Wildzuwachs im Böhmerwald: Hirschbestand nimmt zu – Wolfspärchen ausgesetzt

Foto: ČT24

Der tschechische Böhmerwald (Šumava) gehört mit den als Nationalpark und Landschaftsschutzgebiet ausgewiesenen 167.688 Hektar Fläche zu den größten Wald-Naturschutzgebieten in Mitteleuropa. Als charakteristisches Mittelgebirge beheimatet er bis heute vor allem typische mitteleuropäische Waldtierarten. Es fehlen hier die erst im 19. Jahrhundert durch den Menschen ausgerotteten Raubtiere Bär und Wolf sowie die seit dem Mittelalter verschwundenen großen Huftiere Wisent und Elch. Bei Wolf und Elch aber könnte sich dieser Tatbestand schon recht bald ändern. Die größeren Huftierarten, vor allem Rotwild, werden aufgrund der fehlenden Feinde weidmännisch bewirtschaftet. Doch auch bei ihnen zeichnen sich ganz neue Entwicklungen ab.

Böhmerwald  (Foto: David Rožníček)
Das morgendliche Röhren der Hirsche ist heutzutage wieder öfter zu hören im Böhmerwald. Ihr Bestand hat sich nämlich gerade in den zurückliegenden Monaten stark vermehrt. Wurden hier vor zwei Jahren noch weniger als 1000 Exemplare gezählt, so ergab die letzte Zählung der Paarhufer fast 1300 Tiere. Dazu haben auch die zuletzt recht milden Winter beigetragen:

„Das Hirschwild zeigt sich im Winter schon fast nicht mehr in den niedriger gelegenen Partien des Böhmerwald-Vorgebirges“, erläutert der Leiter des Referats zur Pflege der Ökosysteme im Nationalpark Böhmerwald, Jan Kozel.

Jiří Kec  (Foto: Štěpán Rosenkranz,  Archiv des Nationalpark Böhmerwalds
Im Böhmerwald selbst aber kann man ein größeres Hirschrudel gerade im Winter auch in einem nicht so hoch gelegenen Gebiet bewundern. Genauer gesagt im Gehege Beranka nahe des Ortes Srní / Rehberg. Dort haben die Mitarbeiter des Nationalparks eine große Futterstelle für Hirsche geschaffen, von der diese in der kargen Jahreszeit reichlich Gebrauch machen. Jiří Kec ist einer der Beschäftigten des Nationalparks:

„In den zurückliegenden zwei Jahren haben die relativ milden Winter stets dafür gesorgt, dass sehr viele Tiere hierher zum Fressen kommen. Selbst wenn in den oberen Regionen des Böhmerwalds eine Menge Schnee liegt, schafft es das Wild immer wieder, bis zum Gehege vorzudringen. Sonst wären die Hirsche nicht hier.“

Foto: ČT24
Und sie kommen immer häufiger in großer Zahl. Nicht selten sind bis zu 150 Hirschbullen und -kühe im Gehege, um sich an dem bereitgestellten Mahl zu laben. Dass das Rotwild stets reichlich zu Fressen hat, dafür sorgen auch einige der Besucher, die ständig zum Gehege kommen. Diese Tierliebhaber bekommen ihre Fürsorge aber mittlerweile auch zurückgezahlt. Denn die Mitarbeiter des Nationalparks haben das Zutrauen der Hirsche in diesen Ort genutzt und ein Blockhaus mit Blick auf die Futterstelle gebaut. Das Häuschen ist großflächig verglast und bietet den Besuchern die Möglichkeit, die Tiere unbemerkt bei ihrer Mahlzeit zu beobachten. Zu dieser Beobachtungsstelle kamen auch in diesem Winter wöchentlich im Schnitt 100 Besucher. Mehr sind es deshalb nicht, weil das Blockhaus nur maximal 20 Plätze bietet. Während des Zuschauens müssen sich die Besucher jedoch absolut still verhalten, um das scheue Wild nicht zu verschrecken. Das aber wissen die Tierliebhaber, und werden dafür entsprechend belohnt.

Foto: ČT24
„So viele Tiere auf einem Haufen haben wir noch nicht gesehen. Dieser Anblick gefällt uns sehr“, sagt der Gatte eines Ehepaares.

Und eine weitere Besucherin ergänzt: „Ich habe das Gehege schon einmal besucht, doch auch diesmal ist die Beobachtung der Tiere sehr schön gewesen.“

Unter den prächtigen Hirschen, die man hier bestaunen kann, ist zumeist auch ein Sechzehnender, der bereits den Namen „König des Böhmerwalds“ trägt. Neben der Tier-Beobachtungsstelle in Srní gibt es übrigens noch zwei weitere im Böhmerwald, sie befinden sich unweit der Gemeinden Nová Pec / Neuofen und Borová Lada / Ferchenhaid. Aber damit nicht genug. Die Mitarbeiter des Nationalparks wollen in diesem Jahr noch zwei Blockhäuser zur Tierbeobachtung errichten – doch dazu später mehr.

Schutzfolie  (Foto: ČT24)
Die ziemlich rasche Vermehrung der Hirsche im Böhmerwald hat nämlich auch ihre Schattenseite: Die Tiere knabbern nicht selten die noch saftigen jungen Bäume an, was der Forstwirtschaft sehr schadet. Deshalb müsse man entsprechend reagieren, sagt Förster Jiří Vomáčka:

„Mit einer Schutzmaßnahme minimieren wir die Schäden. Die Maßnahme besteht darin, dass wir den Stamm der Bäume, die wir erhalten wollen, mit einer Schutzfolie umwickeln.“

Pavel Hubený  (Foto: ČT24)
Eine zweite Maßnahme ist die Jagd. Wegen der sprunghaften Zunahme des Rotwildbestands hat die Verwaltung des Nationalparks die Abschussquote für Hirsche bereits erhöht. Im Vergleich zum Vorjahr sollen die Förster in dieser Jagdsaison fast 100 Tiere mehr töten. Ihre Arbeit würde geringer sein, wenn die Hirsche und Rehe des Böhmerwalds noch einen wirklich natürlichen Feind hätten – den Wolf. Dazu erläutert der Direktor der Verwaltung des Nationalparks, Pavel Hubený:

„Wenn wir in unserer Gegend ein typisches Wolfsrudel hätten, dann würden die Wölfe rund Dreiviertel dessen erjagen, was unsere Förster abschießen.“

Tereza Mináriková  (Foto: Matěj Pálka,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Doch es besteht Hoffnung, dass dieser Fall schon bald eintritt. Mit Hilfe einer Fotofalle wurde nämlich erst vor kurzem ein frei lebender Wolf ganz in der Nähe der Lipno-Talsperre gesichtet. Dass dieser Wolf tatsächlich in freier Wildbahn lebt, bestätigt die Managerin der Tierschutzorganisation Alka Wildlife, Tereza Mináriková:

„Die Tatsache, dass kein Tierhalter oder auch größerer Züchter aus der Region einen Wolf vermisst, haben wir überprüft. Es fehlt wirklich keiner der in Gefangenschaft gehaltenen Wölfe. Und dass der im Foto festgehaltene Wolf ein wild lebendes Tier ist, lässt sich auch aus dessen Körperbau ableiten. Uns stehen zwei Fotos zur Verfügung, je eines von der linken und der rechten Seite des Wolfes. Diese Fotos haben wir einer Reihe von Experten aus Tschechien, Bayern, Sachsen und Italien gezeigt, und alle diese Experten sind sich einig: Es ist ein wilder Wolf.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Noch aber scheint es sich bei dem per Foto erfassten Wolf um einen Einzelgänger zu handeln, der durch mitteleuropäische Wälder streunt und eher zufällig im Böhmerwald gesichtet wurde. Im Rahmen ihres Projektes Trans-Lynx hat Alka Wildlife nämlich im Böhmerwald und den angrenzenden Gebieten gleich mehrere Fotofallen aufgestellt, um den Luchs zu beobachten, merkt Tereza Mináriková an:

„Wir hätten das sicher bereits festgestellt, wenn sich Wölfe dauerhaft im Böhmerwald angesiedelt hätten. Und zwar gerade mit Hilfe der Fotofalle, wie es uns jetzt gelungen ist.“

Foto: ČT24
Dennoch bleibt Mináriková optimistisch, dass der wilde Wolf schon recht bald wieder in Mitteleuropa sesshaft werden könnte. Das bezeugten auch jüngere Berichte aus Bayern und Österreich, sagt die Tierschützerin:

Im südlichen Teil Bayerns und im österreichischen Weinviertel hat man unlängst auch zwei Fotografien eines, wie es scheint, wilden, umherstreunenden Wolfes geschossen. Es sieht so aus, als wenn sich die Wölfe hier allmählich ausbreiten würden. Andererseits muss man auch sagen, dass von einer dauerhaften Population oder einem sesshaften Rudel noch lange nicht die Rede sein kann.“

Kokořínsko  (Foto: Barbora Kmentová)
Auf der anderen Seite bahnt sich in einer anderen Region der Tschechischen Republik inzwischen an, dass sich eine ganze Wolfsfamilie dort niederlässt. Die Rede ist von der waldreichen Region zwischen dem Mácha-See und dem Landschaftsschutzgebiet Kokořínsko im nördlichen Mittelböhmen. Dort wurde vor genau einem Jahr in der Nähe von Česká Lípa / Böhmisch Leipa der erste wilde Wolf nach 100 Jahren in Böhmen entdeckt. Auch hier konnten Umweltschützer mittels einer Fotofalle eine Aufnahme des scheuen Jägers machen. Und nur ein gutes Vierteljahr später, in den Sommermonaten Juli und August, haben weitere Fotofallen bei Doksy / Hirschberg mehrfach bereits eine kleine Wolfsfamilie ausgemacht – ein Jäger der Region soll kurz danach mindestens vier Wolfsjunge gesehen haben.

Vielleicht war es gerade dieses motivierende Beispiel, dass die Mitarbeiter des Nationalparks Böhmerwald nun auch dazu bewogen hat, in ihrem Reservat für eine dauerhafte Rückkehr des Wolfs sorgen zu wollen. Sie haben ein spezielles Projekt vorbereitet, von dem sie sich erhoffen, schon bald ein kleines Wolfsrudel präsentieren zu können. Dazu haben sie sich vor kurzem ein Wolfspaar aus der Gefangenschaft besorgt: die vierjährige Wölfin Pandora aus dem deutschen Lohberg, die schon die dritte Generation an Jungen aufzieht, und einen zweijährigen Wolf aus dem Pilsener Zoo. Der stellvertretende Direktor des Nationalparks, Miloš Juha:

Miloš Juha  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Das Projekt wird erst zum Ende des Sommers hin beendet, doch wir wollten gleich zu dessen Beginn eine kleine Wolfsfamilie im Böhmerwald haben. Deshalb haben wir ein Pärchen ausgesucht, das sich gerade jetzt begegnen muss, denn es ist die Paarungszeit der Wölfe. Daher hoffen wir, im späten Frühjahr schon den Nachwuchs des Paares präsentieren zu können.“

Und im Herbst darf die kleine Wolfsfamilie dann bereits von Besuchern bestaunt werden. In einem neuen Gehege, auch bei Srní, haben die Naturschützer nämlich einen vier Hektar großen Auslauf für die Wölfe geschaffen, den man aus luftiger Höhe beobachten kann. Miloš Juha:

Foto: ČT24
„Zirka vier Meter über dem Wolfsgehege wird ein 250 Meter langer Steg führen, der in den Baumkronen mehrerer Bäume verankert ist. Und die Umzäunung des Geheges ist derart gestaltet, dass sie aus der Sicht des Beobachters unsichtbar erscheint. Mit anderen Worten: Der Besucher wird das Gefühl haben, durch die freie Natur zu gehen und dabei Wölfe beobachten zu können.“

Neben dem Hacken eines Spechts oder dem Röhren der Hirsche werden die Bewohner und Gäste des Böhmerwalds also schon in absehbarer Zeit auch das Heulen der Wölfe hören können.

Möglicherweise läuft bei diesem Geheule nun dem einen oder anderen bereits wieder ein kalter Schauer über den Rücken, nur wenn er daran denkt, in seiner unmittelbaren Umgebung auch bald wieder auf Wölfe zu treffen. Und auch das Märchen vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf scheint nun wahr zu werden. Aber muss man vor dem grauen Zotteltier wirklich Angst haben? Tereza Mináriková:

„Auf keinen Fall. Der Wolf ist ein sehr scheues Tier und meidet den Menschen. Es besteht also kein Grund ihn zu fürchten, ja ich denke, es wird eher kaum die Möglichkeit bestehen, ihm zu begegnen.“

Und übrigens, auch der Luchs und der Elch wurden schon im Böhmerwald gesichtet. Eine Begegnung mit diesen Tieren ist eventuell etwas unangenehmer.

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