Zu Besuch bei den Altkatholiken: Maria-Magdalena-Kapelle in der Nacht der Kirchen
Am 28. Mai, kurz nach 17 Uhr waren an vielen Orten Tschechiens Kirchenglocken zu hören. Das Glockengeläut verkündete den Beginn der so genannten „Nacht der Kirchen“. In dieser Nacht öffneten sich die Türen der Sakralgebäude verschiedener Glaubensbekenntnisse für die Öffentlichkeit. Auch in der tschechischen Hauptstadt blieben viele Kirchen bis tief in die Nacht geöffnet, darunter auch einige, die kaum in einem Stadtführer zu finden sind. Wir laden Sie in eine Kapelle ein, die fast 400 Jahre alt ist. Jedoch erst seit etwa 50 Jahren steht sie an ihrem heutigen Ort.
Die Initiatoren der „Nacht der Kirchen“ in Tschechien konnten nicht ahnen, ob die Veranstaltung das Interesse der Öffentlichkeit wecken wird. Die Veranstalter in Prag freuten sich zwar über die überraschend hohe Zahl von Pfarreien, die sich zur Teilnahme meldeten, aber ob und wie viele Leute überhaupt kommen, dies wagte keiner vorherzusagen. Das Programmangebot war vielfältig und unterschied sich von Kirche zur Kirche. Nach Inspiration suchten die tschechischen Organisatoren in Österreich, wo auch die Idee auf die Welt kam.
Die „Nacht der Kirchen“ schien ein wahrer Volltreffer zu sein. Dies gilt sowohl für ganz Tschechien, als auch vor allem für die Hauptstadt. Die Veranstalter in Prag konnten es kaum fassen, dass mehrere Kirchen schon kurz nach der Eröffnung der Veranstaltung fast aus allen Nähten platzten. So standen z. B. die Besucher beim Hl. Thomas auf der Prager Kleinseite Schlange, um die sonst nicht zugänglichen Räumlichkeiten im Klosterareal zu besichtigen. Die Augustiner zeigten den Besuchern nicht nur die Klosterbibliothek, sondern auch die Sakristei und die Krypta. In der Maria-Schnee-Kirche unweit des Wenzelsplatzes stellte der Organist noch um Mitternacht die wertvolle Orgel vor und musizierte vor allem für das Publikum, das sich um die Orgel drängte. Wissenshungrige und neugierige Besucher strömten aber nicht nur in die bekannten Prager Kirchen. Schon kurz nach dem Beginn der „Nacht der Kirchen“ wimmelte es von Leuten auch vor der kleinen Kapelle, die unmittelbar neben der Čech-Brücke am Kai steht. Die runde Barockkapelle der heiligen Maria Magdalena über der Moldau kann man beim Vorbeifahren mit der Straßenbahn nicht übersehen. Auch wenn sie von der U-Bahn-Haltestelle Malostranská nicht weit entfernt ist, steht der zierliche Sakralbau schon im Stadtteil Holešovice. Vor dem Eingang in die Kapelle bereitete sich gerade eine Theatergruppe auf ihren Auftritt vor; der kleine Raum war voll von Menschen, alle Sitzplätze waren längst besetzt. Die Veranstalter von der Altkatholischen Kirche, die die Kapelle verwaltet, hatten alle Hände voll zu tun mit Führungen. In der Krypta diskutierte mit einigen Besuchern Josef König vom Vorstand der hiesigen Pfarrgemeinde. Das Interesse der Leute habe ihn sehr angenehm überrascht, sagt Josef König:„Über diese Veranstaltung haben wir schon vor einigen Jahren in den österreichischen Kirchenzeitschriften gelesen. Es schien uns, dass es eine sehr gute Idee ist. Als die österreichische Initiative auch von Tschechien übernommen wurde, haben wir uns auch zur Teilnahme gemeldet. Wir stellten uns die Frage: Soll die Nacht der Kirchen in Form von Gottesdiensten auf laufendem Band gestaltet werden oder soll die Veranstaltung eher niederschwellig sein. Wir haben uns schließlich für die zweite Möglichkeit entschieden.“Was alles steht also auf dem Programm? Jetzt haben wir ein Konzert mit etwas ungewöhnlichen Musikinstrumenten gehört.
„Wir haben ein buntes Programm vorbereitet: mit Musik, Vorlesungen, einer Theatervorstellung. Wir waren gespannt, was für einen Anklang diese Veranstaltung haben wird, ob vielleicht nur zwei, drei Leute kommen. Dann wäre es Schade um die Energie und den Arbeitsaufwand. Aber schon jetzt kann man sagen, dass es hier von Leuten wimmelt. Die Veranstaltung ist hervorragend, und wir wollen sie nächstes Jahr wiederholen.“
Ich meine, dass viele Leute die seltene Möglichkeit genutzt haben, sich diese Kapelle auch vom Inneren anzuschauen. Was ist es für einen Sakralbau?„Es ist eine Barockkapelle, die vom Orden der Cyriaken erbaut wurde. In der Umgebung gab es hier damals Weinberge. Ich nenne es ´Dezent-Barock´´, der sehr angenehm wirkt. Die Kapazität ist zwar klein – etwa 30 Sitzplätze, aber jeden Sonntag ist die Kapelle voll von Menschen. Kann sein, dass wir bald das Problem lösen müssen, wohin wir umziehen, aber wer weiß, wie es sein wird.“
Ich habe gehört, dass hier sogar eine selbständige Pfarrgemeinde entstanden ist. Stimmt das?
„Ja, das stimmt. Seit etwa zwei Wochen gibt es hier eine Pfarrei. Zuvor gab es in Prag eine einzige Pfarrgemeinde. In der altkatholischen Kirche gibt es gewisse Regeln: Ab fünfzig Mitgliedern in einer Filiale kann man den Status einer selbständigen Pfarrgemeinde beantragen. Und dies ist vor kurzem geschehen. Das bedeutet dann auch, dass die Gläubigen ihren Pfarrer oder hoffentlich auch eine Pfarrerin (das gibt es in der altkatholischen Kirche in Tschechien noch nicht) wählen.“Ist die Kapelle während der Woche immer geschlossen?
„Ja. Das war auch der Grund, warum wir an der Nacht der offenen Kirchen teilnehmen. Denn fast jeder Prager ist in seinem Leben vorbei gefahren oder vorbei gegangen, aber nie war er in der Kapelle, weil sie nur für eine Stunde am Sonntag geöffnet ist. Die Möglichkeit, die Kapelle im Rahmen der Nacht der Kirchen zu besuchen, soll dazu beitragen, dass die Kapelle bekannter wird und dass wir uns sichtbar machen.“
Bislang sind Sie mit dem Interesse der Besucher zufrieden?„Ja, sehr. Es hat unsere Erwartungen übertroffen.“
Vor dem Eingang in die Krypta drängen sich die Besucher. Sie fragen die Veranstalter von der altkatholischen Kirchen nach dem Ursprung der Kapelle. Marek „Bendy“ Růžička ist Geistlicher. Er bemüht sich, die Fragen zu beantworten:
„Die Kapelle ließ der Orden der Kreuzherren mit dem roten Herzen, also der Cyriaken, 1635 erbauen. Nachdem der Orden aufgelöst wurde, übernahm die Stadt die Kapelle. Seit 1908 wird sie von der Prager altkatholischen Gemeinde genutzt. Interessant ist das Interieur, das mit Fresken verziert ist, die Bäume aus der Bibel darstellen. Über dem Eingang sieht man ein Buntglasfenster mit den Heiligen Kyrill und Method und mit dem Hl. Wenzel und Magister Jan Hus. Auf einigen der Fenster wird die neuere Geschichte des Baus dargestellt: es wird gezeigt, wie die Kapelle vom ursprünglichen Standort hierher versetzt wurde. Seit 1990 übernahm die altkatholische Gemeinde die Kapelle erneut. Die altkatholische Gemeinschaft gab es hier schon vorher, aber sie funktionierte natürlich während des Kommunismus unter anderen Bedingungen.“
Die Altkatholische Kirche ist im Übrigen 1870 aus dem innerkatholischen Widerstand gegen die Dogmatisierung der Lehrunfehlbarkeit und des Alleinvertretungsanspruches des Papstes auf dem I. Vatikanischen Konzil hervorgegangen. Die altkatholische Kirche in der Tschechischen Republik ist Bestandteil der Utrechter Union, die 1889 von den Bischöfen der Altkatholiken in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz gegründet wurde. Während des Kommunismus wurde die Tätigkeit der Altkatholiken ähnlich wie der anderen Kirchengemeinschaften unterdrückt. Zur altkatholischen Kirche bekennen sich in Tschechien zurzeit etwa 1600 Gläubige.Insgesamt haben während der "Nacht der Kirchen" an die 50.000 Menschen die Kirchen der Prager Erzdiözese besucht. Schon kurz nach 20 Uhr betrug die Zahl der Besucher an 14.000. In ganz Tschechien nutzten fast 250.000 Menschen die Gelegenheit, eine der mehr als 400 offenen Kirchen zu besuchen. Nach dem unerwartet großen Erfolg der Veranstaltung in diesem Jahr rechnen die Kirchen-Vertreter schon jetzt damit, die Kirchen nächstes Jahr wieder zu öffnen.