Zlín: Nicht nur eine Schuh-, sondern auch eine Filmstadt
Die Kreishauptstadt Zlín in Ostmähren nahe der slowakischen Grenze ist hauptsächlich für ihre Schuhproduktion bekannt. Wir haben über die rasante Expansion der dortigen Baťa-Werke und den damit verbundenen Aufstieg des Bauerndorfes Zlín zu einer der wichtigsten Industriemetropolen der Tschechoslowakei bereits ausführlich berichtet. Außerhalb Tschechiens kaum bekannt ist hingegen, das Zlín neben Prag das wichtigste Zentrum der Filmproduktion hierzulande war und ist. Und – wie könnte es anders sein – auch die Entwicklung der Filmstadt Zlín ist eng mit Tomáš Baťas Schuhfabrik verbunden.
Jedem Zlín-Besucher sticht er sofort ins Auge: Der wuchtige weiße Quader, der rechts vor dem Hotel Moskva, dem ehemaligen „Společenský dům“, zu Deutsch Gesellschaftshaus liegt: „Velké Kino“ – zu deutsch schlicht „Das Große Kino“ Errichten ließ es die Firma Baťa nach Plänen des berühmten Zlíner Architekten und Stadtplaners František Lydie Gahura. Das 1932 eröffnete Haus war lange Zeit das größte Kino Mitteleuropas, wie Petr Novotný erklärt, der an der Zlíner Tomáš-Baťa-Universität am Institut für Filmwissenschaft lehrt:
„Das Große Kino hat heute 1010 Sitzplätze. Aber zum Zeitpunkt seiner Entstehung waren es 2400. Der technische Fortschritt machte mehrere Umbauten notwendig. Und jede dieser Umgestaltungen kostete Sitzplätze.“
Mit dem auch nach heutigen Maßstäben beeindruckend großen Kinosaal mit seinen stark ansteigenden Sitzreihen ist das Große Kino in Zlín eine Art Vorreiter für die heutigen so genannten Multiplex-Kinos. Eigentlich war der Bau nur als provisorische Konstruktion geplant, um den Zehntausenden Baťa-Mitarbeitern rasch ein Freizeitangebot bieten zu können. Doch durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die Emigration der Baťas konnten die Pläne für das endgültige Kino nicht mehr umgesetzt werden. Im Zweiten Weltkriegs bekam das Große Kino einen Bombentreffer ab, doch bereits kurz nach Kriegsende begann die Instandsetzung des Gebäudes. Die Entwicklung der Filmproduktion in Zlín geriet allerdings vorerst ins Stocken, wie Film-Professor Novotný erzählt:
„Es dauerte bis zum Jahr 1960, bis Zlín wieder in den Mittelpunkt der Filmproduktion rückte. Seither findet hier in diesem Kino auch wieder ein internationales Filmfestival statt.“
Bis heute lockt das Internationale Festival für Kinder- und Jugendfilme jedes Jahr im Frühjahr Tausende Kino-Begeisterte nach Zlín.
Doch wie begann alles? Was hat die Schuhfirma Baťa mit Filmproduktionen zu tun? Darüber klärt uns der Zlíner Filmwissenschaftler Petr Novotný auf:
„Blicken wir also um mehr als 70 Jahre zurück. Wir schreiben das Jahr 1937 und in Paris findet gerade die Weltausstellung statt. Auf dieser Ausstellung bemüht sich jeder Staat und jede Firma, sich mit seinen größten Fähigkeiten zu präsentieren. Die Firma Baťa trat in Paris nicht nur mit ihren traditionellen Produkten auf, sondern gab extra für die Weltausstellung vier Reklamefilme in Auftrag. Kameramann dieser vier großartigen Streifen war der schon damals berühmte Alexander Hackenschmied. Einer dieser Filme ist eine Reklame für Reifen.“
Denn auch Reifen stellte die Firma Baťa selbst her, und zwar aus einem einfachen Grund: Das stark expandierende Unternehmen besaß in den 1920er- und 1930-er-Jahren den damals mit Abstand größten Fuhrpark an Lieferwagen und Lkw. Und für eine derartige Flotte waren auf dem Markt kaum Reifen in ausreichender Zahl zu bekommen. Außerdem sollen die verfügbaren Reifen nicht den hohen Ansprüchen der Baťas genügt haben. Also entschloss man sich, die bisher nur auf Schuhsolen spezialisierte Gummiproduktion um Auto- und Fahrradreifen zu erweitern. Bis heute werden übrigens in der Zlíner Nachbarstadt Otrokovice unter dem Namen „Barum“ Reifen aller Art hergestellt.
Der Film beginnt mit einem Autoreifen in Großaufnahme. Auf Tschechisch heißt der Reifen „pneumatika“ und wie die meisten Wörter, die auf –a enden, ist auch der Reifen im Tschechischen weiblich. Also erzählt auch Baťa-Werbefilm eine Frauenstimme die Erlebnisse des Reifens. Fräulein Reifen ist gerade in der Fabrikhalle zur Welt gekommen und zum ersten Mal auf der Straße unterwegs:
„Über die Felder und durch die Täler: Jedes Stück der Welt ist anders. Was für eine schöne Aussicht auf die Welt, so wie sie Gott erschuf. In der Fabrik haben sie mich hergestellt, gute Ratschläge hat man mir mit auf den Weg gegeben. Und dann habe ich auch schon Arbeit gefunden, so schnell ging das.“
Arbeit hat Fräulein Reifen gefunden, indem sie an einen großen glänzenden Wagen montiert wurde. Und der freut sich, dass er sich mit den neuen Reifen sicher durch den immer stärker werdenden Verkehr bewegen kann:
„Gottseidank habe ich gute Reifen. Wenn ich bremsen muss, komme ich so sofort zum Stillstand.“
„Baťa Reifen! Für jeden, der besten Service will, für alle, die unentschlossen sind: Baťa-Reifen. Der gute Reifen – von Baťa.“
Doch die Filmproduktion der Firma Baťa diente auch noch anderen Zwecken, wie Petr Novotný zu berichten weiß:
„Baťa hat nicht nur Reklamefilme gedreht, sondern auch eine ganze Reihe von Lehrfilmen für seine Mitarbeiter. Einer davon beschreibt, wie sich ein guter Schuhverkäufer gegenüber einem Kunden zu verhalten hat. Der Autor ist niemand geringerer als der berühmte Dokumentarfilmer Bořivoj Zeman.“
Der Film beginnt mit einer Aufnahme eines der zahlreichen Baťa-Geschäfte, die es damals in jeder größeren Stadt gab. Es ist leer. Nur in der Ecke sitzt ein Verkäufer, der in ein Romanheftchen vertieft ist. Herr Hájek, der Filialleiter sei mit der neuen Kollektion unterwegs zu Kunden und Fräulein Mašková sei gerade mit der Fußpflege bei einer Stammkundin beschäftigt, klärt der Sprecher auf:
„Zurück geblieben ist also nur Herr Šejnoha, der, wie Sie sehen, sehr in seine spannende Lektüre vertieft ist. Lesen ist ja an sich nichts Schlechtes, aber nicht im Geschäft. Außerdem sollte man nur gehaltvolle Bücher lesen. Herr Šejnoha aber liest etwas, was man gemeinhin ein ‚schlecht bedrucktes Stück Papier’ nennt. Er gibt sich nämlich mit einem Zwei-Kronen-Kriminalroman zufrieden.“
Doch der Verkäufer wird bald in seiner Lektüre gestört. Ein Kunde betritt den Laden. Er hätte gerne schwarze Halbschuhe. Welche Größe? „40“. Und welche Breite? „Normal.“ Welche Nummer? Er habe zwar schon Schuhe hier gekauft, erinnere sich aber nicht mehr. Er habe immer Mühe, sich Zahlen zu merken meint der Kunde.
„Das ist aber schlecht mein Herr. Zahlen sollte man sich immer merken“, blafft der Verkäufer zurück und trottet in Richtung Lager. Nach einiger Zeit kommt er zurück und knallt dem Kunden einen Schuhkarton vor die Füße. Nachdem dieser einen Schuh angezogen hat stellt er fest, dass er zu klein ist und drückt. Er habe doch Größe vierzig verlangt, meint der Verkäufer vorwurfsvoll. Eine andere sei auch gar nicht vorrätig, aber mit der Zeit würden die Schuhe ohnehin weiter. Wann denn die neue Lieferung komme, will der Kunde wissen. Keine Ahnung, Zlín sei weit entfernt. Der Kunde verlässt daraufhin den Laden, ohne etwas zu kaufen.
Wie man es richtig macht, das zeigt in der nächsten Szene der Filialleiter vor. Wie durch ein Wunder ist der von Verkäufer Švejnoha verprellte Kunde am nächsten Tag noch einmal in den Baťa-Laden gekommen. Filialleiter Hájek ist sichtlich um den Kunden bemüht:
„Ich vermesse gleich ihre Füße. Das kommt dann in unsere Kartei, damit wir sie nicht jedes Mal aufs Neue damit belästigen müssen.“
Schnell ist anschließend ein passendes Paar Schuhe für den Kunden gefunden und auf dem Weg zur Kasse bietet Filialleiter Hájek noch Accessoires an. Ein wahres Verkaufstalent sei Herr Hájek, lobt der Filmsprecher. Ihm gelinge es fast immer, die Kunden zu überreden:
„Brauchen Sie nicht noch Socken?“
„Nein Danke!“
„Aber unsere Socken sind großartig. Und sie passen perfekt zu den Schuhen, die Sie gerade ausgesucht haben. Probieren Sie doch ein Paar aus, sie werden begeistert sein. Ich bin mir sicher, Sie kommen bald vorbei, um sich ein weiteres Paar zu kaufen.“
„Na gut.“