Wettlauf an der Grenze: Wie Bayern und die Tschechoslowakei im Kalten Krieg nach Uran gruben

Der 20 Meter hohe Förderturm der Grube „Wäldl“ in Mähring wurde Anfang der 1990er Jahre abgerissen.

Inmitten des Kalten Krieges und des atomaren Wettrüstens haben die beiden Konfliktparteien nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt Uranerz aus dem Boden geholt. In der Tschechoslowakei gab es mehrere Bergwerke unmittelbar an der Grenze. Und auch in Bayern grub man nach Uran. Eine neue Ausstellung lenkt den Blick auf diese atemberaubende Geschichte.

Es klingt nach Agententhriller und irgendwie unvorstellbar, war von den 1960er bis in die 1980er Jahre aber Realität: Im oberpfälzischen Mähring gruben bayerische Bergleute in zwei Untersuchungsschächten nach Uran. Obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Kontrollratsgesetz 25 die Suche nach atomaren Vorkommen in Deutschland eigentlich weitestgehend untersagt war, duldeten die Alliierten die Aktivitäten. Auf der tschechoslowakischen Seite der Grenze wiederum wurden nur wenige Hundert Meter weiter in Bergwerken strahlende Materialien aus der Erde geholt und anschließend in die Sowjetunion gebracht.

Blick in die Ausstellung. | Foto: Gelebtes Museum Mähring

Die Geschichte des Uranabbaus an der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze vermittelt nun eine Ausstellung. „Uran am Grenzkamm“ heißt sie, und zu sehen ist sie im Gelebten Museum in Mähring. Hinter der Schau steht ein Team von vier Leuten: Roland und Bettina Weis vom Gelebten Museum, der Mineraliensammler Ferdinand Wagner sowie Annette Kraus. Im Gespräch mit Radio Prag International schildert Kraus, dass sie selbst eine enge Verbindung zu der Region hat:

„Ich bin in der Gegend aufgewachsen, zwei Kilometer von der nächsten Grube entfernt. Dieser Uranabbau lief bei uns bis Anfang der 1980er Jahre. Anschließend gab es eine Uranerzlauge, in der bis Ende des Jahrzehnts immer noch Menschen beschäftigt waren. Ich hatte das Thema also immer unterbewusst präsent und wusste, dass es irgendwo da hinten mal dieses Bergwerk gab. Es war aber nichts, womit ich mich groß beschäftigt habe und mich auskannte.“

Geändert hat sich das erst, als Kraus in Vorbereitung der Ausstellung zu recherchieren begann:

Annette Kraus | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Im Gelebten Museum in Mähring war eine Uranausstellung geplant. Ich fand das super, weil das eine Gelegenheit dargestellt hat, mich intensiv mit dem auseinanderzusetzen, was da in meiner Kindheit direkt vor meiner Nase passiert ist.“

Kraus, die im vergangenen Jahr als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Museen im Landkreis Tirschenreuth gearbeitet hat, war es wichtig, nicht nur die Geschichte auf der bayerischen Seite der Grenze vorzustellen…

„Dort gab es zwei Uranbergwerke, beziehungsweise Untersuchungsschächte. Zwei Kilometer weiter, hinter dem Eisernen Vorhang, befanden sich aber noch weitere Bergwerke, in denen die Tschechoslowakei Uran abgebaut hat.“

Die Tschechoslowakei lieferte das Uran an die Sowjetunion

Zadní Chodov und Dyleň / Tillenberg hießen die beiden Gruben, die sich in unmittelbarer Nähe von Mähring befanden. Seit den 1950er Jahren wurde dort Uranerz von der Tschechoslowakei gefördert und anschließend in die Sowjetunion geliefert. Was dort damit geschah und inwiefern der strahlende Grundstoff tatsächlich zur Produktion von Atomwaffen verwendet wurde, ist unklar.

Signalanlangen und Telefone,  die unter Tage im Einsatz waren. | Foto: Gelebtes Museum Mähring

Mehrere Hundert Angestellte hätten die Gruben gehabt, und die Erträge seien beachtlich gewesen, sagt Kraus. Mit den Erträgen in anderen Regionen der damaligen Tschechoslowakei haben sie allerdings nicht mithalten können. In den Urangruben Jáchymov etwa, wo über 10.000 politische Gefangen in den Bergwerken schuften mussten, konnte man ganz andere Summen vorweisen. Dennoch habe man auch an der Grenze viel aus den Gruben nach oben gebracht, so Kraus:

„Dort gab es Dreischichtbetrieb. In einer Schicht waren 50 bis 150 Arbeiter eingesetzt. Sie haben in Siedlungen gewohnt, etwa in Marienbad oder in Planá, und sind täglich mit dem Bus zu ihrem Arbeitsort gefahren.“

Im bayerischen Mähring hatte der Abbau ganz andere Dimensionen. Von 1967 bis 1982 wurde dort in sogenannten Untersuchungsschächten nach Uranerz gesucht, wobei vor Ort lediglich ein paar Dutzend Bergleute angestellt waren. Viele von ihnen seien von Beruf eigentlich Landwirte gewesen, schildert Kraus:

Ehemalige Bergleute  (Mitte) bei der Ausstellungseröffnung | Foto: Gelebtes Museum Mähring

„Sie fanden das einfach super, dass es dort Schichtarbeit gab. Denn das bedeutete, dass die Bauern von 6 bis 14 Uhr ins Bergwerk gingen und anschließend ihre Felder bewirtschaften konnten. Und natürlich gab es auch gutes Geld. Ich habe gelesen, dass man dort als Bergmann das Vierfache eines Maurergehalts bekommen hat. Zudem haben sie in die Rentenknappschaft eingezahlt.“

Während die tschechischen Gruben teils mehr als einen Kilometer unter der Oberfläche lagen, war man in Bayern nur 300 Meter tief in der Erde. Das hatte auch Auswirkungen auf die Erträge, denn in Mähring wurde kaum strahlendes Material gefördert…

„Offiziell gab es bis zum Schluss keinen Uranerzabbau in den Untersuchungsschächte Mähring und Poppenreuth. Alle sagen aber, dass dennoch etwas gefunden wurde, auch wenn es sehr wenig war. Und natürlich wurde etwas damit gemacht und das Material nicht einfach weggeworfen.“

Von der Strahlung fielen den Arbeitern die Haare aus

Für die Ausstellung im Gelebten Museum Mähring hat die ehemalige Redakteurin von Radio Prag International verschiedene Exponate zusammengetragen. Unter anderem sind es Leihgaben vom Mineralienmuseum Ferdinand Wagner, das sich ebenfalls im Ort befindet. Zudem hat Annette Kraus gemeinsam mit der IKom Stiftland Gespräche mit Zeitzeugen geführt.

Bergleute und Besucher sehen sich Zeitzeugenvideos an. | Foto: Gelebtes Museum Mähring

Die Aussagen der Bergleute sind auch in der Online-Version der Ausstellung aufgeführt. Diese ist in Zusammenarbeit mit dem Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee entstanden und auf der dortigen Website zu finden. Einer, der seine Erinnerungen schildert, ist Jan Teplík:

„Ich habe 1972 angefangen, in dem Uranbergwerk zu arbeiten, nach meinem Wehrdienst. Bis 1987 war ich dort angestellt.“

Dabei habe er ursprünglich nicht so lange dort bleiben wollen, schildert Teplík:

„Uran ist der Gesundheit nicht gerade zuträglich. Deswegen wollten eigentlich alle dort nur für ein oder zwei Jahre arbeiten“, so der einstige Bergmann.

Doch Teplík blieb länger. Die Folgen der Strahlung erlebte er am eigenen Leib…

„Es gab da unten kaum Luftzirkulation. Und das heißt, dass viel Strahlung freigesetzt wurde. Das merkt man zunächst kaum. Ich habe etwa nur festgestellt, dass ich ein wenig müder war als sonst. Aber dann, als ich unter die Dusche ging und mir hinterher die Haare gekämmt habe, war auf einmal der ganze Kamm voller Haare. Das war ein Zeichen dafür, dass man zu viel Radon abbekommen hat.“

Blick in die Ausstellung. | Foto: Gelebtes Museum Mähring

In den 1950er Jahren seien die Kumpel aber noch viel größeren Dosen ausgesetzt worden, betont Teplík. Die meisten Bergleute, die damals unter Tage arbeiteten, starben mit maximal 55 Jahren. In den Untersuchungsschächten in Mähring wurde auch nicht wirklich mehr Wert auf die Sicherheit gelegt, schildert Kraus:

An dem Schutzhelm aus den tschechoslowakischen Urangruben war ein Dosimeter zur Messung der Strahlung befestigt. | Foto: Museumsfachstelle IKom Stiftland

„In Bayern trugen die Menschen ein Dosimeter bei sich, also einen kompakten Geigerzähler, der die Strahlung misst. Die Bergarbeiter haben mir dazu gesagt, sie hätten da dieses Kastl gehabt, aber da sei nie etwas auffällig gewesen. Sie bekamen zwar eine Einführung, in der ihnen erklärt wurde, dass sie unter Tage nicht essen oder trinken durften. Im Nachhinein bekommt man aber schon den Eindruck, dass die Gefahr von vielen auf die leichte Schulter genommen wurde. Die meisten Arbeiter haben erst viel später darüber nachgedacht.“

Zu diesem Umdenken führte bei vielen vor allem die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Bis dahin waren einige der Bergleute auch begeisterte Mineraliensammler gewesen. Nach dem Unglück verschwanden die teils strahlenden Steinsammlungen dann aber aus den Wohnzimmern.

Unter Tage hörte man die Arbeiter auf der anderen Seite der Grenze

Kontakt zwischen dem Uranbergwerk Dyleň und dem in Mähring gab es keinen. Zwar trennten die Schächte nur wenige Hundert Meter, dazwischen lag aber auch der Eiserne Vorhang. Dementsprechend streng wurden die Anlagen dann auch bewacht – vor allem auf böhmischer Seite. Annette Kraus:

„Das Bergwerk Dyleň lag im Grenzstreifen. Das heißt, dass alle, die dort gearbeitet haben, streng kontrolliert wurden. Es wurde überprüft, ob sie politisch akzeptabel sind und keine Fluchtgefahr besteht.“

Dreidimensionales Modell der Grube „Wäldl“ | Foto: Gelebtes Museum Mähring

Versuche zu fliehen habe es aber dennoch gegeben, so Kraus. Im Zuge ihrer Recherche sei sie auch auf die Schicksale von Tschechen gestoßen, die zunächst auf der tschechoslowakischen Seite unter Tage und dann – wenige Hundert Meter entfernt – in Bayern nach Uranerz gruben.

Doch auch diejenigen, die auf der jeweiligen Seite der Grenze blieben, bekamen Wind von dem, was „drüben“ passierte…

„Da die Entfernung zwischen dem Bergwerk Dyleň und dem Schacht Wäldl nur einen Kilometer betrug, haben sich die Arbeiter mitunter gesehen. Zudem haben sie mir erzählt, dass sie unter Tage das Klopfen von der anderen Seite gehört haben.“

Der Geigerzähler schlägt heute noch immer aus

1983 wurde die Arbeit in den beiden Schächten in Mähring eingestellt. Wirtschaftlich lohnte sich die Förderung nicht mehr. 1991 folgte die Schließung des tschechischen Uranbergwerks Dyleň und ein Jahr später von Zadní Chodov. Die Grube in Mähring wurde zugeschüttet und verfüllt.

Die Schutzheilige der Bergleute,  die Heilige Barbara. | Foto: Gelebtes Museum Mähring

„Wenn man es nicht weiß, sieht man dort einfach nur eine grüne Wiese und Wald. Es gibt auch kein Hinweisschild, dass dort einmal Uranabbau stattfand“ , so Kraus.

Das bayerische Landesamt für Umwelt prüft bis heute regelmäßig die Sickerwässer aus der Deponie – und hat nichts zu bemängeln. Und wie sieht es auf der tschechischen Seite der Grenze aus?

„Auf das Gelände der Grube Dyleň gelangt man heute noch. Wenn man weiß, was dort einmal war, kann man sich das schon zusammenreimen. Geht man dort mit dem Geigerzähler vorbei, schlägt der übrigens immer noch ziemlich aus.“

Vom Bergmann zum Museumsangestellten

Und die Bergleute? Einige der ehemaligen Kumpel auf der tschechischen Seite haben 1995 ein Bergbaumuseum in Planá eingerichtet. Jan Teplík bietet dort regelmäßig Führungen für Besucher an. Einmal im Jahr kommen die einstigen Uranbergleute zu einem Treffen zusammen. Auf deutscher Seite gibt es hingegen nur noch wenige, die über die Zeit von einst erzählen können. Einige der Stimmen hat Annette Kraus eingefangen. Und im Zuge der Ausstellung habe es dann auch eine ganz besondere Begegnung gegeben, schildert sie. Denn bei der Eröffnung der Schau seien zum ersten Mal die tschechischen und die deutschen Bergleute wirklich zusammengekommen:

„Da kamen tatsächlich die tschechischen Bergleute in ihren Uniformen angereist und haben ihre Lieder gesungen. Sie haben sich total gefreut, dass es auch auf der deutschen Seite ein Interesse für sie gibt. Sie waren perplex, von den deutschen Kollegen zu erfahren, dass diese dort zum Teil nur zu viert in einer Schicht gearbeitet hatten. Umgekehrt waren die bayerischen Bergleute daran interessiert, ob in Tschechien früher auch Kuren verschrieben und ärztliche Untersuchungen durchgeführt wurden. Für mich war es total schön, diesem Austausch beizuwohnen.“

Die Ausstellung „Uran am Grenzkamm“ im Gelebten Museum Mähring kann noch an mehreren Terminen besucht werden. Am 8. Oktober ist von 12 bis 18 Uhr geöffnet, am 15. Oktober von 11:30 bis 17:30 Uhr. Die Online-Exposition findet sich auf der Website des Centrums Bavaria Bohemia: www.bbkult.net/projekte/kulturbruecke/uran-am-grenzkamm.

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