Wie sehen die Tschechen die Stellung ihres Landes in der internationalen Gemeinschaft?

Wie in einen Spiegel blickt man auf die Ergebnisse verschiedenster Untersuchungen der öffentlichen Meinung, und man erhält dabei ein Bild von seinen Mitbürgern, von seiner Nation, von sich selbst. Die neueste Untersuchung des tschechischen Meinungsforschungszentrums STEM, die um die Jahreswende durchgeführt wurde, war der Stellung Tschechiens in der internationalen Gemeinschaft gewidmet. Fühlen sich die Tschechen als deren vollwertige Mitglieder? Wie entwickelt sich ihr Verhältnis zu anderen Ländern? Wie sieht ihre Beziehung zur EU aus? Antworten, die die Untersuchung geboten hat, finden Sie im nun folgenden Schauplatz. Am Mikrophon sind Gerald Schubert und Markéta Maurová.

Die Tschechen sind eine selbstbewusste Nation, die der Welt etwas anzubieten hat, und es liegt nur an ihnen selbst, ob sie sich auch durchsetzen. - Länder wie Tschechien werden immer eine untergeordnete Rolle spielen, und sollten sie auch noch so viel dagegen tun. Etwa zu gleichen Teilen sind diese beiden Meinungen in der tschechischen Bevölkerung verbreitet, wobei die optimistische leicht überwiegt. Worin die Menschen in diesem Zusammenhang einen Ausweg erblicken, dazu meinte Vera Haberlova vom Meinungsforschungszentrum STEM:

"Die Bürger sind sich darin einig, dass die tschechische Stellung in der Welt durch die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen verbessert werden kann. Neben der Kultur führen sie die EU- und Nato-Mitgliedschaft als Möglichkeiten für die Verbesserung ihrer internationalen Position an."

In Bezug auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union konnte das Zentrum im Dezember letzten Jahres zum ersten Mal eine nicht mehr hypothetische, sondern eine bereits konkrete Frage stellen. Das Parlament hat nämlich das Gesetz über das Referendum zum EU-Beitritt verabschiedet, das Mitte Juni stattfinden soll. 63 Prozent der Bürger würden daran teilnehmen, 7 % wollen dies nicht tun, 30 % haben sich bisher nicht entschieden. Und wie sieht es mit der Zustimmung und Ablehnung des EU-Beitritts konkret aus? Jitka Uhrova vom STEM dazu:

"Es lässt sich beobachten, dass bei der Haltung zum EU-Beitritt im Laufe der Zeit keine dramatischen Änderungen oder Schwankungen vorkommen. Es ist eindeutig, dass die Befürworter gegenüber den Gegnern überwiegen: für den Beitritt äußern sich 47 %, dagegen 19 %. Stabil ist auch die Gruppe der bisher Unentschiedenen, die etwa ein Drittel der Befragten ausmachen."

Die Zustimmung bzw. Ablehnung muss sich auf gewisse Motive und Aspekte gründen. Was ist für die Tschechen in dieser Hinsicht entscheidend? Davon spricht der Meinungsforschungszentrumsdirektor, Jan Hartl:

"Die wesentlichste Motivation der Bürger im Verhältnis zur Europäischen Union stellen heute wirtschaftliche Aspekte dar, und zwar sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne des Wortes. Der wirtschaftliche Blick auf die EU ist einerseits eine Quelle der Hoffnungen, anderseits Quelle der Befürchtungen. Der Großteil der Bürger glaubt, dass die Europäische Union unserem Land Prosperität und ihnen persönlich ein höheres Lebensniveau bringt. Es gibt aber auch eine Gruppe, die meint, dass die EU zwar unserem Land langfristige Prosperität, ihnen persönlich jedoch Probleme, sogar eine Senkung ihres Lebensstandards bringen wird. Und etwa ein Viertel der Bewohner sieht beide Aspekte negativ."

Die wirtschaftlichen Aspekte stellen also die primäre Motivation dar. Erst an zweiter Stelle steht eine auf den ersten Blick weniger anschauliche Motivation, und zwar eine indirekte Einwirkung der Europäischen Union auf Normen, Standards und übliche Praktiken in unserer Gesellschaft:

"Die Leute stellen sich vor, die Europäische Union führt bei uns einen Druck der heute geltenden westeuropäischen Normen ein, der zu einer konsequenteren Umsetzung des Rechts, zu effektiveren öffentlichen Dienstleistungen, zur Verbesserung des Schul- und Gesundheitswesens, zur Erhöhung des Ausbildungsniveaus und sogar zu einem effektiveren System der staatlichen Administration, der Haushaltsdisziplin usw. beitragen wird."

Analytiker, Publizisten und politische Kommentatoren schreiben häufig davon, dass die tschechische Öffentlichkeit ziemlich wenig an internationaler Politik interessiert ist. Die Tschechen sind meistens keine begeisterten Anhänger des Engagements ihres Landes im Ausland. Doch diese Tendenz zum Isolationismus und Provinzialismus bedeutet nicht, dass man alles, was hinter der tschechischen Grenze passiert, ignoriert. Im Gegenteil: Jedes Land hat im Bewusstsein der Tschechen eine klar definierte Stellung. Diese knüpft an historische Traditionen und Überlieferungen an, erlebt jedoch in letzter Zeit auch Wandlungen. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass sich das Verhältnis der Tschechen zu anderen Ländern in letzter Zeit verbessert hat. Dies betrifft vor allem die Beziehung zur Slowakei, aber auch zu Polen und Ungarn. Jan Hartl:

"Wir überwinden wahrscheinlich eine Periode der Verschlossenheit, oder haben sie bereits überwunden. Wenn wir uns an den Anfang der 90er Jahre erinnern, damals überwog das Gefühl einer Ausschließlichkeit, die Konzentration auf uns selbst. Wir haben uns an Übersee, an die Vereinigten Staaten geheftet und unsere Nachbarn nicht so sehr zur Kenntnis genommen. Wohl in der Vermutung, dass wir ein Tiger der Transformation sind, dass wir alles allein schaffen - dies war in einigen Bevölkerungsschichten und letztendlich auch in der politischen Elite bemerkbar. Nun zeigt sich, dass sich unser Verhältnis zu den umliegenden Ländern stufenweise verbessert. Was sehr positiv ist, das ist ein Zuwachs der positiven Einschätzung Polens und Ungarns. Und ein riesiger Fortschritt - im Vergleich zum Jahre 1994 - ist vor allem im Verhältnis zur Slowakei zu sehen."

Die Slowakei, Schweden, Kanada, Holland, Frankreich, Spanien, Italien, Polen Dänemark, Belgien. Soweit die Reihenfolge auf den ersten zehn Plätzen der Popularität bei den Tschechen. Eine Verbesserung gibt es auch im Verhältnis zu Deutschland. Wie ist dies aber in der Gegenrichtung? Es ist auch interessant zu beobachten, gegenüber welchen Ländern sich die Beziehung abgekühlt hat. Dies ist bei Österreich der Fall, und zwar als Folge der diplomatischen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Diese hat sich dennoch in der Bevölkerung nicht so stark ausgedrückt, wie in der Politik. In stärkerem Maße ist die Popularität der USA gesunken, die früher eine ganz prominente Rolle spielten.

"In diesem Fall ist nicht die Abkühlung in der letzten Zeit, die nicht so erheblich ist, sondern die prominente Stellung Amerikas Anfang der 90er Jahre interessant. Diese war ganz außerordentlich. Die Art und Weise der schnellen Amerikanisierung unseres Lebens ist bis heute Gegenstand der Kommentare in westeuropäischen Ländern, denn das war ein überraschendes Phänomen."

Einige Länder stellen für die Tschechen jedoch keine Partner, sondern Quellen von Befürchtungen dar. In letzter Zeit kam es dabei zu einer wesentlichen Verschiebung. Vera Habelrova:

"Es ist ziemlich interessant, weil diese Ergebnisse zeigen, wie schnell die Leute unter dem Eindruck neuer Ereignisse vergessen. Dies kann man an der Meinung darüber sehen, welche militärische Gefahr Afghanistan für uns bedeutet. Noch im November 2001 war fast die Hälfte der Bürger der Meinung, dass dies eine große Gefahr darstellt. Im November letzten Jahres war es nun noch ein Zehntel. Die Angst hat sich auf den Irak verschoben."

Soweit, liebe Hörerinnen und Hörer, unser Blick in die Vorstellungen und Ansichten der tschechischen Bürger und in deren Verhältnis zu anderen Völkern, Staaten und Gemeinschaften der Welt. Aus dem Studio verabschieden sich von Ihnen Gerald Schubert und Markéta Maurová.