Wichtigste tschechische Übersetzung der Heiligen Schrift: 400 Jahre Kralitzer Bibel

Kralitzer Bibel

Im Jahr 1613 wurde in der Druckerei der Brüder-Unität in Kralice nad Oslavou / Kralitz in Mähren eine einbändige Bibel gedruckt. Sie ist als Kralitzer Bibel in die Geschichte eingegangen und zur bekanntesten Übersetzung der Heiligen Schrift ins Tschechische geworden. 200 Jahre später hat sie die Formierung der tschechischen Schriftsprache wesentlich beeinflusst.

„Die Kralitzer Bibel ist eine wichtige tschechische Bibelübersetzung. Sie basiert auf dem Originaltext, also auf dem Bibeltext in Griechisch und Hebräisch. Außerdem handelt es sich um die umfangreichste Übersetzung aus der humanistischen Zeit in der tschechischen Literatur.“

Dies sagt der Kirchenhistoriker Jiří Just von der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Die Arbeit an der Übersetzung aus den Originalsprachen dauerte laut dem Kirchenhistoriker 15 Jahre lang, sie erfolgte zwischen 1579 und 1594. Die Kralitzer Bibel erschien damals zunächst in sechs Bänden. Darauf folgten zwei weitere, einbändige Ausgaben. Jiří Just:

„Die dritte Auflage von 1613 ist sehr wichtig. Es war die letzte Ausgabe, die direkt von den Herausgebern, von den Geistlichen und Gelehrten der Brüder-Unität korrigiert und redaktionell bearbeitet wurde. Die Kralitzer Bibel wurde später noch mehrere Male gedruckt, auch im 18. und im 19. Jahrhundert, aber diese Ausgabe vom Jahr 1613 war die letzte Ausgabe der Brüder-Unität.“

Kirche der Böhmischen Brüder - Jednota bratrská
Die Brüder-Unität ist eine protestantische Kirche, ihr gehörte auch der weltbekannte Philosoph, Theologe und Pädagoge Johann Amos Comenius an. Sie war für die Entstehung der Kralitzer Bibel von grundlegender Bedeutung.

„Das war eine kleine Glaubensgemeinschaft in Böhmen und Mähren im 16. Jahrhundert. Sie entstand bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und geht auf die so genannte erste tschechische Reformation zurück. Wir schätzen, dass die Brüder-Unität damals nur 30.000 bis 40.000 Mitglieder hatte. Im Vergleich mit den Utraquisten, das heißt der größten nichtkatholischen Kirche hierzulande, und mit den Katholiken, war sie eine ziemlich kleine Kirchengemeinschaft.“

Brüder-Unität
Obwohl nur klein, spielte sie aber eine wichtige Rolle in der tschechischen Geschichte:

„Die Brüder-Unität war eine exklusive Gemeinschaft. Ihre Geistlichen haben von den Kirchenmitgliedern erwartet, dass sie regelmäßig zum Gottesdienst in die Kirche gehen, also dass sie aktive Mitglieder sind. Sie hat sich auch um die Bildung ihrer Mitglieder gekümmert. Das heißt, die Gemeinschaft war trotz der geringen Zahl ihrer Mitglieder sehr produktiv. So sind zum Beispiel viele literarische Werke in dieser Kirche entstanden. Die Kralitzer Bibel etwa ist ein schönes Beispiel dafür, dass auch eine kleine Glaubensgemeinschaft ein großes Werk schaffen kann.“

Jiří Just  (Foto: Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenchaften)
Der Buchdruck war im 16. Jahrhundert eine noch recht junge Erfindung. In Böhmen und Mähren gab es in jener Zeit etwa zwanzig bis dreißig Druckereien, sagt Jiří Just:

„Die Angelegenheit war nicht einfach. Jede Druckerei, die etwas herausgegeben und drucken wollte, musste eine Bewilligung vom Landesherrn haben. Denn damals galt eine strenge Zensur. Das aber war für die Brüder-Unität nicht möglich: Sie konnte als kleine protestantische Kirche niemals an solch eine Erlaubnis für den Druck gelangen. Die Kralitzer Bibel war daher keine offizielle Ausgabe. Offizielle Ausgaben in Böhmen waren die so genannten Melantrichschen Bibeln. Das waren Bibeln, die von Jiří Melantrich und Daniel Adam von Veleslavín in Prag gedruckt wurden. Der Druck der Brüder-Unität war eher eine heimliche, keine offizielle, erlaubte Bibel-Ausgabe.“

Kralitzer Bibel  (Foto: Jana Šustová)
Trotzdem hat sich die Kralitzer Bibel relativ schnell verbreitet:

„Ja, das ging ziemlich schnell. Die Übersetzung war sehr beliebt, nicht nur in der Brüder-Unität, sondern auch unter den Utraquisten. Die Übersetzung war so gut und die Sprache war so schnell, dass die Kralitzer Bibel sehr schnell eine große Beliebtheit genoss.“

Die Auflage lag damals aber nur bei einigen tausend Exemplaren:

„Die Unität wollte eine eigene Bibelübersetzung haben, also eine Übersetzung, geschaffen von ihren eigenen Gelehrten und Geistlichen. Die erste Ausgabe, die so genannte sechsteilige Bibel, war eigentlich nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt, sondern eben für die Geistlichen. Und zwar nicht nur als Bibeltext, sondern auch als Hilfsmittel für die Vorbereitung des Gottesdienstes. Deswegen ist die erste Ausgabe mit einem ziemlich großen Kommentar versehen. Dann hat sich bald gezeigt, dass die neue Übersetzung sprachlich eine gute Qualität aufweist, und die Unität hat sich entschieden, die Kralitzer Bibel in einer größeren Auflage neu herauszugeben. Die erste Ausgabe wurde etwa in 1000 Exemplaren gedruckt, bei der zweiten und dritten Ausgabe haben die Brüder mit 2000 oder 3000 Exemplaren gerechnet.“

Kralitzer Bibel  (Foto: Jana Šustová)
Allerdings konnte sich damals nicht jeder ein Buch leisten.

„Man sagt, dass gedruckte Bücher viel billiger als handschriftliche Bücher waren. Das stimmt zwar, aber dennoch waren gedruckte Bücher damals nicht so billig wie heute. Die Kralitzer Bibel zum Beispiel konnte sich nur die Mittelschicht leisten konnten. Die letzte Ausgabe der Kralitzer Bibel aus dem Jahre 1613 kostete damals zwischen drei und vier Schock Groschen. Das entsprach etwa dem Jahreslohn eines Helfers auf einem landwirtschaftlichen Hof oder eines Handwerkerhelfers in der Stadt. Es war also doch ziemlich viel Geld.“

Kralice nad Oslavou  (Foto: Google Street View)
Die Kralitzer Bibel trägt den Namen des kleinen mährischen Dorfes Kralice / Kralitz, denn dort wurde sie gedruckt. Warum eben in Kralice, erklärt Jiří Just:

„Die Brüder-Unität hatte seit 1562 eine eigene Druckerei in der mährischen Stadt Ivančice / Eibenschütz. Nach einigen Jahren verschlechterten sich die dortigen Bedingungen, weil der Bischof von Olmützer auch in Mähren eine strenge Zensur durchsetzen wollte. Die Brüder hatten daher Angst, dass die Druckerei bedroht ist, und verlegten sie aus der Stadt Eibenschütz ins Dorf Kralice nad Oslavou. Der Grund für diese Wahl war, dass Kralice damals zur Herrschaft Náměšť nad Oslavou / Namiest gehörte. Ihr Besitzer war Johann der Ältere von Žerotin, ein mächtiger Adeliger und eine einflussreiche Person im politischen Leben Mährens. Unter seinem Schutz konnte die Druckerei ungestörter arbeiten als in Eibenschütz.“

Ruine der Kralitzer Festung,  wo die Brüderdruckerei gegründet wurde  (Foto: palickap,  Wikimedia CC BY 3.0)
Die Druckerei in Kralice war ziemlich klein im Vergleich mit anderen Druckereien, zum Beispiel mit jenen in Prag, denn die Brüder konnten sich einen großen Betrieb schlicht nicht leisten. Sie betrieben nur eine Buchbinderpresse, an der nicht mehr als fünf Personen arbeiteten.

„Die ganze Arbeit hat deswegen umso länger gedauert. Die erste Ausgabe wurde fünfzehn Jahre lang gedruckt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Gruppe der Übersetzer parallel zur Druckarbeit am Text gearbeitet hat. Aber auch bei späteren Ausgaben, 1596 und 1613, hat es zwei Jahre gedauert, bis die ganze Auflage gedruckt war.“

Kralitzer Bibel  (Foto: Archiv der Nationalbibliothek)
Bereits mehrfach wurde davon gesprochen, dass die Übersetzung der Bibel eine sehr hohe Qualität hatte. Dies bezieht sich aber nicht nur auf eine bestmögliche Genauigkeit, sondern auch auf die literarische Qualität:

„Die Brüder haben für die Kralitzer Bibel nach ihrem humanistischen Weltbild die höchste Ebene der literarischen Sprache gewählt. Nach Meinung der Brüder musste die Bibel in einer schönen Sprache übersetzt werden. Und das ist gelungen. Wenn man die Kralitzer Bibel mit der Bibel-Übersetzung von Martin Luther vergleicht, erkennt man, dass die Sprache der Kralitzer Bibel eine ganz andere ist, als die Übersetzung von Luther. Denn Luther hat seinen Text für die große Masse geschaffen.“

Kralitzer Bibel  (Foto: Jana Šustová)
Die Kralitzer Bibel war nicht nur in ihrer Entstehungszeit von großer Bedeutung. Sie vor allem später auch die Formierung und Entwicklung der tschechischen Standardsprache wesentlich beeinflusst:

„Die Bedeutung der Kralitzer Bibel für die tschechische Literatur hat sich erst im 18. und 19. Jahrhundert ergeben. In der Zeit der nationalen Wiedergeburt, als man an Grundprinzipien der tschechischen Sprache arbeitete, diente die Sprache der Kralitzer Bibel als Vorlage, als ein Mustertext. In diesem Sinne hatte die Kralitzer Bibel einen tiefen Einfluss auf die tschechische Sprache im 18. und insbesondere im 19. Jahrhundert.“

Pietisten
Dabei war nicht nur die ursprüngliche Ausgabe aus dem 17. Jahrhundert maßgebend, sondern auch spätere Ausgaben. Sie mussten allerdings bereits im Exil erscheinen, da die nichtkatholischen Kirchen in Böhmen und Mähren nach 1620 verfolgt wurden.

„Eigentlich nahmen alle Geistlichen der Brüder-Unität die Bibel mit ins Exil, es war das erste Buch, dass sie einpackten. Daher befinden sich viele Exemplare jetzt in Bibliotheken in Deutschland, Polen, Ungarn und weiteren Ländern. Hier muss man erwähnen, dass es im 18. Jahrhundert vor allem die Zentren des deutschen Pietismus waren, in denen die Kralitzer Bibel vervielfältigt wurde. In Halle war eine Gruppe lutherischer Pietisten tätig, die sich sehr für das Werk von Johann Amos Comenius interessierten und auch die Kralitzer Bibel neu herausgeben wollten. Diese Neuausgabe wurde in Halle mehrmals realisiert. Dabei wurde zwar auch am Text gearbeitet, die redaktionellen Eingriffe waren aber nicht so tiefgreifend, wie bei früheren Redaktionsarbeiten. Trotzdem erschienen im 18. Jahrhundert mehrere Ausgaben der Kralitzer Bibel. Das ist wichtig, nicht nur für die Exilgemeinden, sondern später auch für die geheimen, nicht-katholischen Gemeinden in Böhmen und Mähren. Es waren eigentlich jene Bibelausgaben aus dem 18. Jahrhundert, die dann die tschechische Sprache so stark beeinflusst haben.“

Relativ viele Exemplare der ursprünglichen Kralitzer Bibel sind bis heute erhalten geblieben  (Foto: Archiv der Nationalbibliothek)
Trotz der Verfolgung der nicht-katholischen Glaubensgemeinschaften nach 1620 sind relativ viele Exemplare der ursprünglichen Kralitzer Bibel bis heute erhalten geblieben.

„Das ist sehr bemerkenswert, denn nach der Kralitzer Bibel wurde während der so genannten Rekatholisierung von jesuitischen Missionaren sehr intensiv gefahndet. Viele Bände wurden vernichtet, viele weitere verbrannt. Trotzdem blieben bis in unsere Zeit mehrere hundert Exemplare in verschiedenen Bibliotheken in Tschechien und in Mitteleuropa erhalten. In der Tschechischen Republik sind heute mehr als fünfzig Exemplare von der wichtigen, letzten Originalausgabe von 1613 belegt. Im gesamteuropäischen Bereich lässt sich die Zahl der Exemplare dieser letzten Originalausgabe auf mehr als einhundert schätzen.“

Evangelischer Gottesdienst  (Foto: YouTube)
Tatsächlich wurde die Kralitzer Bibel in evangelischen Kirchen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch ganz normal, im alltäglichen Gottesdienst genutzt.

„Die Nutzung der Kralitzer Bibel auch beim Gottesdienst hat erst nach der Entstehung der neuen ökumenischen Bibel-Übersetzung ein Ende genommen. Die Kralitzer Bibel dient noch heute als ein beliebter Alternativtext. Und ab und zu auch als liturgischer Text beim Gottesdienst.“