Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Usti nad Labem/Aussig

Die deutschen und jüdischen Wurzeln der Stadt waren das Thema einer Konferenz, die vor kurzem im nordböhmischen Usti nad Labem/Aussig veranstaltet wurde. In ihrem Rahmen wurde im Stadtzentrum von Usti ein Mahnmal für die Holocaust-Opfer enthüllt. Mehr über die Geschichte der jüdischen Bevölkerung von Aussig erfahren Sie in der folgenden Sendereihe "Reiseland Tschechien" von Martina Schneibergova und Bernd Janning.

Ein halb aus dem Boden herausragender Davidstern aus Granit - so sieht das Holocaust-Mahnmal aus, das im Stadtpark von Aussig eingeweiht wurde. Es wurde in direkter Nachbarschaft zum 1866 gegründeten jüdischen Friedhof, dem ältesten der Stadt, eingeweiht. Der Friedhof wurde 1924 aufgegeben. Die Grabsteine und Gräber wurden nach jüdischem Ritus mit Erde zugedeckt, sie existieren dort jedoch immer noch. Während des Nationalsozialismus sind in den KZs mehr als 1000 jüdische Bürger aus Aussig ermordet worden. Nur wenige Überlebende sind nach dem Krieg in die Stadt zurückgekehrt. In den Jahren 1945-46 kamen neue jüdische Bewohner nach Aussig, die aus der von der Sowjetunion annektierten Karpathoukraine stammten. Sie stellen den Kern der heute ca. 40 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde dar. Ihr Vorsitzender Bedrich Heller nahm an der Enthüllung des Denkmals teil. Er sagte bei dieser Gelegenheit gegenüber Radio Prag:

"Hier lebte vor dem Krieg eine starke jüdische Gemeinde. Die Mehrheit der bekannten Industriellen der Stadt war jüdischer Abstammung. Dies wird oft vergessen. Die Idee, ein Mahnmal zu errichten ist nicht ganz neu. Es mangelte uns jedoch an finanziellen Mitteln, um die Idee in die Tat umzusetzen. Glücklicherweise bekamen wir vom Prager Jüdischen Museum Unterstützung und so konnten wir das Mahnmal verwirklichen."

Holocaust-Mahnmal,  Usti nad Labem  (Foto: Autorin)
Im Jahre 2004 vereinbarte die Stadtverwaltung mit der jüdischen Gemeinde, dass sich die Stadt mit 150.000 Kronen an der Errichtung des Mahnmals beteiligen wird. Die übrigen Kosten, in Höhe von ca. 600.000 Kronen, übernahm die jüdische Gemeinde von Aussig. Sie beauftragte den Architekten Michael Gabriel mit dem Entwurf des Mahnmals. Angefertigt wurde das Denkmal von Jiri Rusy, einem Steinmetz aus Louny, und seiner Tochter Irena Fiserova aus Kadan.

Aussiger Oberbürgermeister Petr Gandalovic sagte bei der Enthüllung des Denkmals:

"Dieses Mahnmal erinnert nicht nur an die tragischen Ereignisse, als die jüdischen Bewohner der Stadt in den Jahren 1938-1945 Opfer des Nazi-Regimes wurden. Sondern das Mahnmal wird auch an jene Jahre erinnern, in denen sich jüdische Bürger bedeutend am Leben der Stadt beteiligten. Sie haben das Antlitz von Usti nad Labem mitgestaltet und sich um den Aufschwung der Stadt verdient gemacht."

Die feierliche Enthüllung des Mahnmals erweckte großes Interesse in der Öffentlichkeit. Viele Leute kamen, um Blumen am neuen Denkmal niederzulegen. Neben Vertretern der tschechischen Föderation jüdischer Gemeinden, kamen auch mehrere Diplomaten nach Aussig, unter ihnen der israelische Botschafter Arthur Avnon. In seiner Ansprache erwähnte er, das Mahnmal sei für ihn aus zwei Gründen sehr wichtig:

"Es ist für mich sowohl aus offizieller, als auch aus persönlicher Sicht wichtig. In Israel leben viele Menschen, die den Holocaust überlebt haben. Meine Verwandten kamen in ukrainischen Konzentrationslagern ums Leben. Aus diesem Grund ist das Denkmal aus meiner Sicht wichtig. Es ist aber vor allem für die Zukunft bedeutend, da es die Menschen stetig daran erinnert, was passiert ist. Dies reicht jedoch nicht. Es ist notwendig, die junge Generation über den Holocaust zu unterrichten. Für diese Erziehung ist jede Regierung in Europa verantwortlich. Denn die Vergangenheit zeigte, dass die menschliche Natur zu unvorstellbaren Grausamkeiten fähig ist. Es ist erforderlich, dieses Wissen weiterzugeben, damit so etwas nie wieder passieren kann."

Erst nach 1848 siedelten sich in Aussig Juden an, denn Aussig war eine königliche Stadt. In einer solchen durften sich Juden nicht niederlassen. Obwohl vor 1938 nur etwa 2,5 Prozent der Stadtbevölkerung jüdischen Glaubens waren, waren viele jüdische Bürger bedeutende Persönlichkeiten der Stadt. Oberbürgermeister Gandalovic dazu:

"Die jüdischen Bewohner der Stadt, die hier bis 1938 lebten, trugen bedeutend dazu bei, dass sich Aussig in ein regionales Zentrum der Industrie, des Handels und der Kultur entwickelte. Zu den namhaften jüdischen Persönlichkeiten der Stadt gehören unter anderen Eduard Jakob Weinmann und Ignaz Petschek. Sie waren zunächst Freunde, geschäftlich machten sie sich jedoch bald Konkurrenz. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten sie ihre Unternehmen praktisch aus dem Nichts heraus. Allmählich entwickelten sich ihre Firmen zu großen Industrieimperien. Aussig war zu dieser Zeit eine wichtige Drehscheibe des Kohlehandels geworden und verfügte sogar über eine eigene Börse. Die beiden Herren investierten jedoch auch hohe Summen in die Infrastruktur der Stadt, so engagierten sie sich im Sozial-, Gesundheits- und Kulturbereich."

Von den weiteren namhaften Persönlichkeiten, die aus der Aussiger jüdischen Gemeinde hervorgegangen sind, ist beispielsweise der Zahnarzt Wilhelm Wittenberg zu nennen. Er setzte bereits 1912 obligatorische Präventivuntersuchungen an den Aussiger Schulen durch. Von den berühmten Persönlichkeiten des Kulturlebens sind die Maler Ernst Neuschul und Rudolf Popper zu erwähnen und auch der Schriftsteller Bedrich Rohan, Verfasser des Buchs "Aussiger Schoulet".

Oberbürgermeister von Usti,  Petr Gandalovic  (Foto: Autorin)
Oberbürgermeister Gandalovic über das Schicksal der Aussiger Juden:

"Von den 1250 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Aussigs überlebten knapp 200 Personen den Krieg in der Emigration und eine geringe Zahl überlebte in so genannten Mischehen. Die Aussiger Synagoge wurde 1938 von den Nazis niedergebrannt. Erhalten blieben damals die Außenwände. In den Resten des Gebäudes wurde eine Schlachterei eingerichtet. In den fünfziger Jahren wurde dann der jüdische Teil des Zentralfriedhofs auf dem Ovci vrch, dem Schafenberg, vollständig vernichtet. Die Grabsteine wurden verkauft oder gestohlen. Die sterblichen Überreste wurden, im Widerspruch zum jüdischen Ritus, exhumiert und verbrannt."

Das jüdische Eigentum, das in den Jahren 1938-1939 vom deutschen Reich beschlagnahmt wurde, ist 1945 aufgrund der so genannten Benes-Dekrete wiederum als "deutsches" Eigentum vom tschechoslowakischen Staat konfisziert worden. Juden, die den Holocaust überlebten, konnten zwar die Rückgabe ihres Eigentums beantragen, wegen des Unwillens der Behörden, gelang dies jedoch nur sehr selten. Petr Gandalovic dazu:

"Es ist absurd, dass Verwandte der Holocaust-Opfer, die in den Zählungsbogen im Jahre 1930 ihre deutsche Nationalität angaben, nicht einmal heute die Chance haben, ihr Eigentum zurück zu bekommen. Im Jahre 1998 fand in Washington eine Konferenz über jüdische Kunstsammlungen statt, die von den Nazis geraubt wurden. Ich bin sehr stolz auf die Stadt Usti nad Labem, die als eine der ersten in Europa auf den moralischen Appell der Konferenz reagierte. Nachdem von den Nazis gestohlene Gegenstände, die aus den Sammlungen der Familien Weinmann und Petschek stammten, im Stadtmuseum und Archiv identifiziert worden waren, beschloss der Stadtrat 1999 die Kunstwerke den ursprünglichen Besitzern zurück zu geben."

Petr Gandalovic erinnert sich daran, dass 1991 die Enkelin von Jakob Weinmann, Frau Ruth Russell aus New York, erstmals wieder Aussig besuchte. Sie hatte Angst davor, wie sie in der Heimatstadt empfangen würde. Sie war sehr überrascht, als sie das Porträt ihres Großvaters unter den Bildern der hervorragenden Persönlichkeiten von Aussig im Rathaus fand. Seitdem kam sie mehrmals nach Usti nad Labem und stellte die Stadt fast allen Angehörigen ihrer großen Familie, die vorwiegend in New York lebt, vor. Gandalovic betonte:

"Ich bin sehr froh, dass Frau Russell sowie die Mitglieder anderer aus Aussig stammender jüdischer Familien bei ihren Besuchen die Möglichkeit haben, das neue Mahnmal zu besichtigen. Es ist ein Ausdruck der Hochachtung gegenüber den Opfern des Holocaust und auch ein Ausdruck dessen, dass der vielfältige Beitrag der jüdischen Bevölkerung zur Stadtentwicklung in die Geschichte von Aussig für immer eingetragen bleibt."

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