Ziel Frankfurt: Tschechien legt erste Etappe auf der Reise zur Buchmesse 2026 zurück
Tschechien wird Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse 2026 sein. Unter dem Motto „Ein Land an der Küste“, das auf William Shakespeare zurückgeht, will man tschechische Bücher als Teil des Weltozeans der Literatur darbieten. Rund 80 Autorinnen und Autoren sollen Tschechien in Frankfurt vertreten, wobei die Voraussetzung für die Auswahl ein auf Deutsch veröffentlichtes Werk ist. Der Gastauftritt betrifft aber nicht nur die eine Woche im Oktober 2026, sondern ihr geht ein „Jahr der tschechischen Kultur“ voraus. Dabei sollen die tschechische Literatur, aber auch Film, Musik und Theater dem deutschsprachigen Publikum näher gebracht werden. Die Vorbereitungen laufen auf vollen Touren und wurden in der vergangenen Woche in Prag präsentiert. Markéta Kachlíková bat bei diesem Anlass zwei wichtige Personen vors Mikrophon: Martin Krafl leitet das Tschechische Literaturzentrum, das mit der Vorbereitung des Programms beauftragt wurde, und Simone Bühler ist für das Ehrengast-Programm bei der Frankfurter Buchmesse zuständig.
Frau Bühler, im Herbst 2023 wurde offiziell bekannt gegeben, dass Tschechien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2026 sein wird. Sie sind Leiterin des Ehrengast-Programms bei der Buchmesse. Was ist inzwischen passiert?
„Das ist eine spannende Frage. Man denkt sich natürlich erst einmal: Ok, warum startet denn die Vorbereitung für einen Auftritt, der letztendlich fünf Tage dauert, schon so früh? Die Geschichte ist eigentlich die, dass sehr viel an Aktivitäten dahinter steckt. Es wird ein Programm vorbereitet, das mit übersetzter Literatur, mit tschechischen Autoren in Übersetzung, mit einem Kulturfestival in der Stadt Frankfurt verbunden ist. Um ein Buch zu übersetzen, den richtigen Verleger in Deutschland zu finden, braucht es Zeit. Und diese Zeit ist jetzt bisher von den tschechischen Organisatoren und Verantwortlichen für den Ehrengastauftritt sehr gut genutzt worden. Es gab viele Treffen, Informationsveranstaltungen für die Verlage, es gab Treffen mit den Kulturinstitutionen bereits in Frankfurt, und man spricht über Kooperation.“
Und was ist Ihre Rolle in dieser Vorbereitungsphase?
„Meine Rolle und die meines Teams bei der Frankfurter Buchmesse ist, dass wir sehr eng mit den Organisatoren zusammenarbeiten und sie in den verschiedenen Schritten in diesem Projekt begleiten und beraten. Wir stellen die Kontakte her, wir geben auch Informationen darüber, wie das Projekt in seinem Ablauf gut aufgesetzt werden kann, und wir machen ganz viel Networking.“
Sie haben sicher seit dem Herbst 2023 schon viele Male Tschechien besucht. Was für ein Land ist es nun für Sie, auch literarisch betrachtet?
„Für mich ist das ein Land, das sich sehr lohnt zu entdecken. Und ich freue mich auch auf Neuentdeckungen und neue Stimmen, neue Übersetzungen im Hinblick auf 2026.“
Spielerisch und mit richtigem Augenzwinkern
Was würden Sie den Organisatoren aus Tschechien und den Teilnehmern aus Tschechien empfehlen, um ein erfolgreiches Gastlandprogramm vorzubereiten? Was ist wichtig, damit das Programm ein Echo findet?
„Das Wort Echo ist ein sehr schönes Wort, das oft im Zusammenhang mit Tschechien fällt. Unsere Empfehlung ist vor allem, diese Zeit für diesen großen Auftritt, der sehr viel Aufmerksamkeit hat, zu nutzen – um in der deutschen und in der internationalen Verlagsöffentlichkeit, aber auch in der deutschen Öffentlichkeit neue Partner und neue Freunde zu finden. Ich bin mir auch sicher, dass die tschechische Präsentation auf sehr viel Sympathie stoßen wird. Eine sehr schöne Sache wäre sicherlich – weil ich glaube, das kann man hier sehr gut –, das richtige Augenzwinkern dabei zu haben und mit den Themen, mit der Präsentation auch spielerisch umzugehen. Und ich glaube, die Vorbereitungen sind schon auf einem sehr guten Weg dahin.“
Spielerisch klingt eigentlich auch das Motto des Gastlandauftritts, und zwar ‚Tschechien, ein Land an der Küste‘, das auf ein Theaterstück von William Shakespeare zurückgeht. Wie verstehen Sie dieses Motto? Was kann man unter diesem Leitfaden gestalten?
„Ich glaube, es ist genau das: Man nimmt einen letztendlich nicht ganz realen Punkt und geht damit spielerisch um. Und ich glaube, es wird sehr viele Wellen, sehr viele Küsten, sehr viele Anlegeorte, Schiffe und Ahojs in diesem Programm geben. Und das ist das, worauf wir uns alle freuen können.“
Herr Krafl, im Herbst 2023 wurde offiziell und feierlich bekanntgegeben, dass Tschechien Ehrengast bei der Frankfurter Buchmesse 2026 ist. Inzwischen sind wir ein paar Schritte weiter, heute haben Sie schon etwas zum Programm verraten. Wie ist also der aktuelle Stand der Dinge?
„Sagen wir, dass wir die letzten Monate, und das war länger als ein Jahr, mit einem Dialog verbracht haben. Ich bin für das Programm zuständig, und mir war sehr wichtig, Kulturinstitutionen in Deutschland, besonders in Hessen, aber natürlich auch in der Schweiz sowie in Österreich zu kontaktieren und unser Projekt vorzustellen. Und mir war ebenso wichtig, einen Dialog zu entwickeln. Also nicht konkrete Ausstellungen, konkrete literarische Werke oder konkrete Filme anzubieten, sondern zu erfahren, was man eigentlich von der gegenwärtigen Lage in der Tschechischen Republik weiß, welche Künstler, welche Schriftsteller, welche Filmregisseure, welche Musiker man kennt. So soll ein Dialog entstehen, der dann zu dem konkreten Programm führt. Wir haben etwa zehn Kulturinstitutionen in Frankfurt am Main und in Hessen entdeckt, und ich bin sehr froh, dass wir sie an Bord haben.“
Was haben Sie während dieses Dialogs, von dem Sie sprechen, erfahren? Wie bekannt ist die tschechische Literatur beziehungsweise die tschechische Kultur bei den deutschen oder deutschsprachigen Kulturmenschen?
„Ja, das war eine Enttäuschung. Ich bin einer, der lange in allen drei deutschsprachigen Ländern – in Deutschland, Österreich und der Schweiz – gelebt hat. In der Schweiz war ich schon daran gewöhnt: Je weiter entfernt man von der EU-Grenze ist, desto weniger weiß man über Tschechien. In Hessen war es ähnlich, und das hat mich wirklich überrascht. Da hätte ich gedacht, dass einige Namen der Literatur bekannt sind. Leider wurden meist Milan Kundera, Jaroslav Hašek mit dem Schwejk und Václav Havel erwähnt, und dann folgte eine lange Pause. Das hat mir und meinem Team gezeigt, dass wir riesiges Potenzial haben.
Liegt Tschechien am Meer?
Immer wenn ich mit jemandem über das Czechia-Projekt spreche und ‚Tschechien, ein Land an der Küste‘ sage, sehe ich überraschte Gesichter.
Da sie tatsächlich nicht so viel über uns wissen, fangen sie nicht sofort an zu lachen, sondern müssen sehr schnell nachdenken, ob Tschechien eine Küste hat. Und das macht mir Spaß, denn zwei Minuten lang sind sie irritiert, und schon das weckt das Interesse. Wir haben also viel zu tun, aber ich hoffe, dass wir einen Weg finden, um das heutige Tschechien vorzustellen. Aber dazu muss man auch sagen, dass man die Klischees nicht vergessen sollte. Wir müssen schon zeigen, dass wir mehr als Biene Maja oder Schwejk haben, andererseits werden die Deutschen oder Hessen irritiert sein, wenn sich nirgendwo in einer kleinen Form die Biene Maja findet.“
Das Team des Tschechischen Literaturzentrums hat mehrere Einrichtungen angesprochen und über Ausstellungen berichtet, die in Planung sind…
„Eine davon sollte sich dem Werk und dem Leben von Božena Němcová widmen. Höchstwahrscheinlich ist jetzt den Zuhörern klar, dass wir an die weiblichen Stimmen der tschechischen Literatur denken. Und da sehe ich zwei interessante Linien. Die eine ist, dass wir fragen: Gibt es eigentlich eine weibliche Literatur? Die zweite Linie führt direkt zu einem Klischee: Deutsche und natürlich auch Hessen kennen das Märchen ‚Drei Nüsse für Aschenbrödel‘ sehr gut. Und wenn man irgendwo die Frage stellt, wie alt dieses Märchen denn sei, dann kommt die Antwort: Aus den 1970ern, da wurde der Film gedreht. Aber fast niemand weiß, dass dieser Film auf einem Märchen von Božena Němcová basiert und dass das Märchen an sich fast 200 Jahre alt ist. Da sehen Sie also, wie wir arbeiten wollen.“
Im Rahmen eines Kulturfestivals, das das ganze Jahr 2026 über dauert und der Messe selbst vorausgeht, wird die tschechische Kultur vorgestellt. Wie soll dieses Festival aussehen?
ZUM THEMA
„Unser ‚Jahr der tschechischen Kultur‘, das in der Schweiz, in Österreich sowie in Deutschland stattfindet, wird sogar 14 Monate haben. Es fängt mit der Staffelstabübergabe der Philippinen im Oktober 2025 an. Wir werden diesen Staffelstab von den Philippinen, dem Gastland 2025, auf der Frankfurter Buchmesse bekommen. Und wir möchten den deutschsprachigen Raum mit verschiedenen literarischen Veranstaltungen, aber auch Filmen, Theaterprojektionen, Debatten und Wörtern füllen. Der dramaturgische Beirat des Projekts hat einige Ideen, die die Mährische Landesbibliothek und das Tschechische Literaturzentrum verwirklichen sollen. Dazu kommt aber auch ein Ausschreiben, ein Open Call: Wir möchten die Kulturinstitutionen, aber auch Verlage, Übersetzer und sogar die Autoren bitten, bei uns einen Antrag zu stellen und Ideen für die Veranstaltungen zu diesem Slogan ‚Ein Land an der Küste‘ vorzuschlagen. Es sollte also ein breites, sehr interessantes Programm sein.“
Verbunden
-
Tschechische Bücher, die Sie lesen müssen
Radio Prag International startet eine große Serie zur tschechischen Literatur. Darin wollen wir Ihnen Bücher vorstellen, die Sie auf jeden Fall gelesen haben müssen.