im Grunde geht es aber nicht darum, dass sie aus dem Stasi-Museum stammt, sondern darum, dass sie so wunderbar die 1970er Jahre symbolisiert.“
Zwischen Spielhalle, Flughafen und Hotel
Vor allem seien es auch sogenannte Nicht-Orte, die ihn für seine Arbeit inspirierten, sagt Možný und schaut in einen hell ausgeleuchteten Gang, dessen Seiten verglast und mit Metalljalousien versehen sind:
„Dieser Gang könnte sich so etwa auf einem Flughafen befinden. Ein kalter Korridor aus Metall und Glas, durch den man geht, ohne genau zu wissen, wo man eigentlich ist – ein klassischer Transitort.“
Zudem hat Možný den Gang eines Hotels nachgebaut.
„Das Hotel ist ein weiterer Nicht-Ort. Jeder kommt dorthin und erlebt dort seine Geschichte – die aber niemand kennt, da sie sich hinter den verschlossenen Türen abspielt. Dann geht man wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen.“
Aber… wieso das Kasino und der Spielautomat? Dieser Raum ist mit einer ganz persönlichen Geschichte verbunden, wie David Možný schildert:
„Ich bin in Brünn geboren und lebe dort bis heute in einem armen Stadtteil. Zwischen 2000 und 2015 bestanden dort große Probleme mit den Spielotheken. Sie wurden nicht kontrolliert, und es gab unendlich viele dieser Betriebe. Das hat unter anderem zu einem großen sozialen Ungleichgewicht geführt.“
Auch der Künstler war Stammgast in den Spielstuben, nicht aber etwa um sein Geld zu verzocken, wie er betont…
„Das war der einzige Ort, der 24 Stunden geöffnet hatte. Ich habe damals viel in der Nacht am Rechner gearbeitet. Wenn ich dann vier Uhr morgens fertig war und noch rausgehen wollte, war die Spielothek der einzige mögliche Ort. Dort hatte ich meine Ruhe. Außer mir waren dort nur ein paar verlorene Seelen, die ihr letztes Geld verzockten und denen sonst alles egal war. Ich konnte vor mich hinsinnieren, mein Bier trinken, und dann ging ich wieder nach Hause.“
Und so steht am Ende von einem der sieben engen Gänge in David Možnýs Installation nun ein Spielautomat, der munter vor sich hinblinkt. Wer es schafft, sich bis ganz nach hinten zu zwängen, der dürfe auch spielen, so der Künstler. Zu gewinnen gäbe es jedoch nichts, scherzt Možný.
Die Prager Quadriennale kann noch bis zum Sonntag kommender Woche besucht werden. Das gesamte Programm findet sich auf der Website des Festivals: www.pq.cz.