Wird die Redewendung "tschechische Verhältnisse" bald als Synonym für eine lang anhaltende politische Krise gebraucht werden?

Von links: Vojtech Filip (KSCM), Mirek Topolanek (ODS), Miroslav Kalousek (KDU-CSL), Martin Bursik (Grünen) (Foto: CTK)

Beim politischen Patt in Tschechien ist kein Ende in Sicht. Die großen Parteien und ihre Spitzenvertreter verharren auf ihren bisherigen Positionen. Zudem scheint ihr Verhältnis in den vergangenen Tagen einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben, indem sie sich weiteren Gesprächen verweigern.

Von links: Vojtech Filip  (KSCM),  Mirek Topolanek  (ODS),  Miroslav Kalousek  (KDU-CSL),  Martin Bursik  (Grünen)  (Foto: CTK)
Wenn in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in dem einen oder anderen europäischen Land eine politische Krise ausgebrochen ist und sich die Parteien über mehrere Monate gegenseitig in Regierung und Parlament blockierten und allgemeines Chaos das politische Tagesgeschehen beherrschte, bemühte man oft das Bonmot von so genannten "italienischen Verhältnissen". Das Land im Süden Europas galt lange Zeit als Inbegriff der politischen Instabilität. Doch die Zeiten ändern sich. Italien hat im Frühjahr dieses Jahres den politischen Wechsel relativ schnell vollzogen und somit auch die üblichen Klischees widerlegt.

Ganz anders in Tschechien. Hierzulande ist auch sieben Wochen nach den Parlamentswahlen nicht nur völlig ungewiss, wer das Land künftig regieren wird, sondern auch wer als neuer Parlamentsvorsitzender in Zukunft einen der höchsten Posten im Staat einnimmt. Wird also angesichts der gegenwärtigen politischen Krise in Tschechien, die auch im Ausland immer stärker auf Unverständnis stößt, bald die Rede von "tschechischen Verhältnissen" sein?

Neben dem oft zitierten Patt auf Grund des Mandatsgleichstands zwischen linken und bürgerlichen Parteien, den die Wahlen vom Anfang Juni mit sich brachten, ließ sich in den letzten Tagen nämlich vor allem noch eine Tendenz feststellen: ein Hang zur Gesprächsverweigerung. So erklärte zum Beispiel der formelle Wahlsieger, der Chef der rechtsliberalen Bürgerdemokraten Mirek Topolanek, er werde nach drei erfolglosen Sitzungen kein weiteres Treffen der Vorsitzenden der fünf Parlamentsparteien einberufen, da keine Ergebnisse zu erwarten wären. Auch die letzte Sitzung des Abgeordnetenhauses, wo eigentlich wieder ein Versuch unternommen werden sollte, einen neuen Parlamentschef zu wählen, wurde mangels Kandidaten nach nur zwanzig Minuten wieder vertagt.

Die Lage scheint also komplizierter denn je zu sein. Wie könnte man aber die besagte Krise doch noch überwinden? Das fragten wir den Politikwissenschaftler Zdenek Zboril vom Prager Institut für internationale Beziehungen:

"Ich denke, dass die Politiker aller Richtungen sich in erster Linie beruhigen und ihre hysterische Verhaltensweise bei Seite legen müssen. Genauso wichtig ist es auch, dass sie aufhören sich gegenseitig zu beschuldigen. Die Gründe, warum die Verhandlungen über eine neue Regierung ins Stocken geraten sind, sind bekannt. Es wurde versucht eine Regierung und Koalition zu installieren, ohne dass aber vorher Einigkeit bei der Besetzung der Parlamentsinstitutionen geherrscht hätte. Da hätte man im Vorfeld testen können, wie kompromissbereit die einzelnen Parteien sind. Es macht jetzt aber wenig Sinn zurück zu blicken. Ein möglicher Lösungsansatz wäre, dass die beteiligten Parteien nun verstärkt versuchen könnten eine Einigung auf programmatischer Ebene zu finden. Die Parteien haben zwar schon bis jetzt immer wieder betont, eine programmatische Übereinstimmung anstreben zu wollen, doch in Wahrheit waren das alles Tarnmanöver, die verbergen sollten, dass einzig und allein Personalfragen im Vordergrund stehen. Jüngste Meldungen, wonach in der ODS ernsthaft überlegt wird einen Sonderparteitag einzuberufen, könnten signalisieren, dass sich die festgefahrenen Gespräche doch irgendwie von der Stelle bewegen könnten. Wir wissen nicht, ob das ein programmatisches Treffen wäre, oder ob dort über die Spitzenfunktionen in den Parteien diskutiert werden würde, aber dennoch müsste daraus irgendeine Stellungnahme zur gegenwärtigen Lage hervorgehen."

Die wichtigste Konfliktlinie dieser Wochen und Tage verläuft zwischen den Chefs der beiden stärksten Parteien des Landes - Mirek Topolanek von den rechtsliberalen Bürgerdemokraten und Jiri Paroubek von den Sozialdemokraten. Beide Politiker schieben sich öffentlichkeitswirksam gegenseitig die Schuld zu und versuchen mit ihren Aussagen auch die Wähler in ihrem Sinne zu beeinflussen - schließlich können vorgezogenen Neuwahlen im Herbst nicht ausgeschlossen werden. Wer von den beiden Hauptakteuren der letzten Wochen macht eine bessere Figur, bzw. wer wird seiner Rolle - entweder als Wahlsieger, oder Wahlverlierer - besser gerecht? Mirek Topolanek, oder Jiri Paroubek? Zdenek Zboril versucht hier eine Bewertung zu unternehmen:

"Ich würde sogar sagen, dass sich beide Politiker völlig gleich verhalten. Der ehemalige Abgeordnete der Freiheitsunion, der evangelische Pfarrer Svatopluk Karasek schrieb dieser Tage einen schönen Text, in dem er Topolanek und Paroubek als die Herren "Patt" und "Matt" bezeichnete. Während Topolanek davon ausgeht, dass er die Schachpartie gewonnen hat und seinem Gegenüber in ein Matt versetzen kann, sieht Paroubek die Partie bei einem Patt, also einem Gleichstand angekommen. Der Autor des Textes meint, dass die beiden Herren lediglich den erreichten Zustand beschreiben, aber keine Lösungen vorschlagen. Abgesehen von der ersten Reaktion auf das Wahlergebnis, schien mir Paroubek in den letzten Wochen geschickter zu agieren, weil er mit seinem Verhandlungsstil auf ideologische Gesichtspunkte verzichtet und lösungsorientiert ist. Topolanek muss aber die ganze Ideologie seiner Partei mitschleppen, was ihm die notwendige Flexibilität nimmt. Das macht alle anderen Vereinbarungen unmöglich - wie etwa bei der Frage des Staatshaushalts für das nächste Jahr. Hier muss es also eine sehr pragmatische, das heißt unideologische Verhaltensweise geben."

Präsident Vaclav Klaus  (links) mit Premier Jiri Paroubek  (Foto: CTK)
Verfolgt man den Streit der beiden großen Parteien, wird man leicht an das geflügelte Sprichwort "wenn zwei sich streiten, lacht der Dritte" erinnert. Denn den unreformierten tschechischen Kommunisten ist es in den vergangenen Tagen gelungen mit einigen scheinbar konstruktiven Lösungsvorschlägen auf sich aufmerksam zu machen. Lässt sich dahinter eine durchdachte Strategie vermuten? Oder handelt es sich lediglich um den Versuch bei dem jetzt stattfindenden Schlagabtausch zwischen den beiden großen, also den Bürgerdemokraten und den Sozialdemokraten nicht unterzugehen? Hören Sie abschließend noch einmal die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Zdenek Zboril vom Prager Institut für internationale Beziehungen:

"Ich denke, dass es ihnen sehr schnell gelungen ist ihre schwache Position auszunutzen, und zwar vor allem deshalb, weil die Kommunisten in den letzten Monaten stets an den Pranger gestellt wurden. Mit anderen Worten: Die Kommunisten sind in einer Lage, in der jeder ihrer Vorschläge angesichts der insgesamt verfahrenen Situation als konstruktiv bezeichnet werden kann. Es ist fast schon egal, welche Initiative dabei herauskommt. Weil die anderen Parteien in ihren politischen Gräben verharren, gelang es den Kommunisten dadurch eine gewisse Dynamik zu entwickeln, und somit den Eindruck eines absoluten Stillstandes zu entschärfen. Ich habe natürlich meine Zweifel darüber, wie ernst diese kommunistischen Vorschläge gemeint sind. Aber die Kommunisten sind dadurch in die Rolle von faktischen Moderatoren geschlüpft. Auf der einen Seite wollen die Sozialdemokraten keinen Millimeter von ihrer bisherigen Haltung abrücken und lehnen es ab, eine bürgerliche Drei-Parteien-Regierung zu tolerieren, auf der anderen Seite sprechen die Bürgerdemokraten faktisch nicht nur für sich selber, sondern auch im Namen ihrer beiden Partner, der Christdemokraten und Grünen. Die Rolle der dritten Kraft, oder wenn Sie wollen, des Züngleins an der Waage, bleibt also den Kommunisten vorbehalten."