Zarte Gedichte und lauter Rap: deutsch-tschechischer Poetry-Slam in Usti

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Lyrik - da denkt man an Gymnasiallehrer, die in literarischen Kleinstadtzirkeln ihre lahmen Gedichte vortragen. Aber es gibt auch viel lebendigere Dichter: Sie schleudern ihrem Publikum Wortfetzen um die Ohren und das Publikum ruft dazwischen, lacht und trinkt, bestraft Langeweile mit Unaufmerksamkeit. Klar, es handelt sich um einen Poetry-Slam. Die Dichter sprechen deutsch und tschechisch: Wir befinden uns auf dem deutsch-tschechischen Poetry-Slam in Usti nad Labem / Aussig an der Elbe.

Männer und Frauen sind sich gleich

Frauen und Männer - auch.

In einer genderkorrekten Welt leben wir alle

gelten als beste Vorbilder unseren Kindern.

Früher: die Männer waren oft besoffen

und alle Arbeit machten nur die Frauen.

Jetzt: alle trinken ohne Vorurteile zusammen

und es arbeiten - nur noch die Türken.

A na pochodech za rasovy cistky,

pokojne hajlujou i zensky - extremistky.

Zweisprachig und provokant eröffnete Vladimir Vacatko den Poetry-Slam, der bereits zum dritten Mal im Club Circus vom Collegium Bohemicum Usti veranstaltet worden ist. In Vladimir Vacatkos eigener deutscher Übersetzung der "Genderkorrekten Welt" verzichtete er auf die Zeile "auch Rechtsextremistinnen schreien Heil Hitler", da deutsche Zuschauer diesen Humor wohl nicht verstehen könnten, wie er mir sagte. Bei einem Poetry-Slam wählt das Publikum eigentlich einen Sieger, einen Dichterkönig aus. Wenn die Dichter jedoch zwei Sprachen sprechen, lässt sich schwer entscheiden, wer denn nun der Beste war. Und es wäre nicht ganz gerecht zugegangen, denn Vladimir Vacatko hatte den großen Vorteil, in beiden Sprachen auftreten zu können. Der Hamburger Slam-Poetin Xochill Schütz fiel es dagegen schwer, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Dabei ging es in ihrem Text sogar um den Ort des Geschehens: Usti nad Labem. "Hallo! Ich freu mich hier zu sein. Wer versteht denn kein Deutsch? Das versteht jetzt hier keiner, was? Macht nichts, ich fange an:

Vor der Stadt stehen Felsenriesen aus Schiefer.

In der Luft neben Schornsteinen steht ein Vogel,

im Regen steigt weißer Dampf in den Himmel,

ein Zimmermann steht im zerbrochenen Fenster.

Lehm und Backsteine atmen Schimmel,

Efeu und Laubwald und Pappeln leuchten,

Fabriken blicken hinauf zu den Gipfeln,

wo dunkle Berge die Träume beschützen; sie stehen.

Gott trägt das Wasser der Flüsse durchs Gras. Das Grüne blickt still zu den Stelzen hin,

auf denen die Autobahn steht, das Licht.

Rückwärts und Vorwärts spannen ein Zelt,

das das Jetzt schützt, verlegen.

Das Jetzt ist ein Vogel. Er steht. Regen.

Die Zuschauer reagierten ziemlich ungehalten und bestellten lieber neue Getränke. Ob sie über die angeblich schimmligen Wände in Usti empört waren? Xochill Schütz machte die unterschiedlichen Gepflogenheiten deutscher und tschechischer Poetry-Slams für die Reaktion der Zuschauer verantwortlich:

"Ich habe ganz selten so ein lautes Publikum erlebt. Ich habe zwar gemerkt, dass die Leute vorne sehr aufmerksam zugehört haben und aufgeschlossen geguckt haben. Deshalb habe ich mir gesagt: Es lohnt sich schon, du musst jetzt nicht abhauen. Mich stört es nicht bei lustigen Geschichten, die ich auch manchmal mache, aber bei Poesie, die ja auch zart ist, stört es schon. Ich finde es spannend, dass die Tschechen so temperamentvoll waren und habe mich dann gleich gefragt: Ist das tschechische Volk vielleicht temperamentvoller als das deutsche Volk? In Deutschland sind Poetry-Slams viel zivilisierter, weil es sie schon so lange gibt. Das Publikum ist viel ruhiger, hört besser zu. Dem Publikum in Deutschland ist diese Demokratie, dass man beim Slammen laut sein darf, nicht mehr so wichtig. Die wollen einfach zuhören. Hier hatte ich das Gefühl, dass die Zuhörer es toll finden, dass es eine Lesung ist, bei der man laut sein darf."

Spontan entschloss sich eine Zuschauerin, die tschechische Übersetzung der deutschen Texte, die auf den Tischen auslag, laut vorzulesen. Bei einem Poetry-Slam kommt es aber nicht nur auf den Inhalt der Texte an. Mindestens genauso wichtig ist die Performance: Körpersprache und Rhythmus sind wichtiger Bestandteil des Gedichts. Bei einer Übersetzung geht dieser Aspekt verloren, so Martin Vasquez, Moderator des Slams in Usti und selbst Slam-Meister der Improvisation:

"Ich finde es toll, wenn sich deutsche und tschechische Dichter - oder Dichter aus verschiedenen Ländern überhaupt - so wie hier treffen. Problematisch wird es, wenn man die Texte übersetzt. Es verliert sich der Rhythmus, der Kontakt zu den Leuten, das ist heute leider manchmal passiert. Das ist eine Frage für die Zukunft: Wie können wir es schaffen, dass die Leute die Texte verstehen, ohne dass man die ganze Veranstaltung mit Übersetzungen in die Länge ziehen muss."

Ein absoluter Kontrast zu den leisen Tönen der Xochill Schütz war die Darbietung des tschechischen Slammers Bucek, laut eigener Aussage im normalen Leben "Büroratte". Breitbeinig bestieg er die Bühne, in einer Hand das Mikro, in der anderen ein Glas Rum und begann zu rappen. Auf seinen Pilsener Lokalpatriotismus und schweinische Texte reagierte das Publikum eher mäßig begeistert. Aber schließlich ist beim Poetry-Slam alles erlaubt, was mit Stimme und Körper möglich ist.

"Wenn man deutsche und tschechische Poetry-Slams besucht, fallen einem sofort einige Unterschiede auf: In Deutschland lauscht das Publikum andächtig der Poesie. In Tschechien siegt derjenige, der am lautesten schreit. Und damit meine ich auch mich selbst, denn so habe ich den nationalen Poetry-Slam letztes Jahr gewonnen. Dafür sind tschechische Slams viel spontaner. Gerade wegen dieser Unterschiede ist es für mich interessant, so wie heute mit deutschen Slammern zusammenzuarbeiten."

Und dass diese Zusammenarbeit von Dichtern unterschiedlicher Sprachen funktionieren kann, bewiesen Vladimir Vacatko und Frank Klötgen. Sie traten kurzentschlossen gemeinsam auf und zwar zum großen Erstaunen des Publikums zunächst in vertauschten Rollen. Dabei spricht Frank Klötgen eigentlich gar kein Tschechisch:

"Ahoj! Vzadu v obili. Kdyz kosim obili, tak... Wir probieren es lieber auf Deutsch. Mein Gedicht ist eine landwirtschaftliche Schauerballade. Wie sagt man auf Tschechisch landwirtschaftliche Schauerballade? Über die skandinavische Bedrohung. Wie sagt man skandinavische Bedrohung?"

Vzadu v obili - Hinten im Korn

Auf Halmhöh' von Malmö

Wenn ich das Korn mäh', dann mäh' ich es vorn

Denn hinten im Korn, da mäh' ich nicht gern

Da habe ich Frau und Kind verlor'n. Hinten im Korn

Frank Klötgen und Vladimir Vacatko erklärten einstimmig, sich köstlich amüsiert zu haben und planten gar eine deutsch-tschechische Poetry-Slam-Tour. Während Vladimir Vacatko erklärte, den Slam als ganz persönliche Deutschstunde betrachtet zu haben, bedeutete der Auftritt für Frank Klötgen eine schwierige Herausforderung an seine Slam-Kunst:

"Ich bin schon ein paar Mal im Ausland aufgetreten. Aber das waren immer solche inszenierten Veranstaltungen im Theater, wo ein sehr gesetztes Kulturpublikum zuhörte. Hier heute im Club aufzutreten war eine ganz andere Sache, weil ich mir viel mehr als sonst beim Slammen überlegen musste, wie ich auf der Bühne wirke, wie ich den Text visualisieren kann. Denn die Leute verstehen die Sprache ja nicht. Es hapert ja nicht nur daran, dass die Texte deutsch sind. Wenn man einen deutschen Text schreibt, schreibt man ihn mit sehr viel Hintergrundwissen. Es gibt Sprachspielereien, die in keiner anderen Sprache aufgehen und deshalb auch nicht beim Publikum ankommen. Da überlegt man natürlich: wie stelle ich es an, dass die Leute in den fünf Minuten keine Langeweile verspüren."

Die Veranstalterin des Poetry-Slams, Frauke Wetzel vom Collegium Bohemicum in Usti, überlegt bereits, wie sich das Übersetzungsproblem beim 4. Poetry-Slam nächstes Jahr anders lösen lässt. Für sie war es jedoch ein großer Erfolg, tatsächlich persönliche Kontakte zwischen den Dichtern vermittelt zu haben. Denn schließlich ist der deutsch-tschechische kulturelle Austausch eines der Hauptanliegen des Kulturzentrums Collegium Bohemicum.