Zwei Welten: Der Ausbau erneuerbarer Energien in Tschechien und Deutschland
In Deutschland wird fast die Hälfte des Stromes aus erneuerbaren Energien gewonnen. In Tschechien liegt der Anteil nur bei 13 Prozent. Wie kann es sein, dass Deutschland in dieser Hinsicht so weit vorn liegt? Und warum ist die Entwicklung in diesem Teil des tschechischen Energiesektors de facto zum Erliegen gekommen? In der zweiten Folge unseres tschechisch-deutschen Klimapodcasts „Karbon“ kommen unter anderem Barbara Breitschopf vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Tomáš Jagoš von der Umweltorganisation Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen) und der Bürgermeister eines kleinen, energieautarken Dorfes zu Wort.
Kněžice ist ein 500-Seelen-Dorf im Bezirk Nymburk in Mittelböhmen. In dem malerischen Ort steht eine Biogasanlage gibt. Durch sie ist die Gemeinde komplett energieautark. Die Anlage ist seit 2006 in Betrieb. Es sind nicht viele Gemeinden in Tschechien, die derart autark funktionieren. Hinter dem Projekt steht unter anderem der langjährige Bürgermeister Milan Kazda (parteilos):
„Angefangen hat das alles im Jahr 2000. Da wurde im Gemeinderat darüber entschieden, welches Projekt hier entstehen soll. Etwas, das den Lebensstandard erhöht, Finanzströme in der Region hält und gut für die Umwelt ist. Und es sollte im besten Fall die Kanalisation und die Kläranlage ersetzen sowie biologisch abbaubare Abfälle verwerten.“
Das energieautarke Dorf
Als beste Lösung erwies sich am Ende eine Biogasanlage. Sie kann nämlich mit verschiedensten Arten von Abfällen bestückt werden – und versorgt zudem das ganze Dorf mit Strom und Wärme.
„Wir haben hier 27 Arten von Abfällen: von gemähtem Rasen, über verfaulte Kartoffeln und Äpfel, Abfälle aus Restaurants, Kantinen und Fettabscheidern, bis hin zu Hausmüll und Gartenabfällen wie Laub. Alles, was sauber ist, ohne Steine oder Erde, kann hier zur Erzeugung von elektrischer Energie und Wärme genutzt werden“, so Kazda.
Der ganze landwirtschaftliche Abfall landet zunächst im Homogenisierungsbecken. Dieses fasst 180 Kubikmeter und liegt unter der Erde. Der Bürgermeister:
„Entweder wird der Abfall vorher zerkleinert, oder er ist flüssig. Dann kann man ihn einfach hineinschütten.“
Und darin gärt es bereits?
„Nein, hier wird nur alles gemischt. Das ist ein Vorrat von drei Tagen für den Bioreaktor. Der Bioreaktor ist dieses große, runde Becken aus Beton dort drüben. Er hat einen Durchmesser von 22 Metern, ist zehn Meter hoch und beinhaltet 2500 Kubikmeter Gärmasse. Darüber befindet sich das Gas, das aus der Gärmasse entsteht.“
Das Gas ist jedoch nicht das Endprodukt. Es wird noch verbrannt, und erst danach wird daraus Strom hergestellt. Und dabei wird auch Wärme freigesetzt…
„Wir haben hier einen Verbrennungsmotor, der einen Generator antreibt. Der wiederum stellt Strom her. Der Motor muss gekühlt werden, genauso wie bei einem Auto. Statt eines Kühlers haben wir hier aber diese Technologie und das Dorf, in das die Wärme geleitet wird“, erläutert Kazda.
Die Biogasanlage hat für die Einwohner von Kněžice viele positive Entwicklungen mit sich gebracht. Unter anderem hat sich die Luftqualität spürbar verbessert. Vor dem Bau der Anlage im Jahr 2006 heizten die meisten Anwohner mit fossilen Brennstoffen in ihren eigenen Öfen. Smog war ein dauerhaftes Problem im Dorf…
„Das war damals wirklich schlimm. Besonders, wenn der Winter zu Ende ging, es aber noch nicht richtig warm war und die Öfen angefeuert wurden. Dann konnte man noch nicht einmal richtig sehen, wo man eigentlich langgeht, und nur schlecht atmen. Das passiert heute nicht mehr. Nur ganz wenige Leute heizen noch selbst. Über 94 Prozent der Anwohner und zudem 18 Wochenendhäuser sind an die zentrale Wärmeversorgung angeschlossen. Wir haben auch die Wochenendhäuser einbezogen, da die Besitzer versprochen haben, im Alter hierher in den Ort zu ziehen.“
Ein weiterer Vorteil des Projekts ist, dass es sich gewissermaßen selbst finanziert. Und das, obwohl die Einstiegskosten vergleichsweise hoch waren – vor allem für eine so kleine Gemeinde wie Kněžice. Deswegen sagt der Bürgermeister, dass sich die Investition im Ganzen gelohnt habe:
„Vergangenes Jahr im Oktober hatten wir die etwa 43 Millionen Kronen abbezahlt. Innerhalb von 15 Jahren haben wir also alles komplett zurückzahlen können. Das ist natürlich eine Genugtuung, denn am Anfang hatten wir schon Angst, dass das nicht klappen könnte. Aber da die Einspeisevergütungen für Energie und die Fördergelder für grüne Energie angestiegen sind, konnten wir uns das Projekt auch trotz der hohen Kosten leisten. Und noch dazu haben wir hier ein Kraftwerk hingesetzt, das jährlich ungefähr 11.000 Tonnen CO2 einspart. Also ein ziemlicher Erfolg.“
Solarboom mit negativen Folgen
Die Biogasanlage in Kněžice konnte auch dank staatlicher Förderungen entstehen. Unterstützung gab es nämlich nicht nur für die anfänglichen Investitionen, sondern auch für die anschließenden laufenden Kosten. Seitdem haben sich die Förderbedingungen in Tschechien aber grundlegend geändert. Das sagt Tomáš Jagoš, er ist Experte für erneuerbare Energien bei der Umweltorganisation Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen):
„Es fehlt die sogenannte Betriebsbeihilfe. Diese wurde 2013 abgeschafft. Das war eine übertriebene Reaktion auf den damaligen Solarboom. Statt die Bedingungen für Solarkraftwerke anzupassen, wurde die Förderung für den gesamten Bereich erneuerbarer Energien heruntergefahren. Es ist daher logisch, dass sich der Sektor ohne finanzielle Förderung nicht weiterentwickeln konnte. Und so stagnierte die Entwicklung. Die Biogasanlage in Kněžice ist ja bereits vor 2013 entstanden – das heißt, sie konnte diese Förderung noch bekommen.“
Diese Auffassung bestätigt auch Bürgermeister Milan Kazda…
„So, wie wir damals, kann man eine Biogasanlage heute gar nicht mehr bauen. Es gibt keine Betriebsbeihilfe für die Stromgewinnung mehr, sondern nur noch für die Wärmeerzeugung. Wärme können wir aber nur sechs bis sieben Monate im Jahr verkaufen, die anderen fünf Monate über nicht.“
Die Betriebsbeihilfe wurde zwar teilweise durch andere Subventionsprogramme ersetzt, deren Effekt ist aber sehr gering…
„Am bekanntesten ist das Förderprogramm ‚Nová zelená úsporám‘ (Neues grünes Licht für Einsparungen). Damit kann beispielsweise eine Solaranlage für ein Einfamilienhaus finanziert werden. Der jährliche Energiegewinn dadurch bewegt sich aber im Megawatt-Bereich. Zum Vergleich: Eine einzige gewöhnliche Windkraftanlage erzeugt heute drei Megawatt. Es handelt sich also um viele kleine Projekte. Das hilft zwar einzelnen Menschen, aber kann nicht das Problem erneuerbarer Energien im Ganzen lösen oder gar Emissionen senken“, sagt Umweltexperte Jagoš.
Dass die Gelder für alle erneuerbaren Energien gekürzt wurden, hatte einen negativen Einfluss auf ihren weiteren Ausbau:
„Seit sechs, sieben oder acht Jahren stagniert die Energie- und Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien. Das liegt an der Legislative und der Einstellung der Politik zu diesen Energiequellen. Darin sehe ich auch den größten Unterschied zwischen Westeuropa und Tschechien. Für erneuerbare Energien gibt es in der tschechischen Politik einfach keine Unterstützung.“
Vielleicht hängt diese Einstellung auch mit dem unkontrollierten Solarboom zusammen. Zu dem kam es in Tschechien ab 2008. Seitdem haben viele Menschen kein Vertrauen mehr in erneuerbare Energien. Tomáš Jagoš:
„Viele Leute hierzulande halten dies für ein intransparentes Geschäftsmodell. Sie verbinden erneuerbare Energien mit Betrug und Korruption. Auch an Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen gibt es Kritik. Erneuerbare Energien wurden als ein No-Go abgestempelt. Viele Menschen nehmen sie nicht als ein normales, legales Business wahr. Sie denken, dass erneuerbare Energien ein Geschäft sind, in dem alle möglichen Betrüger zugange sind.“
Viel Bewegung von unten
Die deutschen Erfahrungen mit erneuerbaren Energien sehen anders aus. Für diesen Energiesektor gibt es in Deutschland nämlich seit langem Unterstützung. Und das sowohl von staatlicher Seite, als auch von der Öffentlichkeit, erläutert Barbara Breitschopf vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung:
„Interessanterweise waren es am Anfang sehr viele Photovoltaik-Aufdachanlagen, also kleine Privatanlagen, die den Ausbau vorangetrieben haben. Im Windbereich gehörten dazu zahlreiche Bürger-Windparks, das heißt Kooperativen. Die Bewegung entstand von unten.“
Die Subventionen für erneuerbare Energien gingen in Deutschland zwar nach und nach zurück; sie sind aber nie auf ein Niveau gesunken, das den weiteren Ausbau bedrohen könnte.
„Mit zunehmender Nachfrage steigerte sich auch die Produktion von Solarmodulen. Es haben sich Industriebetriebe niedergelassen, die zu immer günstigeren Konditionen produzieren konnten. Dadurch entstand so eine Art Kreislauf: Günstigere Kosten, mehr Nachfrage, leichte Anpassungen der Einspeisebedingungen führten wiederum zu günstigeren Technologien und mehr Nachfrage und so weiter.“
Jagoš zufolge zeigen die Erfahrungen aus Deutschland, dass nicht nur große kommerzielle Projekte unterstützt werden müssen, sondern auch sogenannte Energiegemeinschaften:
„Anreize müssen vor allem auf Ebene der Bürgermeister und Vereine geschaffen werden. Anders als bei kommerziellen Projekten sehen diese Akteure den Sinn darin, wirklich eine Dienstleistung anzubieten. Also: Ich habe ein Solarkraftwerk, und ich habe es nicht gebaut, um zehn Prozent Marge zu bekommen, sondern um Strom zu haben – und um diesen Strom meinen Kunden zu geben. Und das wirtschaftlich sinnvoll und umweltfreundlich. Aber ich muss daran nicht auch noch selbst wahnsinnig viel verdienen. An erster Stelle steht nicht das wirtschaftliche Kalkül, sondern eine Dienstleistung. So können auch Projekte entstehen, die ein kommerzieller Investor nie unterstützen würde. Dadurch könnte das Potential von erneuerbaren Energien weiter gesteigert werden.“