Zeitzeuge: Nie werde ich Kriegspein und Zerstörung vergessen, aber ich will keine Rache

Dresden, 1945 (Foto: CTK)
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Wir schreiben das Jahr 2005 - fast 60 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Es ist die Zeit, in der wir uns aus den verschiedensten Anlässen heraus die Greueltaten des Naziregimes und die ihnen folgenden nicht minder heftigen Gegenreaktionen wieder vor Augen halten, an die dabei entstandene Pein und Schmach erinnern und der unzähligen Toten dieses Krieges gedenken. Einen solchen Anlass bot erst neulich der 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Lothar Martin war für Radio Prag bei den Gedenkveranstaltungen in der wieder auferstandenen Elbestadt dabei. Hier sein Bericht:

Hofkirche,  1945  (Foto: CTK)
Vieles gäbe es über das Erinnern an das furchtbare Ereignis vom 13./14. Februar 1945 zu berichten - wie die Dresdner seit Jahr und Tag der rund 35.000 Toten der verheerenden Bombennacht in würdevoller Stille gedenken; wie aufkommende Rechtsextremisten immer mehr versuchen, sich dieses Gedenktages zu bemächtigen und ihn für ihre revanchistische Propaganda zu missbrauchen -, doch das alles haben die internationalen Medien längst getan. Mir besonders ins Auge gefallen war vielmehr ein aus diesem Anlass heraus zum ersten Male durchgeführtes Internationales Kolloquium, veranstaltet vom Dresdner Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit weiteren deutschen und jüdischen Organisationen, die dem Neofaschismus und dessen Wurzeln seit Jahren entgegentreten. Das Kolloquium stellte sich das Ziel, damit zu beginnen, der Erinnerungskultur in Dresden durch eine internationale Horizonterweiterung eine zukunftsorientierte Gestaltung zu geben. Mit anderen Worten: Durch die bewusst gesuchte internationale Betrachtung zu dieser Tragödie, verkörpert in mehreren in- und ausländischen Sichtweisen, wollte man den Versuch starten, die leidvollen Ereignisse der noch relativ nahen Vergangenheit so in die Wahrnehmung der heutigen jungen Generation zu transportieren, dass sie nicht aus dem geschichtlichen Zusammenhang gerissen, sondern als warnendes Negativbeispiel verinnerlicht werden. Dazu trugen die Begegnungen von internationalen Zeitzeugen mit Jugendlichen aus mehreren europäischen Ländern fraglos bei. Einer dieser Zeitzeugen war und ist der tschechische Jude Michal Salomonovic, der als Vertreter der Jüdischen Gemeinde Ostrava zum Kolloquium eingeladen war. Daher konnten junge Menschen erfahren, wie es dem ehemaligen KZ-Häftling und Zwangsarbeiter während der Bombennacht in Dresden ergangen ist. Als Zwölf- bis Dreizehnjähriger musste er nämlich in einer als Zigarettenfabrik getarnten Dresdner Munitionsfabrik die ihm aufgezwungenen Arbeiten verrichten. Seine Erinnerungen an diese Zeit und die Bombardierung Dresdens schilderte er so:

Dresden,  1945  (Foto: CTK)
"Also ich habe immer Hunger gehabt. Ich habe Durst gehabt, es war kalt draußen. Wir waren nicht froh darüber, dass die Bomben gefallen sind. Ich habe gezittert, ja sogar gestottert nach dem Bombenangriff. Ich war ziemlich nervös und hatte ein regelrechtes Zucken in den Augen. Aber ich musste weiter gehen und weiter arbeiten, denn man sagte immer: ´Weiter, weiter, weitermachen!´ Wir sind zum Beispiel auf die Straße gegangen und haben dort aufgeräumt, haben Ziegel und andere Steine zusammengetragen. Zu den deutschen Fachleuten, zum Meister zum Beispiel, haben wir ein sehr korrektes Verhältnis gehabt. Die SS-Leute und Aufseherinnen hingegen waren ziemlich schlimm. Also ich kann nicht sagen, dass wir uns gefreut haben, aber die deutschen Nazis und vor allem die SS-Leute wussten, dass es für sie schlecht ist, wenn sich die Front nähert. Denn das bedeutete, es wird dazu kommen, dass der Krieg bald zu Ende sein wird. Und das war wiederum unsere Hoffnung: Der Krieg wird zu Ende gehen!"

Gefragt danach, ob bzw. inwieweit er denjenigen verziehen habe, die ihn ins KZ und zur späteren Zwangsarbeit gebracht haben, antwortete Salomonovic:

Auf dem Friedhof Heide  (Foto: CTK)
"Ich glaube, ich habe diese Frage nie gelöst, denn sie hat sich mir auch nicht gestellt. Ich will nicht vergessen, aber ich will auch keine Rache. Denn das hat keinen Sinn! Glücklicherweise ist mir bisher noch nie ein ehemaliger SS-Mann begegnet, und ich habe mir auch nicht gemerkt, wer das alles war. Ich war aber sehr froh, als man dann mit den Kriegsverbrechern vor Gericht gegangen ist. Und vor dem Gericht hat man ihnen bewiesen, dass sie sich persönlich daran beteiligt haben, Mörder gewesen zu sein. So sind dann zum Beispiel Adolf Eichmann und andere Nazis beim Nürnberger Prozess oder beim Prozess in Auschwitz von einem normalen Gericht verurteilt worden."

Leider war am 13. Februar in Dresden auch das menschenverachtende Gedankengut der Alt-Nazis zu hören und dessen hässliche Fratze in Gestalt von meist jungen deutschen Neonazis zu sehen, als sie unter Polizeibegleitung durch die Innenstadt marschierten. Michal Salomonovic, der den Weg der Versöhnung längst beschritten hat, weiß vor dem Wiederaufleben lassen der bösen Geister der Vergangenheit jedoch eindringlich zu warnen:

Auf dem Friedhof Heide  (Foto: CTK)
"Wenn jemand wählt und sagt, ich gehe zur NPD, dann ist das zunächst seine Sache. Dann aber sollten ihn die Deutschen von seiner schlechten Wahl überzeugen, so wie wir das in der Tschechischen Republik tun. Wir versuchen zum Beispiel diejenigen unserer Bürger, die den Friedhof mit Hakenkreuzen beschmieren, zu finden und zu verurteilen, damit sie ihn wieder renovieren oder damit sie eine Strafe bezahlen. Außerdem gehen wir zu den Schülern und Studenten und erklären ihnen, dass solche Aktionen blödsinnig und dumm sind. Denn das Hakenkreuz ist ein Symbol der Faschisten, und die haben das, und das und das (Negative) getan. Daher sollte man es nicht erlauben, sie zu verherrlichen und ihre Symbole hervor zu streichen. Wir haben in Tschechien eine sehr große Mehrheit, die gegen die Verbreitung des faschistischen Gedankens und seiner Symbolik ist. Und es gibt zudem Leute, die auf den Friedhof kommen, um zu helfen, alles wieder in Ordnung zu bringen."