Zdena Koubková / Zdeněk Koubek – die Leichtathletik-Rekordlerin, die ihr Geschlecht wechselte
Anfang der 1930er Jahre mischte sie die internationale Leichtathletikszene auf: Zdena Koubková gewann Titel bei den Women´s World Games und erzielte mehrere Weltrekorde. Kurze Zeit später war sie aber von der Bühne verschwunden. Sie hatte sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und war nun Zdeněk Koubek. Die sportlichen Leistungen als Frau wurden daraufhin aus den Listen gestrichen.
Der Sporthistoriker Pavel Kovář hat sich mit dem Schicksal von Zdena Koubková respektive Zdeněk Koubek beschäftigt. Vor wenigen Jahren veröffentlichte er darüber ein Buch mit dem Titel „Příběh české rekordwoman“ (Geschichte einer tschechischen Rekordfrau). Im Untertitel heißt es: „Die Hintergründe des größten Sportskandals der Ersten Republik“. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte Pavel Kovář vor kurzem:
„Sie hat sich auf unglaubliche Weise in die sportlichen Annalen eingeschrieben. Das aber nur für sehr kurze Zeit, es waren gerade einmal zwei bis drei Jahre. Und zwar stellte sie zunächst einen Weltrekord im 1000-Meter-Lauf auf und dann zweimal auch über 800 Meter.“
Rekorde ohne spezielles Training
Geboren wird Zdena Koubková im Dezember 1913 in einer kleinen schlesischen Stadt nahe der Grenze zu Polen. Sie kommt aus einer armen katholischen Familie vom Lande. Ihr Vater ist Kutscher und später Chauffeur. Als Teenager schließt Zdena sich dem Orel (Adler) an, einer katholischen Jugendsportgruppe in der Stadt Brno / Brünn. Dort nimmt sie es im Wettkampf selbst mit den Jungs auf.
„Wie sie zur Leichtathletik kam, hat Zdena Koubková selbst nie so richtig erklären können. Sie war es eben gewohnt, auch gegen Jungs zu laufen oder mit ihnen Fußball zu spielen. Da es im Orel eine Leichtathletikabteilung gab und eine Aschenbahn, begann sie zu laufen und zu springen wie eine Athletin. Und das sehr erfolgreich, denn ohne spezialisiertes Training erbrachte sie absolute Spitzenleistungen“, so Kovář.
Doch in Brünn machen unter den Leichtathletinnen bald die ersten Verleumdungen die Runde. Es heißt, Zdena Koubková sei dem dortigen Klub nur beigetreten, um einen attraktiven Mann kennenzulernen. Schon bald aber erhält sie das Angebot, zum Universitätssportklub nach Prag zu wechseln. Dies sei der größte Leichtathletikverein in der Ersten Tschechoslowakischen Republik gewesen, so Kovář:
„Zdena hatte dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass sie im Sommer 1933 bei den Masaryk-Spielen eine Weltrekordhalterin besiegte. Deswegen wurde sie eingeladen, in die Hauptstadt zu wechseln. Dort wohnte sie im Palais ‚Maraton‘, dem Sitz des Universitätssportklubs Prag. Zugleich wurde sie für die Sicherung ihrer Existenz als Trainerin engagiert, ohne dass sie aber in diesem Bereich ausgebildet war. Das war zwar absurd. Aber sie nahm das Angebot an, da der Frauensport vorangebracht werden sollte und sie mit ihren Leistungen ein leuchtendes Vorbild war, sodass weitere Mädchen ihr nacheifern wollten. Und sie hatte damit auch Erfolg.“
Zweifel an ihrer Erscheinung als Frau kommen jedoch schon bald auch in der tschechoslowakischen Hauptstadt auf. Zdena Koubková selbst ist in dieser Rolle zunehmend verunsichert. Sie fühlt sich einfach irgendwie anders…
„Das begann damit, dass sie nicht in die Damen-Umkleidekabine gehen wollte. Ich bin bei meinen Recherchen auf Ergebnisse einer späteren sexuologischen Untersuchung gestoßen, nach denen sie zum Beispiel auch keine Menstruation hatte. Das wusste aber zu dem Zeitpunkt nur sie. In Prag wurde bereits getuschelt, dass Zdena vielleicht nicht ganz eine Frau sei. Dazu trug bei, wie leidenschaftlich sie mit den Leichtathleten zusammen Fußball spielte. Sie war dabei ziemlich grob, faulte und schoss Tore. Zugleich hatte sie großen Spaß daran. All das trug zum Getuschel bei“, schildert der Sporthistoriker.
Zugleich legt sie eine wahnsinnige Karriere als Leichtathletin hin. 1934 gewinnt Zdena Koubková gleich fünf tschechoslowakische Titel: im 100-, 200- und 800-Meter-Lauf sowie im Weit- und Hochsprung. Im Juni des Jahres stellt sie ihren ersten Weltrekord auf: Die 800 Meter läuft sie in 2:16,4 Minuten. Der heute gültige Weltrekord stammt übrigens ebenfalls von einer Tschechin, und zwar von Jarmila Kratochvílová (1:53,28 Minuten).
Im August 1934 finden in London dann die Women´s World Games statt. Dort verbessert die „Wonderwoman“ aus der Tschechoslowakei ihren 800-Meter-Weltrekord auf 2:12,4 Minuten. Außerdem wird sie beim Weitsprung Dritte im neuen nationalen Rekord von 5,70 Metern. Es folgen Weltrekorde zusammen mit der tschechoslowakischen 4x100-Meter-Frauen-Staffel.
Während der Spiele schreibt ein britischer Journalist, dass einige Frauen in den Wettbewerben besser in Hosen, als in Röcken aufgehoben wären. Dabei erwähnt er auch Zdena Koubková. Ansonsten singt die Presse aber Hymnen auf diese Wunderathletin.
Rekorde und Selbstzweifel
Währenddessen deutet sich allerdings der Sportskandal immer mehr an. Befeuert wird dies durch einen Roman über die Leichtathletin, der 1935 erscheint. Die Autorin ist Lída Merlínová. Sie stilisiert Koubková als moderne weibliche Heldin – und das auf sehr absurde Weise, wie der Sporthistoriker Kovář erläutert:
„Koubková tritt als wagemutige junge Frau auf, die zum Beispiel ihre Bewunderer zum Ringkampf herausfordert und sie im wahrsten Sinne des Wortes auf die Matte legt. Oder sie boxt gegen sie. Im Ganzen gibt sie sich fröhlich, als ob nichts dabei sei. Ich verstehe, dass die Leichtathleten in Prag nach der Veröffentlichung des Buches verärgert waren. Zdena Koubková wurde so dargestellt, wie sie sie gar nicht kannten. Das war nicht sonderlich geschickt von Merlínová, aber die Autorin hatte eben emanzipatorische Absichten.“
Zdena Koubková ringt immer schwerer mit sich. Laut Pavel Kovář träumt sie von einer festen Beziehung. Zwar fühlt sie sich verpflichtet, einen Mann zu lieben, spürt innerlich aber, dass sie dies nicht kann.
Das Buch bringt das Fass zum Überlaufen. Koubková wird gezwungen, aus dem Universitätssportklub auszutreten. Dies löst eine Kettenreaktion bei ihr aus. Schon vorher hat sie es selbst zunehmend als unfair empfunden, mit ihrem vergleichsweise muskulösen Körperbau gegen Frauen weiter Wettkämpfe zu bestreiten.
„Sie hatte aber niemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Die Zeit war sehr prüde, und Sexuelles war damals tabuisiert. Aus Verzweiflung ging sie zu einem Arzt und schilderte ihm ihre Probleme. Deswegen wurde eine Untersuchung durchgeführt, bei der herauskam, dass sie wirklich ein Hermaphrodit ist, also männliche und weibliche Genitalien hat. Sie begann daraufhin zunächst mit einer hormonellen Behandlung, und letztlich wurde bei einem chirurgischen Eingriff ihr Geschlecht geändert. Sogar in den Zeitungen wurde damals im Ton des Boulevards darüber geschrieben. Sie stellte sich dem aber äußerst tapfer. Aus eigener Initiative wandte sie sich an einen seriösen Journalisten und gab ihm ein Interview. Das war für sie eine große Erleichterung“, so Kovář.
Weltweit berichtet die Presse über den Fall. Am 9. Dezember 1935 bringt die Zeitung „Der Morgen“ aus Wien auf Seite sechs einen langen Bericht. Unter dem Titel „Fall Koubková – Mysterium der Geschlechter“ heißt es dort unter anderem:
„Das Aussehen der Koubková schien kaum auf eine Frau zu deuten: Jünglingshaft, schlank, hart und derb in den Gesichtszügen, eckig und männlich in den Bewegungen, vor allem in ihrem Laufstil. Auch sonst war manches merkwürdig an dieser Sportlerin. Sie vermied es, sich mit ihren Geschlechtsgenossinnen in der gemeinsamen Kabine zu entkleiden, sie kam immer bereits im Trainingsanzug auf den Sportplatz.“
Der Beitrag plädiert letztlich für Geschlechtsprüfungen im Sport. Im Fall von Zdena Koubková ist das aber damals nicht mehr nötig. Im März 1936 lässt sie sich operieren. Nun ist sie ein er und heißt Zdeněk Koubek. Behördlich dauert die Anerkennung aber länger. Das heißt, Koubek muss erst einmal eine Erlaubnis beantragen, dass nicht nur sein Geschlecht im Ausweis geändert wird, sondern er zum Beispiel auch einen Männeranzug tragen darf. Als das letztlich klappt, muss er sich eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen. Denn Zdeněk Koubek hat zusammen mit dem Sport sein finanzielles Auskommen verloren. Kovář berichtet weiter:
„Er wurde in der Motorradfabrik Jawa im Prager Stadtteil Nusle angestellt, fuhr auch selbst eine Maschine. Er genoss es wirklich, nun ein Mann zu sein. Zugleich schlichen Veranstaltungsmanager um ihn herum und wollten an Zdeněk Koubek verdienen. Sie sprachen daher eine Tournee durch Großbritannien und die Vereinigten Staaten ab. Er sollte dem Vertrag nach Vorträge über sein Schicksal halten. Das war jedoch ein unlauterer Handel, denn er konnte kein Englisch. Und so wurde er wie ein Zirkusbär vorgeführt. Das Geld brauchte Zdeněk Koubek aber, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können.“
Glücklich als Mann
Und das gelingt letztlich auch. Zdeněk Koubek ist technisch begabt, selbst ohne entsprechende Ausbildung. Das hilft. Außerdem verliebt er sich bald in eine junge Frau aus der Slowakei. Sie heiraten während des Krieges. Später wechselt Koubek in einem Bürojob, laut Kovář sogar in eines der zentralen Ministerien in Prag. Und sportlich? Als Mann wird die frühere Leichtathletin zum Rugby-Spieler in Říčany am Rand der tschechischen Hauptstadt, dort sitzt damals einer der besten Rugby-Klubs des Landes. Dabei ist Zdeněk Koubek laut den Recherchen von Kovář sogar offen gegenüber seinen Mitspielern:
„Eines Tages hat er auf lockere Art seinen Mitspielern in der Kabine von seinem Schicksal erzählt. Dabei sagte er, dass man ihn als Kind wie ein Mädchen angezogen und gezwungen habe, von sich in weiblicher Form zu reden. Daher sei er bis zum Alter von 22 Jahren zu Hause als Mädchen angesehen worden. Und mit diesem Problem habe er in seinem gesamten vorangegangenen Leben kämpfen müssen.“
Was aber passierte mit den Rekorden, die Zdena Koubková aufgestellt hatte?
„Sie wurden gelöscht. Und das ist auch richtig so, denn er war wirklich damals keine Frau gewesen. Allerdings ist die gesamte Geschichte von Zdena Koubková respektive Zdeněk Koubek von der Sport-Historiographie nie erfasst worden. Erst mit meinem Buch „Geschichte einer tschechischen Rekordfrau“ erinnere ich heute daran. Zdena Koubková hat sich sehr fair verhalten. Und deswegen hätte sie es verdient, in memoriam die Fairplay-Medaille des tschechischen Sports zu erhalten.“
Zdeněk Koubek starb 1986 in Prag. Seine Rekorde als Frau wurden bereits 1942 aus den Annalen gestrichen.