Zu Besuch in der tschechischen Hauptstadt des Lebkuchens
Ostereier aller Couleur, Häschen mit Osterrute, Häschen mit Tragekorb oder mit Rollwagen, eine Hühnerfamilie auf der Blumenwiese, Häschen unterschiedlicher Größe und farblicher Gestaltung, ähnliches gilt auch für Lämmchen. Das alles ist dieser Tage an vielen Orten zu sehen, allerdings nicht nur als Bilder oder Zeichnungen auf traditionellen Ostereiern. Das alles gibt es traditionsgemäß auch aus Lebkuchen. Und um den Lebkuchen geht es nun auch in der folgenden Sendung. Mit Jitka Mladkova können Sie die tschechische Hauptstadt des Lebkuchens besuchen. Welche das ist, sagt sie Ihnen selber:
Ich verrate gleich am Anfang, wohin es bei uns geht: nach Pardubice / Pardubitz. Seit 1874 wird in dieser Stadt, deren Existenz schon seit dem 12. Jahrhundert belegt ist, jedes Jahr das härteste Galopprennen auf dem europäischen Kontinent veranstaltet - Velka Pardubicka / Pardubitzer Steeplechase. Diese ostböhmische Stadt und ihr Pendant in derselben Region, Hradec Kralove / Königgrätz, sind durch ihre uralte Rivalität bekannt. In ihrem Ringen um dies oder jenes konnte abwechselnd die eine oder die andere Stadt den Sieg davon tragen. Beim Wetteifern um den Hauptsitz eines ostböhmischen Landkreises, der vor wenigen Jahren im Rahmen der neuen Verwaltungsreform entstehen sollte, haben die zentralen Behörden letztendlich nachgegeben und den Landkreis Pardubice wie auch den Landkreis Hradec Kralove geschaffen.
Doch in einem Bereich kann man der erstgenannten Stadt nicht die Vorreiterrolle nehmen - sie kann sich die tschechische Hauptstadt des Lebkuchens nennen. Pardubicky pernik / Pardubitzer Lebkuchen, ist dank einer langen Tradition zum Begriff geworden.
Von Pfannkuchen mit Lebkuchenstreusel, die direkt aus der Küche einem am Fenster wartenden Honzicek zugespielt werden, handelt dieses bekannte tschechische Volkslied. So ähnlich muss es bei Herrn Pavel Janos sein, der aus einer der ältesten Lebkuchen produzierenden Familien in Pardubice stammt. Sie kann auf eine über 100 Jahre alte Tradition der Lebkuchen- und Süßwarenproduktion zurückblicken. Pavel Janos erzählt:
"Ich kann mich daran erinnern, wie meine Großmutter jeweils zu Weihnachten und Ostern schöne Lebkuchenplätzchen gebacken hat. Sie hatte einen kleinen Tante-Ema-Laden und wurde auch für Hochzeiten engagiert, um Speisen und süßes Gebäck einschließlich Lebkuchen für die Festtafel vorzubereiten. Auch meine Eltern haben sich diesem Handwerk verschrieben. In unserem Familienfotoarchiv haben wir zum Beispiel Aufnahmen, die meinen Vater mit einem ein Meter großen Lebkuchenherz zeigen. Das Herz hatte er 1958 für tschechische Konditoren anlässlich der Weltausstellung in Brüssel kreiert. Der belgischen Königin hat es auch sehr gefallen."
Auf diese Tradition ist man in der Familie Janos entsprechend stolz. Pavel Janos hat sich 1991entschlossen, in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten und gemeinsam mit ihnen die Lebkuchenproduktion weiter auszubauen. 1998 wurde er in Konkurrenz von etwa 25 Kollegen aus der Branche zum Konditor und Lebkuchenbäcker des Jahres gekürt. Es folgten weitere Auszeichnungen. Herr Janos kann sich jedoch auch rühmen, erfolgreiche Mitarbeiter, genauer gesagt Mitarbeiterinnen, in seinem Team zu haben.
In Pardubice wird jedes Jahr ein Lebkuchenfest gefeiert, bei dem auch die Lebkuchenkönigin gewählt wird. Aus der Werkstatt Janos sind bereits fünf Königinnen der Lebkuchenbackkunst hervorgegangen. Zuletzt war es im Jahr 2006, als der königliche Ehrentitel und die Lebkuchenkrone an Zdenka Jencikova ging.
Das siegreiche Produkt war ein großes kunstvoll geschmücktes Hufeisen. "Es ist eine Nervensache und sehr stressig," sagt die Lebkuchenkönigin und erläutert auch warum: Der Wettbewerb laufe den ganzen Tag und das Ergebnis könne man erst am Nachmittag erfahren. Frau Jencikova ist keine gelernte Zuckerbäckerin, sondern Chemikerin von Beruf. Als sie vor sechs Jahren arbeitslos wurde, nahm sie den Job der Lebkuchenbäckerin an, und siehe da, heute ist sie Königin!
Hurra, die Kirmes ist da, und Karel Gott ist dabei, das Herz einer Frau mittels Lebkuchen zu erobern. Wir aber versetzen uns jetzt in die Märchenwelt, wo gerade der Lebkuchen von großer Bedeutung ist. "....als sie ganz nahe herankamen, so sahen sie, dass das Häuslein aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. ´Da wollen wir uns dranmachen´, sprach Hänsel, ´und eine gesegnete Mahlzeit halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Gretel, du kannst vom Fenster essen, das schmeckt süß.´ ....Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus:"
"´Knusper, knusper, Kneuschen,
Wer knuspert an meinem Häuschen ?´
Die Kinder antworteten:
´Der Wind, der Wind,
Das himmlische Kind.´"
Wer kennt ihn nicht, den Ausruf der Hexe, die als Verkörperung des Bösen gilt? Nicht aber im Pardubitzer Lebkuchenmuseum, auch Lebkuchenhäuschen genannt. Näheres sagte uns sein Direktor Ludek Sorm:
"Wir haben uns gesagt, dass Jenicek und Marenka im Märchen kein gutes Benehmen zeigen. Sie haben weder angeklopft noch guten Tag gesagt oder um Lebkuchen gebeten!"
Diese Sichtweise war ausschlaggebend für das Konzept des Museums, das im Rahmen der Möglichkeiten unserer realen Welt eine Replik des Knusperhäuschens aus dem Märchen über Hänsel und Gretel darstellen sollte. Der Museumsdirektor und sein Team machen keinen Hehl daraus, dass sie die Wahrnehmung des Grimmschen Märchens seitens ihrer Besucher, - sowohl der Kinder als auch ihrer Eltern - ändern wollen. Doch nicht bei jedem Kind funktioniert das reibungslos:
"Für viele Kinder ist es am Anfang ein bisschen anstrengend. Es ist auch schon passiert, dass einige Kinder Angst davor hatten, sich unserem ´Lebkuchenhaus´ auch nur zu nähern. Klar, von klein auf hören sie von ihren Eltern von einer bösen Hexe. In diesem Sinne ist die Moral des Märchens nicht gut. Immerhin, wenn die Kinder die einigermaßen die etwas unangenehme Anspannung überwinden und unser Häuschen betreten, nehmen sich ihnen nette Begleiter an und gemeinsam machen sie einen Rundgang."
Auch dieser basiert auf der eigens konstruierten Philosophie, die das Dreieck der Hauptakteure ins klare Licht stellt. Zunächst habe man sich die Frage gestellt, warum die Hexe, auf Tschechisch Jezibaba, ausgerechnet in einem Lebkuchenhäuschen lebte, informiert uns der Chef des Lebkuchenhauses. Ihm zufolge liegt die Antwort auf der Hand:
Die Hexe muss zweifelsohne Lebkuchenbäckerin gewesen sein, sagt Ludek Sorm und kommt in einem Atemzug zu einem kategorischen Schluss:
Jenicek und Marenka seien ganz gewöhnliche Diebe gewesen, die bei einer Gewerbetreibende gestohlen hätten. Gegen den Hinweis, dass sich beide Kinder in einer recht schwierigen Situation befanden, argumentiert der Direktor des Lebkuchenhäuschens kompromisslos:
"Dieses Thema wird bei uns praktisch jeden Tag diskutiert. Ich bin aber davon überzeugt, dass man auch in schwierigen Situationen anklopfen, grüssen und höflich um etwas bitten sollte. Wenn man bedenkt, dass das Märchen als eine Art Verhaltensmodell gilt, mit dem fast alle Kinder konfrontiert werden, wird ihnen das Bild eines Jenicek und einer Marenka präsentiert, die - obwohl sie gelogen, gestohlen und letztendlich auch getötet haben - als brav gelten."
Nun, was kommt eigentlich auf die Kinder bei einem Besuch in dem neuzeitlichen Knusperhäuschen zu, dessen Bewohner sich vorgenommen haben, die Interpretation des Grimmschen Märchenklassikers zu revolutionieren?
"Im Inneren unseres Hauses haben wir einen Märchenwald installiert. Die kleinen Besucher sprechen wir an als Jenice oder Marenka, oder auf Polnisch Jasz und Malgosza oder aber auf Deutsch Hänsel und Gretel - das Thema ist dank der Brüder Grimm international verständlich. Jeder geht also zunächst durch den Märchenwald, dann klopft er an die Tür und die Frau Hexe lädt in ihre Werkstatt ein, wo es schön nach Lebkuchen duftet, und führt vor, wie Lebkuchen gebacken wird: aus Mehl, Honig und Gewürzen. Zum Schluss lädt sie die Besucher in die Ausstellung ein, in der über Tausend Lebkuchenexponate gezeigt werden."
Kostproben gehören natürlich auch dazu! Doch nicht der Lebkuchen ist das Wichtigste, viel mehr die Lektion in gutem Benehmen, die man im Museum absolviert hat. Museumsdirektor Storch fasst abschließend zusammen:
"Ich würde sagen, dass es den Kindern auch einen inneren Gewinn bringt, über ihre Angst zu siegen!"
Das ostböhmische Lebkuchenmuseum hat 2006, dem ersten Jahr seiner Existenz, über 45.000 Besucher verzeichnet. Sollte es weiter so gehen, kann sich Tschechien voraussichtlich in 100 Jahren über eine ganze Armada von braven Kindern freuen.